Ein Bett im Warmen, eine Mahlzeit, die Möglichkeit sich zu duschen – das scheint kein hoher Standard. Aber längst nicht jede Anlaufstelle für eine Notübernachtung kann das für die Betroffenen gewährleisten. Hinzu kommt: Viele Obdachlose wollen und können nicht – wie es häufig üblich ist – mit anderen Menschen in einem Raum übernachten. Um zur Ruhe zu kommen, muss Privatsphäre geschaffen werden.
Das kleine blaue Schild ist leicht zu übersehen: Notfallübernachtung. Aber wer in den kalten Abendstunden einen geschützten Schlafplatz braucht, weiß, wonach er suchen muss. Der Pfeil zeigt ihm den Weg in eine neue Einrichtung der Berliner Kältehilfe in der Storkower Straße 133 A. „Wer zu uns kommt, soll für einen Abend und eine Nacht mit dem Nötigsten versorgt sein“, erklärt Robert Veltmann, Geschäftsführer der Gebewo. Die gemeinnützige Gesellschaft, ein erfahrener Träger der Wohnungslosen- und Kältehilfe, weiß genau, was obdachlose Menschen in kalten Winternächten dringend brauchen: eine vollwertige warme Mahlzeit, eine Möglichkeit zur Körperpflege und einen Schlafplatz, der ihnen nicht nur Schutz vor Kälte, sondern auch ein Mindestmaß an Ruhe und Sicherheit bietet.
In der Notunterkunft Storkower Straße gelang es in kürzester Zeit, einen Standard zu schaffen, der sich in anderen Berliner Einrichtungen so noch längst nicht findet: Saubere geflieste Duschen, einen freundlichen Speiseraum, vor allem aber keine Massensäle mit dicht an dicht stehenden Liegen. Hier gibt es kleinere Vierbettzimmer auf zwei Etagen, getrennt für Männer und Frauen. Jeden Abend werden frische Handtücher und sauberes Bettzeug ausgegeben. Wer keine Hygieneartikel im Gepäck hat, der kann sich an der Rezeption kostenlos damit versorgen. Robert Veltmann: „Wir möchten, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, sich frisch geduscht zum Abendbrot zu setzen.“ Und am Morgen mit einem ausreichenden Frühstück im Magen das Haus wieder zu verlassen. Kein Wunder, dass die 100 Plätze, die bereitgehalten werden, inzwischen fast jeden Abend belegt sind. Wer nicht mehr aufgenommen werden kann, bekommt die Adresse der nächsten Kälteübernachtung, die noch Schlafplätze frei hat.
Nur kein Massenschlafsaal
1200 Plätze stehen in diesem Winter insgesamt dafür bereit. Die Auslastung schwankt, mal sind über 200 Schlafstellen frei, mal deutlich weniger. Einige kommen vielleicht bei Freunden oder Bekannten unter, die allermeisten der mehrere Tausend Obdachlosen jedoch bleiben selbst bei empfindlichen Kältegraden lieber draußen. Nicht jeder will eben mit anderen Menschen in einem Raum übernachten.
Auch in diesem Winter haben deshalb wieder zwei Kältebahnhöfe geöffnet. Insgesamt 50 Plätze gibt es in den U-Bahnhöfen Lichtenberg und Moritzplatz. Toiletten sind aufgestellt, Wärmeräume werden angeboten, Sozialarbeiter der Stadtmission und von Karuna, einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Not, schauen nach denen, die sich hier zum Schlafen legen.
Aber die weißen Kreuze, die vom 23. bis zum 25. Januar dieses Jahres vor dem Roten Rathaus aufgestellt worden waren, demonstrierten: Das reicht nicht! Auch in diesem Winter sind wieder obdachlose Menschen auf der Straße gestorben. Mit einer Mahnwache wollten deshalb ein Berliner Bündnis aus Wohnungslosenparlament, Bundesarbeitsgemeinschaft Soziales und Generationen, dem Arbeitskreis Wohnungsnot und vielen anderen sozialen Vereinen auf das Schicksal der Obdachlosen aufmerksam machen und Verantwortung einfordern. Wer stehen blieb, konnte nicht nur nachfragen, sondern auch einen Blick in ein „Little Home“ werfen – eine Wohnbox aus Holz, die auf Rädern steht. Auf 3,2 Quadratmetern liegt eine Matratze, ist ein Regal eingebaut, eine Campingtoilette untergebracht, ein Erste-Hilfe-Set, ein Feuerlöscher.
