Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo will in einem Charlottenburger Neubau die Mieten mithilfe ungeeigneter Vergleichswohnungen erhöhen und versucht zusätzlich, den geltenden Mietenstopp zu umgehen.
Die 77 Mietparteien der Pulsstraße 13-15 bekamen im Mai 2022 – keine 14 Monate nach ihrem Einzug – von der Degewo Mieterhöhungen zum 1. August. Sie wurden, da der Mietspiegel für diese Neubauten keine Werte ausweist, mit je drei Vergleichswohnungen begründet, die jedoch nicht vergleichbar waren: So sollten für die 56-Quadratmeter-Wohnung von Mieterin Agnieszka Sandecka Mikro-Apartments mit 30 Quadratmetern als Vergleich herhalten. Diese Wohnungen waren zudem viel besser ausgestattet und so ungenau bezeichnet, dass sie nicht auffindbar waren. „Es gibt keine Berechtigung für diese Mieterhöhung“, erklärt Agnieszka Sandecka, die jetzt schon 12,59 Euro pro Quadratmeter zahlt. Mehrere Mietparteien haben die Mieterhöhung deshalb zurückgewiesen und wurden daraufhin von der Degewo auf Zustimmung verklagt. In den ersten Verfahren vor dem Amtsgericht Charlottenburg ist die Degewo gescheitert.
In einigen Fällen hat das Wohnungsunternehmen nun im Gerichtsverfahren per Hilfsantrag korrigierte Mieterhöhungen nachgeschoben, die zum 1. Februar 2023 wirksam werden sollten. Inzwischen ist aber der vom Land Berlin verfügte Mietenstopp in Kraft getreten, der den landeseigenen Wohnungsunternehmen ab dem 1. November 2022 bis zum Ende des Jahres 2023 Mieterhöhungen untersagt. Auf MieterMagazin-Nachfrage beteuert die Degewo zwar, sie würde das Mietenmoratorium „vollumfänglich umsetzen“, so ihr Pressesprecher Stefan Weidelich. Doch die hilfsweise nachgeschobenen Mieterhöhungen will sie nicht zurücknehmen. Auch bei den Mietparteien, die sich im Gerichtsverfahren mit ihr auf einen Vergleich eingelassen haben und bei denjenigen, die im guten Glauben, dass alles korrekt sei, der ursprünglichen Mieterhöhung zugestimmt haben.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung äußert sich nicht zum zivilrechtlichen Streitfall der Degewo, gibt sich aber zuversichtlich, dass die landeseigenen Unternehmen ab dem 1. November 2022 „keine Mieterhöhungen für Wohnungen – unabhängig ihrer rechtlichen Grundlage – aussprechen“.
Von all dem unabhängig ist der Nutzen des Mietenmoratoriums für die Mieter:innen sehr bescheiden. Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben für 45 bis 65 Prozent ihrer jeweiligen Bestände schon im ersten Halbjahr 2022 die Mieten erhöht. Da sie außerhalb des Mietenstopps derzeit die Mieten nur um 1 Prozent jährlich (im Neubau bis zu 4 Prozent in zwei Jahren) erhöhen dürften und zwischen zwei Mieterhöhungen 12 Monate liegen müssen, haben die Unternehmen keine großen Einbußen.
Gleichwohl sieht man beim Berliner Mieterverein den Mietenstopp als wichtiges Signal in Zeiten steigender Kosten und fordert dies auch von privaten Wohnungsunternehmen (BMV-Geschäftsführerin Wibke Werner). Das Vorgehen der Degewo löst beim BMV allerdings Unverständnis aus.
Jens Sethmann
24.02.2023