Die Folgen auslaufender Sozialbindungen in Berlin standen im Zentrum des 11. Hearing des Initiativenforums, das Ende September im Abgeordnetenhaus stattfand. Aktive der Initiative „Pankow gegen Verdrängung“ richteten ihre Forderungen an die politischen Vertreter:innen. Mit Erfolg: Bausenator Christian Gaebler will einen Krisengipfel einberufen.
Annerose Schröder wohnt seit 66 Jahren im Helmholtzkiez im Prenzlauer Berg. Jetzt droht ihr der Verlust ihres Zuhauses: Die Sozialbindung für ihre Wohnung läuft aus; bereits 2019 hat die Wohnungsbaugesellschaft sie in eine Eigentumswohnung umgewandelt. Sieben Jahre hat sie im Milieuschutzgebiet Zeit, um die Wohnung selbst zu kaufen, und weitere fünf Jahre, bevor Käufer:innen Eigenbedarf anmelden dürfen.
Ein Förderprogramm mit Spätfolgen
Im Prenzlauer Berg stehen etwa 1.820 Haushalte vor dem Problem, dass die Sozialbindungen ihrer Wohnungen auslaufen. In Friedrichshain-Kreuzberg sind es sogar 2.303 und in Mitte 909 Wohnungen, die bis 2025 ihre Sozialbindung verlieren, weil das so genannte ModInst-Förderprogramm (für Modernisierung und Instandsetzung) aus den 1990er Jahren nur befristete Sozialbindungen vorsah. Eigentümer:innen von unsanierten Altbauten bekamen damals für die Modernisierung und Instandsetzung der Gebäude insgesamt 4,5 Milliarden DM vom Senat und mussten dafür einen Teil der Wohnungen mietpreis- und belegungsgebunden vermieten. Leider galt die Bindung nur für 15 bis 25 Jahre, sodass die Hauseigentümer:innen heute mit den durch öffentliche Gelder sanierten Wohnungen tun können, was ihnen beliebt – zum Beispiel in Eigentumswohnungen umwandeln und verkaufen. In vielen Fällen melden die Käufer:innen Eigenbedarf an und versuchen, die bisherigen Mieter:innen loszuwerden. Betroffenen Mieter:innen raten wir unbedingt, eine Rechtsberatung aufzusuchen, weil der Umgang mit einer Eigenbedarfskündigung juristisches Fachwissen erfordert.
Das Mietrecht bietet in puncto Eigenbedarfskündigungen leider nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Doch damit geben sich die Mieter:innen im Prenzlauer Berg nicht zufrieden. Sie haben sich mithilfe unseres Kiezprojektes vernetzt und organisieren sich in der Initiative „Pankow gegen Verdrängung“. Vom Senat fordern sie eine politische Lösung für ihr gemeinsames Problem, das sie gemeinsam ins Abgeordnetenhaus getragen haben.
Verbindliche Lösungen und eine Gesamtstrategie – die Forderungen der Initiative
„Die Folgen auslaufender Sozialbindungen in Berlin“ standen im Mittelpunkt des 11. Hearing des Initiativenforums am 27. September 2023. Dr. Matthias Bernt vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung erklärte zunächst das damalige Programm der ModInst-Förderung mitsamt seinen negativen Auswirkungen auf die Mietenpolitik: Mietsprünge von derzeit 5,15 Euro pro Quadratmeter auf Mietspiegelmittelwerte sind möglich. Da jedoch Neuvertragsmieten noch viel höher sein können, befürchtet der Wissenschaftler einen hohen Verdrängungsdruck und fordert eine „komplexe Intervention“, also einzelne, zeitgleiche Komponenten, verschiedener wohnungspolitischer und rechtlicher Maßnahmen. Im Anschluss schilderten die betroffenen Mieterinnen Patricia Schulte und Annerose Schröder, wie die Situation ihren Lebensalltag bedroht: Im Zuge der Umwandlung versuchen sich die Eigentümer:innen häufig Zugang zur Wohnung zu verschaffen, um Kaufinteressierten die Wohnung zu zeigen.
Die Sorge vor Wohnungsverlust treibt alle um. Antje Wenzel von der Initiative formulierte die Forderungen an die Politik:
- Erhalt der sozialen Mischung im Bezirk
- Erarbeitung von verbindlichen Lösungen und einer Gesamtstrategie für alle betroffenen Wohnungen
- Einrichtung eines Härtefallfonds für Mieter:innen
- Verbot von Eigenbedarfskündigungen
- Initialisierung eines Pilotprojekts für die Kommunalisierung von betroffenen Wohnungen
- Einberufung eines Krisengipfels, um gemeinsam mit den Mieter:innen Lösungen zu erarbeiten
Diese Forderungen richtete sie direkt an die anwesenden Vertreter:innen aus Politik und Verwaltung. Für die Regierungskoalition antworteten die wohnungspolitischen Sprecher:innen Sevim Aydin (SPD) und Ersin Nas (CDU). Beide betonten, dass sie das Problem sehen würden und sagten zu, sich für den Ausbau der kostenlosen Rechtsberatung einzusetzen. Zugleich wollen sie aber auch eine Förderung für die Eigentumsbildung im Bestand. Das muss in den Ohren der Betroffenen zynisch geklungen haben. Mit der drohenden Verdrängung als Folge von Eigentumsbildung konfrontiert, unterstützten beide Vertreter:innen der Regierungskoalition den konstruktiven Vorschlag der Mieter:innen-Initiative und sagten zu, sich an einem Krisengipfel zu beteiligen.
Alle Augen in dem vollen Saal richteten sich danach gespannt auf Christian Gaebler (SPD). Der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sagte, dass auch er die Notwendigkeit einer Gesamtlösung sehe und zu einem Krisengipfel mit der Initiative „Pankow gegen Verdrängung“, mit dem Mieterverein und den Bezirken bereit sei. Die Abstimmung dazu soll in den kommenden Wochen laufen.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Lösung
Diese Verabredung ist ein großer Schritt für die Initiative, die sich erst in diesem Jahr gründete. Gemeinsam mit den Verantwortlichen aus Verwaltung und Politik wollen die engagierten Mieter:innen Lösungen für das komplexe und drängende Problem suchen – ganz nach dem Vorbild der Konferenz zur Rettung der Sozialwohnungen der Mietergemeinschaft Kotti & Co, die den Titel trug „Nichts läuft hier richtig“. Auch der Mieterverein wird die Initiative kräftig bei der Suche nach Lösungen unterstützen, denn die Zeit drängt.
Ein Beitrag von Ulrike Hamann-Onnertz
Wer sich das Hearing in voller Länge anschauen will, findet die Aufzeichnung hier
19.10.2023