Berlin wird tropisch: Der durch den Klimawandel verursachte Temperaturanstieg wird vor allem innerhalb des dicht bebauten S-Bahn-Rings zum Problem. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung setzt auf Anpassungsstrategien, um die Folgen zumindest abzumildern.
Die Häuser erstrahlen in hellen Farben, Efeu rankt die Fassade hoch, Bäume säumen die Straße. In einer Baulücke wächst Gras, es blühen Sträucher und Pflanzen. Berlin wandelt sich zur hellen und grünen Stadt – zumindest wäre das ganz im Sinne des Stadtentwicklungsplans (StEP) Klima, den Senatorin Ingeborg Junge-Reyer im Januar vorgestellt hat. Spätestens Anfang Juni soll er veröffentlicht werden. Der Plan beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Berlin an den Klimawandel anpassen kann. „Bislang ging es immer in erster Linie um Klimaschutz“, sagt der zuständige Projektleiter Heinz Brandl. „Doch da es klimatische Veränderungen geben wird, brauchen wir Strategien, um uns und die Stadt daran anzupassen.“ Das müsse auch räumlich geschehen und Klimaschutz mit Klimaanpassung verbunden werden.
Städte sind nicht nur wesentlich für den Klimawandel mitverantwortlich – allein der Gebäudebereich verursacht etwa ein Drittel des CO2-Ausstoßes. Städte sind auch besonders stark von seinen Folgen betroffen: So wird die jährliche Durchschnittstemperatur in Berlin bis 2050 um bis zu 2,5 Grad Celsius steigen. Vor allem dicht bebaute Gebiete können sich im Sommer aufheizen wie Backöfen. Das veranschaulichen auch die „Untersuchungen zum Klimawandel in Berlin“, die das Unternehmen GEO-NET Umweltconsulting im Auftrag der Senatsverwaltung erstellt hat und die eine der Grundlagen für den StEP Klima bilden. Demnach werden extreme Wetterlagen zunehmen: häufigere und intensivere Hitze- und Trockenperioden im Sommer. Und statt heute vier bis fünf Tropennächte mit mindestens 20 Grad werden es eher acht sein. Andererseits wird es deutlich feuchtere Winter und sturzbachartige Regenfälle geben, die Kanalisation und Klärwerke gar nicht mehr auffangen können.
Extreme Wetterlagen werden zunehmen
Mit Hilfe des StEP Klima soll in erster Linie die Lebensqualität der Berliner unter heutigen und unter künftigen klimatischen Bedingungen erhalten und verbessert werden. Denn während gesunde und jüngere Menschen zweieinhalb Grad mehr nicht unbedingt stören, geschweige denn schaden, kann der Temperaturanstieg älteren oder kranken Menschen erheblich zu schaffen machen, wie die teils tropischen Verhältnisse des vergangenen Sommers gezeigt haben. „Es wäre jedoch eine fatale Botschaft, wenn die Menschen deshalb in weniger besiedelte Gegenden außerhalb der Stadt ziehen würden“, betont Brandl. Deshalb rücke der StEP Anpassungsstrategien gerade für die besonders betroffenen innerstädtischen Gebiete in den Mittelpunkt.
Wie sich die zunehmende sommerliche Wärmebelastung besser in den Griff bekommen lässt, haben die Experten am Beispiel eines Referenzgebietes in Berlin-Charlottenburg simuliert. Es handelt sich um einen dicht bebauten Block mit Altbauten aus der Gründerzeit. „Als effektivste Maßnahmen haben sich die Erhöhung der ,Albedo‘, zusätzliche Straßenbäume sowie die Entsiegelung von Flächen erwiesen“, sagt Brandl. „Albedo“ gibt die Fähigkeit von Oberflächen an, Sonnenstrahlen zu reflektieren. Je weißer eine Fläche ist, desto besser funktioniert das. Weiß oder zumindest hell gestrichene Fassaden sorgen deshalb dafür, dass sich die Häuser weniger aufheizen. Eine dunkle Fläche absorbiert die Wärmestrahlung hingegen.
Bäume in Straßen und Innenhöfen sorgen nicht nur für Schatten, sondern verdunsten auch Wasser. Beides senkt die Lufttemperatur. Ein Blick auf die Anzahl der Sommertage mit Temperaturen über 25 Grad in unterschiedlich grünen Berliner Bezirken verdeutlicht das: Während es in Mitte zwischen 2001 und 2010 im Schnitt pro Jahr 53 Sommertage gab, waren es in den durchgrünten Siedlungsflächen von Grunewald nur maximal 23 Tage. Zusätzliche Bäume sorgen zudem für eine Entsiegelung des Bodens, also ein „Aufbrechen“ geschlossener Asphaltdecken. In Parkplatzbereichen könnte Grobsteinpflaster für Entsiegelung sorgen. Auch hier hält sich die Hitze weniger und Regenwasser kann besser versickern.