Große Firmen unterstützen das „Little Home“
Der Kölner Fotograf Sven Lüdecke hatte vor zehn Jahren die Idee zu der transportablen Box für Obdachlose. Er gründete einen Verein und hat sich inzwischen starke Verbündete gesucht. Das sind nicht nur die vielen ehrenamtlichen Helfer in 10 Städten, die bisher insgesamt 70 Boxen aus Spendengeldern aufgebaut haben. Unterstützung leisten längst auch große Firmen wie beispielsweise die „toom“-Baumärkte, auf deren Gelände die Häuschen aufgebaut werden dürfen – wenn es möglich ist, mit jenen Obdachlosen zusammen, die eine solche Box geschenkt bekommen. Sven Lüdecke: „Zum einen sehen wir, wer da einziehen möchte – wir lernen die Obdachlosen kennen. Zum anderen: Wer seine Unterkunft mitgezimmert hat, geht achtsam damit um.“
Sven Lüdeckes Engagement mag manchem wie der Tropfen auf einem heißen Stein erscheinen – aber es zeigt, welch gewaltige Rolle ein noch so kleiner privater Raum für einen Menschen spielen kann: „Wer da einzieht, hat wieder einen festen Schlafplatz, kann sich zurückziehen, die Tür hinter sich zu machen. Er oder sie muss nicht mehr Nacht für Nacht nach einem sicheren Ort suchen, immer mit der Angst, bestohlen zu werden und die wenigen Habseligkeiten zu verlieren.“
Die meisten kommen so in dem winzigen Haus zur Ruhe und finden auch wieder ein Stück zu sich selbst. Bereits 26 Menschen haben mit einem „Little Home“ den Weg aus der Obdachlosigkeit herausgefunden und sind zurück in eine eigene Wohnung gezogen, 19 von ihnen verdienen sogar wieder ihr eigenes Geld.
„Das zeigt uns doch, wie wichtig die eigenen vier Wände sind“, erklärt Franziska Schulte vom Berliner Mieterverein (BMV). „Als Mieterverein stellen wir uns erst einmal mit aller Kraft gegen die Verdrängung von Menschen aus ihren Wohnungen. Aber wir nehmen auch die Perspektive jener wahr, die ganz am Rand unserer Gesellschaft angekommen sind.“ So unterstützte der BMV auch finanziell die Ausstattung des „Little Homes“, das vor dem Roten Rathaus stand und mit einem festen Stellplatz an einen Obdachlosen dieser Stadt übergeben wurde.
„Das ist eine Hilfe, die wir dringend brauchen“, erklärt Dietlind Schmidt, die seit zehn Jahren obdachlos ist und zu den Initiatoren des Wohnungslosenparlaments gehört. „Ohne Organisationen wie den Mieterverein hätten wir doch keine Chance, niemand würde uns hören!“ Zusammenstehen, sich bewegen, etwas unternehmen – das ist ihre Devise. „Sonst verändert sich nichts!“
Rosemarie Mieder
Wohnungslos
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V (BAG W) spricht von Wohnungsnotfällen.
Dazu gehören:
- von Wohnungslosigkeit betroffene Menschen ohne eigene mietvertraglich abgesicherte Wohnung beziehungsweise ohne Wohneigentum;
- von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, denen der Verlust ihrer Wohnung unmittelbar bevorsteht;
- Menschen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben.
In Berlin sind schätzungsweise 37.000 Menschen in betreuten Wohnungslosenheimen und -einrichtungen untergebracht. Viele andere leben – aus Mangel an Plätzen – in Hostels und Pensionen. Nach Schätzungen der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales gibt es 50.000 wohnungslose Menschen in Berlin – genau weiß man es nicht, weil viele erst einmal bei Verwandten oder Freunden unterkommen.
Obdachlos
Die Zahl der Obdachlosen – also jener Menschen, die in keiner Einrichtung, sondern auf der Straße leben, ist bis heute nicht erfasst. Allerdings soll nach Auskunft der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales noch in diesem Jahr mit einer Zählung begonnen werden. Ihr Ziel ist es, die realen Hilfeangebote zu erfassen und auch festzustellen, woher die Obdachlosen kommen.
rm
23.02.2019