In der Berliner Wohnungskrise könnte die Neue Wohngemeinnützigkeit (NWG) ein wichtiger Baustein für dauerhaft günstige Mieten und einen stärkeren gemeinwohlorientierten Wohnungssektor sein. Die beteiligten Wohnungsunternehmen würden von umfassenden Steuerbefreiungen, gezielten Förderungen für Sanierung und Neubau sowie bevorzugter Baulandvergabe profitieren – so sieht es zumindest das Konzept für eine NWG aus dem Deutschen Mieterbund vor.
Die Idee der NWG führt die demokratischen Werte des Genossenschaftswesens, der Gemeinwirtschaft sowie einer sozialen Wohnungsbewirtschaftung zusammen und stärkt sie. Damit scheint sie prädestiniert für eine Beteiligung der Genossenschaften, die mit ihren rund 190.000 Wohnungen in Berlin bereits jetzt eine wichtige Rolle im bezahlbaren Wohnungssegment spielen. Doch es gibt auch Vorbehalte. Wir haben zwei Experten nach den Gründen gefragt und mit ihnen über die Vor- und Nachteile des Konzepts beziehungsweise des Eckpunktepapiers aus dem Bundesbauministerium gesprochen.
Ulf Heitmann ist Sprecher des Bündnisses junger Genossenschaften.
Mit 40 Mitgliedern vertritt das Bündnis circa ein Drittel der Berliner Genossenschaften. Heitmann ist zudem Vorstand bei der Genossenschaft Bremer Höhe eG in Prenzlauer Berg.
Herr Heitmann, wie stehen Sie zur Neuen Wohngemeinnützigkeit? Welche Chancen sehen Sie grundsätzlich?
Grundsätzlich ist unsere Haltung nicht ablehnend, doch wir müssen schauen, was der Gesetzgeber wirklich will, denn derzeit fehlen noch Eckpunkte für die Finanzierung. Wenn ich mir die Optionen für eine NWG aus dem Bundesbauministerium anschaue, bin ich skeptisch, gerade im Hinblick auf die Zielstellung der NWG, eine privilegierte Stellung gemeinnütziger Akteure zu erreichen. Denn vorrangig geht es um bezahlbares Wohnen und wir sehen in Berlin, dass fast nur die gemeinwohlorientierten Unternehmen günstige Wohnungen bereitstellen.
Die Kernfrage ist, ob die Steuerbefreiung in der NWG das geeignete Instrument ist. Viel wichtiger sind privilegierte Förderungen und Zulagen. Die schwarze Null streben die Genossenschaften bereits jetzt in ihren Bilanzen an: Die Satzungen der Genossenschaften legen fest, dass es nicht um Gewinne geht, sondern ausschließlich um eine Rücklagenbildung für Sanierung und Neubau. Auch Belegungs- und Mietpreisbindungen finden sich in den Satzungen: Die Selbstbindungen bedeuten ganz klar, dass wir einst erhaltene Fördermittel nie privatisieren! Das muss generell die Bedingung für jegliche Fördermittel sein. Hier liegt aus unserer Sicht der größte Vorteil einer NWG. Es kann nicht sein, dass Bauunternehmen Fördermittel und Zulagen in Anspruch nehmen, so wie es jetzt beispielsweise in der Landesförderung der Fall ist, und nach 20 bis 30 Jahren stehen die Wohnungen nicht mehr im bezahlbaren Segment zur Verfügung, weil die Sozialbindungen auslaufen. Daher muss eine NWG so ausgestaltet sein, dass künftig ausschließlich gemeinwohlorientierte oder gemeinnützige Träger Fördermittel und Investitionszulagen beziehungsweise Bauzuschüsse erhalten.
Es gibt noch zwei Probleme, die im Eckpunktepapier unkommentiert bleiben, aber bedeutend sind: Bauland ist teuer, das verhindert den Wohnungsneubau. Auch hier müsste der Gesetzgeber über die NWG eine Privilegierung bei der vergünstigten Vergabe schaffen.