Wunsch und Wirklichkeit
Was sich jeweils anbiete und machbar sei, müsse immer aufgrund der Gegebenheiten vor Ort entschieden werden. „Der StEP Klima zeigt, dass auch kleinteilige Maßnahmen große Effekte erzielen können.“
Eine wichtige ausgleichende Funktion haben auch Grün- und Freiflächen. „Ab einem Hektar kann eine innerstädtische Grünfläche einen nennenswerten Beitrag zur Abkühlung angrenzender bebauter Bereiche leisten“, so Brandl. „Deshalb müssen nicht nur die bereits existierenden Grün- und Freiflächen erhalten, sondern weitere geschaffen werden.“ Auch Starkregen kann hier zum Beispiel versickern und so verhindert werden, dass die Kanalisation überläuft – was wegen Berlins Mischkanalisation für Regen- und Abwasser aus hygienischen Gründen problematisch ist. Die im StEP Klima vorgeschlagenen Maßnahmen seien zwar auf jeden Fall sinnvoll und gut, sagt Carmen Schultze, Sprecherin des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Berlin. „Die Berliner Realität sieht jedoch bisher so aus, dass Baumbestand und Grünflächen schrumpfen und nicht ausreichend gepflegt werden.“ Entstehe etwa auf dem Tegeler Flugfeld tatsächlich ein großes Gewerbegebiet, führe das eher zu Ver- statt Entsiegelung. Außerdem würden seit Jahren mehr Bäume gefällt als neue gepflanzt.
Dass es gerade in innerstädtischen Gebieten eher kontraproduktiv ist, Bäume zu fällen und die wenigen letzten Brachen zuzubauen, weiß auch Brandl. „Aber der StEP Klima ist kein formelles Planwerk. Wir können lediglich den Bezirks- und Planungsämtern ans Herz legen, dafür zu sorgen, dass zum Beispiel eine Baulücke nicht ungeprüft bebaut wird.“ Im Baugesetzbuch werde zwar Klimaschutz als wichtiges Ziel genannt, um Klimaanpassung gehe es jedoch noch überhaupt nicht.
Der Berliner Mieterverein vermisst in dem Zusammenhang auch Vorschläge zu quartiersbezogenen Maßnahmen. „Die vielen privaten Hauseigentümer in Berlin bekommt man nicht so einfach ins Boot, und bestimmte Maßnahmen sind zum Beispiel bei einem Gründerzeitaltbau mit Stuckfassade gar nicht umsetzbar“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Klimaschutz und Klimaanpassung müssten deshalb grundstücksübergreifend angegangen werden. Auch sollten Mittel etwa aus der Förderung von Sanierungsgebieten, Stadtumbauquartieren und Sozialer Stadt mit einer klimagerechten Stadterneuerung verknüpft und dadurch gebündelt werden.
Sicher ist: Zusätzliche Finanzmittel hat der Senat dafür nicht. Hauptkritikpunkt des BUND Berlin ist deshalb, dass im StEP Klima für die vorgeschlagenen Maßnahmen weder Geld noch personelle Ressourcen berechnet wurden. „Es wird nicht benannt, wer was bis wann und mit welchen Mitteln umsetzen soll“, bemängelt Schultze. Allein Bäume zu pflanzen und zu pflegen werde viel Geld kosten.
Allerdings will die Senatsverwaltung den StEP Klima auch nicht als verbindliches Programm, sondern als eine „Roadmap“ verstanden wissen. Er solle einen Weg aufzeigen, der sich unterwegs verändern könne, bei dem aber das Ziel bestehen bleibe. Brandl: „Die Antennen sind jetzt auf Empfang gestellt.“ Angesichts des gescheiterten Klimaschutzgesetzes ist das auch bitter nötig.
Kristina Simons
MieterMagazin 3/11
„Albedo“-Effekt: Weiße Fassaden sorgen dafür, dass sich die Häuser im Sommer weniger aufheizen
alle Fotos: Sabine Münch
Grüne Flächen reduzieren sommerliche Hitze durch Verdunstung
Nach wie vor werden großflächig Stadträume versiegelt: Asphalt-Parkplatzfläche vor der Friedrichshainer O2-World
Download der „Untersuchungen zum Klimawandel in Berlin“ unter
www.stadtentwicklung.berlin.de/
Zum Thema
Klimaanpassung als
Gemeinschaftsaufgabe
Der StEP Klima konzentriert sich in erster Linie auf vier Handlungsfelder und nennt jeweils Ziele und Lösungsmöglichkeiten: Bioklima im besiedelten Raum, Grün- und Freiflächen, Gewässerqualität und Starkregen sowie Klimaschutz. Ende Dezember 2010 wurde das Fachgutachten zum StEP Klima fertig gestellt, auf dessen Grundlage derzeit der Stadtentwicklungsplan erarbeitet wird. „Im April oder Mai werden wir ihn in Senat und Abgeordnetenhaus einbringen und uns gemeinsam darüber abstimmen“, so Projektleiter Heinz Brandl. Dann werde auch die Öffentlichkeit aufgefordert mitzudiskutieren.
ks
07.07.2019