Zum Irre-Werden: Oben rast ein Bobbycar den Flur entlang, ein Heimwerker nebenan bohrt und hämmert, von unten donnern Bässe durch den Fußboden – und das alles schon seit Wochen. Irgendwann ist das Maß voll. Aus angesammeltem Ärger kann handfester Krach im Haus werden. Doch das lässt sich auch vermeiden, wie die für den Berliner Mieterverein (BMV) tätigen Mediatorinnen H. Fenske und Y. Vita erklären.
MieterMagazin: Infolge von Kita- und Schulschließungen sowie Homeoffice sind viele Menschen fast den ganzen Tag zu Hause. Da können sich Nachbarn näherkommen – aber auch gehörig auf die Nerven gehen. Konnten sie als Mediatorinnen eine Zunahme von Streitigkeiten feststellen?
Fenske: Wir bekommen tatsächlich gerade seit dem zweiten Lockdown vermehrt Anrufe und E-Mails zu Streitigkeiten im Haus. Diese Menschen wollen sich einfach mal aussprechen, ihrem Ärger Luft machen und brauchen einen Rat.
Vita: … oft zu einem Konflikt, der schon viel länger „schmort“. Aber jetzt, wo Mieterinnen und Mieter buchstäblich Wand an Wand hocken, liegen die Nerven blank.
MieterMagazin: Was sind die häufigsten Probleme?
Fenske: Ruhestörender Lärm, und zwar nachts wie tags – das ist neu.
Vita: Ärger gibt es übrigens nicht nur unter Nachbarn, sondern auch innerhalb von Wohngemeinschaften. Die Beschwerden über Störungen ziehen sich durch alle Altersgruppen und soziale Schichten.
MieterMagazin: Warum reagieren wir so empfindlich, was unsere Nachbarn angeht?
Vita: Die Wohnung ist unser Rückzugsort, in den eigenen vier Wänden wollen wir uns sicher fühlen. Und dazu gehört eben auch Ruhe.
Fenske: Es besteht auch die Gefahr, die Störung durch Geräusche als bewusst verursacht zu betrachten nach dem Motto: „Der will mich wohl schon wieder provozieren!“ Dabei wissen wir gar nicht, warum der Nachbar etwas tut. Wir machen uns oft falsche Vorstellungen von unserer Umgebung. Daran ist der Vermieter mitunter nicht ganz unschuldig.
MieterMagazin: Wie das?
Fenske: Wir hatten den Fall einer jungen Familie, die mit ihrem kleinen Kind in eine Altbauwohnung gezogen ist und ziemlich schnell Ärger mit der Nachbarin im Stockwerk darunter bekam. Dort wohnte eine selbstständige Werbemanagerin, die ihren Arbeitsplatz zu Hause hatte. Erst in einem gemeinsamen Gespräch mit uns kamen sich die Mietparteien näher und stellten fest, dass der Vermieter jedem von ihnen etwas anderes versprochen hatte. Den jungen Leuten ein familien- und kinderfreundliches Haus, so wie die sich das gewünscht hatten. Und der Geschäftsfrau eine ruhige gediegene Atmosphäre, eine gute Adresse auch zum Arbeiten.
Nicht zu lange mit der Aussprache warten
MieterMagazin: Und eine solche Situation kann eskalieren …
Fenske: … wenn Emotionen das Handeln übernehmen. Dann folgen nicht selten Anschreien, Beleidigungen und verbale Verletzungen. Das kann sich hochschaukeln bis zu Sachbeschädigungen, wenn etwa gegen die Wohnungstür getreten, der Briefkasten demoliert oder der Fahrradreifen zerstochen wird. Im schlimmsten Fall artet ein solcher Streit in körperliche Übergriffe aus. Eine Aussprache ist nach einer solchen Attacke im Grunde nicht mehr möglich.
MieterMagazin: Wie kann man vermeiden, sich derart in Wut hineinzusteigern?
Vita: In jedem Fall sollte man nicht zu lange warten, um das Problem anzusprechen.
Fenske: Aber auch nicht gleich im größten Zorn auf den Verursacher des Ärgers zugehen.
Interview: Rosemarie Mieder
Mediation durch den BMV
Mediation ist keine Rechtsberatung, sondern ein betreutes Schlichtungsgespräch. Im Rahmen einer Konfliktberatung werden mit den Parteien Möglichkeiten besprochen, wie mit dem Streitfall umgegangen werden kann, um ihn beizulegen. Oft schafft das schon ein selbst organisiertes Gespräch unter Nachbarn beziehungsweise mit dem Vermieter. Ist das nicht der Fall, vermittelt eine Mediatorin zwischen den streitenden Seiten und organisiert und begleitet das Gespräch. Alles geschieht auf freiwilliger Basis.
Das Mediationsangebot des Berliner Mietervereins ist kostenlos, sofern eine der beiden Parteien Mitglied im Verein ist. Zu erreichen sind die Mediatorinnen jeden Donnerstag von 17 bis 18 Uhr.
Telefon 030 226 26-187
Anfragen per E-Mail unter: mediation@berliner-mieterverein.de
20.06.2023