Eine weitere Sorge besteht darin, dass die Überführung genossenschaftlicher Unternehmen– in die Gemeinnützigkeit zurzeit steuerlich wie eine Neugründung behandelt wird. Das heißt,. es entstehen extrem hohe Steuern durch die Neubewertung der Grundstücke und Wohnungen. Wenn diese Regelung im Gemeinnützigkeitsrecht erhalten bleibt, kann sich keine unserer Mitgliedsgenossenschaften den Eintritt in die NWG leisten. An dieser Stelle bedarf es dringend einer absichernden Regelung im Gesetz.
Nicht zuletzt muss die NWG Stadtentwicklungsaspekte berücksichtigen. Die Nutzungsmischungen – also Wohnen, Arbeiten, Kultur, medizinische und sonstige Versorgung, Handwerk und Weitere – sind auch in den genossenschaftlich geprägten Stadtquartieren von großer Bedeutung. Der Gesetzgeber sollte die Förderungen daher auf alle Flächen ausweiten, damit eine integrierte Stadtplanung möglich ist. Wer die Stadt der kurzen Wege will, muss sie fördern.
Welche der Optionen im Eckpunktepapier könnte aus Ihrer Sicht für Genossenschaften infrage kommen?
Für uns würde nur Option 1 infrage kommen, die „Eigenständige unternehmensbezogene NWG mit Zulagen“. Laut Eckpunktepapier sind Förderungen und Zuschüsse für die Aktivierung der Genossenschaften als Akteure im gemeinwohlorientierten Wohnungsneubau gewünscht. Allerdings liefert das Eckpunktepapier hierzu keine konkreten Zahlen, etwa die Höhe der Investitionszulage . Wenn das „verpflichtende Kerngeschäft“, wie es dort heißt, die Vermietung von Wohnraum an bestimmte Bevölkerungsgruppen zu dauerhaft günstigen Mieten sein soll, entsteht möglicherweise zukünftig auch ein Bedarf an finanziellen Zulagekomponenten für die Wirtschaftlichkeit der Genossenschaften. Das lesen wir hier so konkret nicht. Dabei sind gerade jetzt Zulagen, Förderungen und Zuschüsse in relevanter Größenordnung nötig. Die Probleme sind bekannt: Die Baukosten insgesamt sind so hoch wie nie!
Darüber hinaus muss klar sein, dass die in Genossenschaften Wohnenden qua Satzung Genossenschaftsmitglieder werden müssen. Wir können nicht einfach günstigen Wohnraum an Nicht-Mitglieder zur Verfügung stellen. Auch bei der Vergabe von Wohnungen innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen müssen die Genossenschaften selbstbestimmt bleiben können.
Wie erklären Sie sich die Vorbehalte einiger Berliner Genossenschaften?
Bei den Genossenschaftswohnungen handelt es sich um kollektives Eigentum. Die Nutzenden (Mietenden) müssen Teil der Gemeinschaft sein, also Mitglieder werden. Wenn wir uns verpflichten, eine in der NWG festgeschriebene Quote unserer Bestände beispielsweise an Bevölkerungsgruppen mit kleinen Einkommen zu vermieten, die wegen der Ausübung des Belegungsrechts der Gemeinde nicht Genossenschaftsmitglieder werden müssen, würde dies deren Mitbestimmungsrecht in der Mitgliederversammlung als wichtigstes Gremium ausschließen.
Dazu kommt, dass alle Genossenschaften eine räumliche Ballung von sozialen Problematiken in ihren Beständen ausschließen wollen. Deren Folgen sind ja seit Jahrzehnten bekannt. Die Kehrseite der sehr günstigen Mieten in Genossenschaften ist die auf Dauer entstehende soziale und altersmäßige Homogenität, denn die Fluktuation bei Genossenschaften ist äußerst gering. Das sollte die NWG berücksichtigen und Anreize schaffen, diesem Prozess entgegenzuwirken.
Was müssen wir vom Bundesgesetzgeber fordern, um mehr Genossenschaftsbestände in eine NWG oder auch die Teil-NWG zu überführen?
