Der Bericht der Berliner Expert:innen-Kommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ liegt seit Juni 2023 vor, doch der Senat verschleppt die Umsetzung. In unserem Forum Wohnungspolitik haben wir im Januar mit Expert:innen über notwendige nächste Schritte diskutiert.
Die Berliner Expert:innen-Kommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ hat viele grundsätzliche Fragen klären können. In ihrem Abschlussbericht vom Juni 2023 kommt sie zu der Einschätzung, dass eine Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Konzerne grundgesetzkonform wäre und stellt fest: Berlin hat die Gesetzgebungskompetenz, mildere Mittel sind nicht erkennbar und 3.000 Wohnungen stellen eine angemessene Größe für die Eingrenzung der Kandidaten dar.
Trotz dieser Erkenntnisse hat der Senat keine konkreten Schritte zur Realisierung des Volksentscheids eingeleitet. Stattdessen plant er, ein allumfassendes Vergesellschaftungsrahmengesetz auf den Weg zu bringen, das allerdings erst zwei Jahre nach Verabschiedung durch das Abgeordnetenhaus in Kraft treten soll. Zuvor will er ein weiteres Gutachten in Auftrag geben, um verfassungsrechtliche Fragen zu klären. Das ist Anlass für die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, einen eigenen Gesetzesvolksentscheid zu organisieren – eine Initiative, die wir begrüßen.
Wie geht es jetzt weiter?
Diese Frage haben wir am 30. Januar 2024 in unserem Forum Wohnungspolitik gemeinsam mit Expert:innen aus der Kommission und der Wissenschaft diskutiert. Im Fokus stand die aus unserer Sicht zentrale, doch bisher ungeklärte ökonomische Frage nach der Entschädigungshöhe, deren Ermittlung maßgeblich von der zukünftigen Bewirtschaftungsform sowie den Miethöhen der Wohnungen abhängt. Daher verwundert es kaum, dass es auch in den Beratungen und Abstimmungen der Kommission zu unterschiedlichen Einschätzungen (Sondervoten) gekommen ist. Die Entschädigungsregelung in einem Vergesellschaftungsgesetz dürfte für die Verfassungsmäßigkeit desselbigen zentral sein.
Die Kalkulation von möglichen Entschädigungshöhen
Thorsten Beckers, Professor für Infrastrukturwirtschaft und -management an der Bauhaus-Universität Weimar und Mitglied der Expert:innenkommission, hob in seinem Vortrag das relative Mietenreduktionspotential in einem vergesellschafteten Bestand im Vergleich zum Neubau-Szenario für die Zukunft als ein sinnvolles Ziel einer Vergesellschaftung hervor. Er verwies auf das Spannungsverhältnis zwischen Artikel 14 Absatz 3 Satz 3 des Grundgesetzes (GG; „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“) und der Frage nach der Verhältnismäßigkeitsüberprüfung bei der Festsetzung von Entschädigungshöhen. Artikel 15 im Grundgesetz behandelt zwar die Vergesellschaftung von Gütern und Grund und Boden, verweist für die Entschädigung bei Enteignung jedoch auf zuvor genannten Satz in Artikel 14 GG.
Qualitative Analysen deuten laut Beckers deutlich auf die Existenz eines solchen „Fensters“ hin, in dem Grundgesetzkonforme Festsetzungen der Entschädigungshöhen möglich sind. Diese sollten jedoch unbedingt von quantitativen Analysen begleitet werden. Dafür legt Beckers ein Konzept vor, das als ersten Arbeitsschritt die Bildung eines beispielhaft modellierten Portfolios an Wohnungen als Basis für verschiedene Ansätze zur Berechnung von Entschädigungshöhen vorsieht.
Instandhaltungsstau und Wertermittlung
Die Frage „Wie kommen wir zu einer Berechnung der Entschädigungshöhe?“ ist auch für Jan Kuhnert zentral. Der wohnungswirtschaftliche Unternehmensberater und ehemalige Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin sieht den Senat in der Verantwortung, ein Gutachten über verschiedene Berechnungswege erstellen zu lassen, um an einen Näherungswert zu kommen. Eng mit der Frage nach der Entschädigungshöhe verbunden ist für ihn die weitere Frage nach der Wertermittlung des Bestandes. Schließlich sei der Zweck einer Vergesellschaftung nicht nur, günstige Mieten zu realisieren, sondern auch, mietfähige Objekte zu haben. Daher sei es wichtig, zu ermitteln, wie hoch der reale Instandhaltungsstau bei den in Frage stehenden Beständen ist. Damit dürfe man nicht ewig warten, warnte Kuhnert und schlug vor, die Gebäudebestände nach Typen zu clustern, sich einzelne Objekte anzuschauen und von dieser Basis aus hochzurechnen. Allerdings seien die zuständigen Berliner Senatsstellen den wiederholten Anfragen der Kommission nach Bestands- und Unternehmensdaten – also adressgenauen Wohnungsbeständen – nicht nachgekommen.
Die Zeit drängt!
In eine ähnliche Richtung verwies auch Matthias Bernt, kommissarischer Leiter Forschungsschwerpunkt Politik und Planung am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung: „Wenn ich Zugang zu den Adressen habe, könnte ich Cluster bilden und hochrechnen. Technisch ist das alles machbar. Das Problem ist: Wir haben keine Landesregierung, die das will.“ Als möglichen Lösungsansatz schlägt er vor, ausgewählte Häuser unterschiedlicher Bautypen und Lagen für eine Hochrechnung zu nutzen. Auch Bernt verwies darauf, dass die Zeit dränge: Spätestens im Sommer müsse diese Grundlage geschaffen sein. Bernt appelliert an die Bildung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Oppositionsparteien, Gewerkschaften und Mietervereinen, um finanzielle Mittel und Ressourcen zu mobilisieren und so politische Unterstützung zu gewinnen.
Die Aufzeichnung der gesamten Diskussion können Sie auf unserem Youtube-Kanal anschauen.
sk/Redaktion
19.02.2024