Die in Berlin liebevoll „Spätis“ genannten Verkaufsstellen sind allgegenwärtig im Straßenbild, doch viele aus der Nachbarschaft bemerken, dass ihr Stamm-Treffpunkt seine Türen für immer schließt. Die Gesamtzahl der Spätis in Berlin nimmt ab. Woran liegt es?
Der Quicky-Markt in der Skalitzer Straße 96 in Kreuzberg war einer dieser typischen Spätis: Süßigkeiten, Tabakwaren, Getränke und Paketstation. Doch wie alle wirklich guten Spätis war er viel mehr. Er war Mittelpunkt des sozialen Lebens in der Umgebung. „Ich habe hier praktisch meine Jugend verbracht“, sagt einer der Gäste, die immer auf den Bänken an den Tischen vor dem Späti saßen. 14 Jahre lang kümmerte sich das Betreiberpaar Jennifer und René um die Sorgen und Nöte der Gäste, waren Kummerkasten, Schlüsselaufbewahrung, Nachrichtenzentrum. Doch dann kam im Mai 2023 zum Ablauf der fünfjährigen Befristung des Gewerbemietvertrags von der Hausverwaltung das Verlängerungsangebot. Ein Schock. Denn im Namen des Vermieters, eines großen US-Investors, wurde eine neue Miete verlangt, die mehr als doppelt so hoch war wie die bisherige. Unmöglich für das Betreiberpaar, das zu stemmen. Die Hoffnung, dem Vermieter die Situation erklären zu können und so eine Herabsetzung der angebotenen Miethöhe zu erreichen, war vergeblich. „Die durch die Grundstückseigentümer avisierte Miete entspricht einer angemessenen und an diesem Standort marktgerechten Miete“, antwortete die Hausverwaltung auf eine entsprechende Anfrage. Ein Entgegenkommen sei nicht möglich.
Keine Verhandlungsbereitschaft erkennbar
Doch die Betreiber gaben nicht auf. Mit Hilfe der Anwohnerinitiative „Bizim Kiez“ organisierten sie den Protest gegen die harte Haltung des Vermieters. Es gab eine große Kundgebung vor dem Späti, die Medien berichteten. Um die erwartbar höhere Kautionszahlung zu finanzieren, wurde ein Crowdfunding ins Leben gerufen, das nach kurzer Zeit 8000 Euro zusammen hatte. Doch all dies konnte die Vermieterseite nicht beeindrucken. Im Gegenteil, sie wertete die Spendenbereitschaft für den Späti als Anzeichen mangelnder Wirtschaftsfähigkeit. Schließlich kam die endgültige Absage: „Insofern erscheint uns in Anbetracht der hohen Konkurrenz, der zukünftig deutlich höheren Mietbelastung und der bereits aktuell anscheinend geringen verfügbaren Mittel eine erneute Anmietung durch Herrn G. nicht angemessen.“
Am 15. September 2023 mussten René und Jennifer den Laden schließen, nicht ohne eine Abschiedskundgebung veranstaltet zu haben. „So kann ich mit erhobenem Kopf rausgehen“, sagte Jennifer.
Doch nicht allein die horrenden Mietforderungen sind der Grund, warum die Zahl der Berliner Spätis von 2000 im Jahr 2016 auf heute nur noch 800 Läden zurückgegangen ist, wie die Interessenvertretung „Späti e.V.“ schätzt. Als Problem wird vor allem das Sonntagsverkaufsverbot gesehen. Schon seit Langem fordert der Verein, die Spätis den Tankstellen und dem Bahnhofsverkauf gleichzustellen. Doch zahlreiche Vorstöße, darunter auch zwei Briefe an den Regierenden Bürgermeister Wegner, blieben erfolglos. Die Senatsverwaltung sieht keinerlei Möglichkeit, die Verordnung über die Sonntagsruhe für die Spätis zu lockern. So werden sie wohl weiter immer weniger werden, diese „zweiten Wohnzimmer“ in der Nachbarschaft.
Stefan Klein
Ost-Berliner Erfindung
Spätis sind nicht, wie man glauben könnte, eine Kreuzberger, ja nicht einmal eine West-Berliner Erfindung. Der erste „Früh- und Spätkauf“ wurde 1952 in der Ost-Berliner Stalinallee eröffnet. Er diente zur Versorgung der Leute, die zur Schichtarbeit gingen und nicht zu den üblichen Öffnungszeiten einkaufen konnten. In der Gestalt ähnelten sie aber eher den üblichen Läden. In West-Berlin wurden die Tabak und Bier verkaufenden Kioske erst nach der Wende zu den sozialen Treffpunkten, die man sich heute nicht mehr aus Berlin wegdenken kann.
stk
25.02.2024