Günter Piening ist aktiv in „Die Genossenschafter*innen“,
einem im Februar 2020 gegründeten Zusammenschluss von Mitgliedern Berliner Wohnungsgenossenschaften.
Die Initiative will Hindernisse für ein aktives wohnungspolitisches Engagement von Genossenschaften abbauen, die innergenossenschaftliche Demokratie stärken sowie zu einer Verbreitung des Genossenschaftsgedankens beitragen.
Herr Piening, wie ist Ihre Haltung zur Neuen Wohngemeinnützigkeit? Welche Chancen sehen Sie grundsätzlich?
Alle Versuche, die Mietenentwicklung mit Einzelmaßnahmen in den Griff zu bekommen, sind gescheitert. Ohne den Aufbau eines gemeinnützigen Sektors, in dem die Rendite nicht die bestimmende Kraft ist, wird es keine Umkehr dieser Entwicklung geben. Und genau das könnte die NWG bewirken. Darum unterstützen wir das Konzept. Für Genossenschaften ist die NWG allerdings nichts Neues, denn deren Grundsätze – Renditebeschränkung, demokratische Mitbestimmung, bezahlbarer Wohnraum – sind die Fundamente der Genossenschaftsbewegung.
Die Chancen auf Umsetzung sind derzeit schlecht einzuschätzen, der Widerstand der Immobilienlobby ist groß. Aber immerhin steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag. Und in der Zivilgesellschaft wächst die Einsicht, dass wir den Mietenwahnsinn nicht einfach mit ein paar weiteren Förderprogrammen in den Griff bekommen.
Was halten Sie von dem Eckpunktepapier aus dem Bundesbauministerium? Welche der vorgestellten Varianten kommt aus Ihrer Sicht für Genossenschaften infrage?
Das sind eher Eckpünktchen, eine Ansammlung von Möglichkeiten, die zudem noch unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Das einzig Positive: Die NWG ist jetzt offiziell in der Bundesregierung angekommen. Jetzt ist es wichtig, dass es mehr Druck aus der Zivilgesellschaft gibt, damit daraus ein Richtungspapier mit einer klaren finanziellen Ausstattung wird.
Zur zweiten Frage: Ich halte nichts von der Aufforderung, zwischen den drei Varianten zu wählen. Unser Ausgangspunkt ist ein anderer: Was sind Mindeststandards einer NWG? Dazu gehört, dass Bestände dauerhaft der Profitlogik entzogen werden und dass die Rendite begrenzt ist. Des Weiteren muss es eine Kombination aus Steuererleichterungen und Zulagen beziehungsweise Projektförderung geben. Ansonsten werden gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen angesichts der explodierenden Kosten kaum in der Lage sein, Wohnraum zu einigermaßen erträglichen Konditionen zu bieten.
Wir Genossenschafter:innen werden besonders darauf achten, dass die Mitbestimmung der Wohnenden eine große Rolle spielt. Wohnende müssen ein Informations- und Anhörungsrecht auch bei der Investitionsplanung bekommen, denn über die Transparenz nach innen entstehen Kontrollmöglichkeiten. Immerhin kennen sie ihr Wohnumfeld am besten und sie müssten auch die Folgen von Fehlentwicklungen tragen. Das Konzept des DMB enthält gute Vorschläge für angemessene Beteiligungsstrukturen und kommt unseren in der Genossenschaftstradition stehenden Vorstellungen sehr nahe.
Wie erklären Sie sich die Vorbehalte der großen Berliner Genossenschaften?
Bei vielen Genossenschaftsmitgliedern gibt es große Sympathien für eine NWG. Wahrgenommen werden aber nur die Vorstände. Hier fehlt mir in der öffentlichen Diskussion häufig die nötige Differenziertheit. Die Genossenschaften sind kein einheitlicher Block. Die meisten Vorstände der großen Traditionsgenossenschaften lehnen die NWG ab. Ihre Argumente unterscheiden sich kaum von denen der privaten Immobilienwirtschaft.
