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Die Marktdefizite bleiben
Wohnen – und vor allem das Wohnen zur Miete – ist in Deutschland und besonders in der Mieterstadt Berlin ein komplizierter Wirtschaftsbereich. Auch mehr als 100 Jahre nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird in der Wohnungswirtschaft – anders als beim Einzelhandel, dem Maschinenbau oder dem Kreditwesen – staatliche Beeinflussung als unverrückbarer Kernpunkt akzeptiert. Die Privatisierung von Wohnungsunternehmen oder Wohnanlagen in den letzten Jahren hat die Debatte um die Wohnungsversorgung, um die Chancengleichheit der Marktteilnehmer und die Rolle der Wohnungspolitik neu entfacht. Trotz teilweise umfangreichen Wohnungsleerstands und weitgehenden Desinteresses an der Wohnungspolitik in der durch Eigentum zumeist zufriedenstellend versorgten politischen Elite muss Bundesbauminister Tiefensee (SPD) erklären: „Die Unterstützung von einkommensschwachen Haushalten bei der Versorgung mit angemessenem und familiengerechtem Wohnraum ist ein wichtiger wohnungspolitischer Schwerpunkt dieser Regierungskoalition.“
Allerdings haben sich die Eckpfeiler des fürsorglichen Sozialstaats im Laufe der letzten zehn Jahre deutlich geändert. Die einst umfangreiche Objektförderung des Sozialen Wohnungsbaus wie auch die Förderung der Sanierung bestehender Wohngebäude mit einer Mietenbindung zugunsten der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung ist weitgehend gestoppt und zudem im Kern aus der Verantwortung des Bundes entlassen worden. Gründe für diese Entwicklung gibt es viele. Gewiss ist, dass die Objektförderung im Berliner Sozialen Wohnungsbau der letzten 35 Jahre für die Bewältigung heutiger Wohnungsprobleme nicht geeignet ist. Auch Wohnungswirtschaft und Politik sind mittlerweile zu der späten Erkenntnis gelangt, dass man über Wohnungsneubau die Defizite oder Zugangsprobleme von einkommensschwachen Marktteilnehmern nicht bewältigen kann. Doch aus der mangelnden Zielgenauigkeit der bisherigen Objektförderung wurde nicht gelernt. Im Gegenteil. Den verbliebenen Förderprogrammen des Stadtumbaus und den neuen Fördertöpfen für den Klimaschutz fehlt der Bezug auf die Gruppe derer, die auf besonderes staatliches Augenmerk angewiesen ist.
Was bleibt, ist ein mehr oder weniger sinnvolles System von Mietzuschüssen. Dies sind neben Wohngeld und Arbeitslosengeld II, Grundsicherung und Sozialhilfe auch Subventionen zur Sicherung von Kappungsgrenzen im Sozialen Wohnungsbau und andere Hilfen zum Härteausgleich. Doch die Kluft zwischen Arm und Reich wächst und hat längst einen deutlich erkennbaren räumlichen Bezug erhalten. Mit Quartiersmanagements versuchen Bund und Land nun den weiteren Absturz von Wohnvierteln zu vermeiden und der Ausgrenzung Einhalt zu gebieten. Doch gegen die mit dem Umbau des Sozialstaats verbundenen gesamtgesellschaftlichen Prozesse wirken Quartiersmanagement und das Förderprogramm „Soziale Stadt“ allenfalls wie ein Tropfen auf den heißen Stein. „Der Trend geht zum isolierten Nebeneinander von Inseln der Armut und Luxusquartieren“, heißt es in einem Artikel der „welt online“ vom 1. November 2007.
Neben der Einkommenssituation ist auch die Verteilung des Vermögens ein Beleg für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW-Wochenbericht 45/2007) auf Basis des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus dem Jahr 2002 verfügen rund zwei Drittel der Bevölkerung ab 17 Jahren über kein oder nur ein sehr geringes Geld- und Immobilienvermögen. 70 Prozent der Bevölkerung teilen sich am gesamten Vermögen 10 Prozent. Die ärmsten 10 Prozent haben nur noch Schulden. Auf der anderen Seite besitzt das reichste Zehntel der Republik knapp 60 Prozent des Vermögens. Das oberste Prozent nennt gar 20 Prozent des Gesamtvermögens sein Eigen.
In Berlin mussten im Jahre 2006 rund 800.000 von etwa 1,9 Millionen Privathaushalten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1300 Euro auskommen. Etwa 400.000 dieser Haushalte verfügen sogar nur über ein monatliches Einkommen von unter 900 Euro. Wegen der sich deutlich erhöhenden Mieten von im Schnitt drei Prozent pro Jahr sind große Teile dieser Haushalte auf Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand angewiesen. Dieses „MieterMagazin Spezial“ gibt einen Überblick über individuelle Förderungen, gleichzeitig auch über eine relativ neue steuerliche Vergünstigung für haushaltsnahe Dienstleistungen, die steuerpflichtige Mieter in Anspruch nehmen können.
Reiner Wild
MieterMagazin 1+2/08
Foto: Christian Muhrbeck
11.09.2019