Es gibt aber auch Vorstände, die der NWG im Grunde positiv gegenüberstehen, weil Genossenschaften von dem Modell profitieren würden und sie weiterhin günstige Mieten anbieten und ihre Bestände erweitern könnten. Bedenken aus diesen Reihen sollte man ernst nehmen, denn dahinter steckt eine Menge Erfahrung in Sachen sozialer Wohnungspolitik.
Nicht akzeptabel ist es aber, wenn Genossenschaftsvorstände die Privilegien der NWG ohne Gegenleistung wollen. Besonders gegen Auflagen der Mietpreisbindung, die sich aus einer Förderung von Sozialwohnungen mit Wohnberechtigungsschein (WBS) ergeben, gibt es Widerstand. Da heißt es dann etwa, dass Belegungsbindungen die Mitgliederrechte und die Selbstverwaltung von Genossenschaften einschränken würden. Doch wo ist das Problem, wenn eine Genossenschaft einen bestimmten Anteil ihrer Wohnungen an Mitglieder mit WBS-Schein vergeben muss? Mitglieder sind Mitglieder, und der WBS ist inzwischen Normalität in Berlin. Hier scheint es um Vorbehalte gegen Mieter:innen mit niedrigem Einkommen zu gehen. Eine aktuelle Befragung von Vorständen großer Hamburger Genossenschaften bestätigt das. Alle beklagten die „schlechte“ soziale Zusammensetzung ihrer Bewohner:innenschaft und gaben als primäres Ziel ihrer Investitions- und Vermietungspolitik an, für Bewohner:innen mit höherem Einkommen attraktiv zu werden. Keiner wollte die Mieter:innen, für die die NWG gedacht ist: Menschen mit niedrigerem Einkommen.
Was müssen wir vom Bundesgesetzgeber fordern, um mehr Genossenschaftsbestände in eine NWG oder auch die Teil-NWG zu überführen?
Alle Forderungen für einen gemeinnützigen Wohnungssektor, der auch für Genossenschaften attraktiv wäre, liegen der Bundesregierung bereits vor. Nun ist sie am Zug und muss ein Rahmenpapier mit Finanzierungsaussagen erarbeiten und zur Diskussion stellen.
Gleichzeitig braucht es mehr Druck aus der Öffentlichkeit. Bisher ist die NWG nur ein Thema in überschaubaren Fachkreisen. Um das zu ändern, müssen Verbände und Initiativen stärker herausstellen, was die Wohnenden selbst von einer NWG haben. Hier könnte der Mieterverein eine Vorreiterrolle übernehmen. Vielleicht kommt es ja auch zu einem Bündnis aus Mieterorganisationen, Gewerkschaften, Initiativen und Genossenschaften, das nach der Sommerpause mit einer gemeinsamen Position in die Debatte einsteigt und sagt: Ja, wir sind für die NWG, weil sie dauerhaft bezahlbaren Wohnraum sichert.
Ausblick
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat auf dem 70. Mietertag in Bremen angekündigt, unmittelbar nach der Sommerpause in die politische Debatte zur NWG einzusteigen. In einigen Punkten scheint Einigkeit zu herrschen. Ein gemeinsamer Dialog mit vielfältigen Akteuren könnte Bedenken von Genossenschaften aufnehmen und in Ergänzungsvorschläge umwandeln. Hier ist ein starker Zusammenschluss von Initiativen, Genossenschaften und Mieter:innenorganisationen gefragt. Vor allem aber braucht es ein echtes Gesetzeskonzept des federführenden Ministeriums für Bau mit ausreichend finanzieller Unterfütterung. Die Finanzierung von langfristigen Förderungen und Investitionszulagen ist für die Genossenschaften der zentrale Dreh- und Angelpunkt. Einige ihrer Bedenken speisen sich aus Fehlern der Vergangenheit. Andere wiederum sind den besonderen Kriterien im Genossenschaftswesen geschuldet. Über das Ziel sind sich jedoch Mieterverbände und Genossenschaften einig: dauerhafte Bezahlbarkeit beim Wohnen. Und die Unterstützung der großen Wohnungsbaugenossenschaften beim preisgünstigen Wohnungsbau ist ein weiteres gemeinsames Ziel.
Ein Beitrag von Franziska Schulte
20.07.2023