Der Senat hat den Ausstieg aus der Stadterneuerung begonnen und die ersten fünf Nachwende-Sanierungsgebiete aufgehoben. Die Sanierungsziele seien in diesen Gebieten früher als in den anvisierten 15 Jahren erreicht worden, argumentiert die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die nun entlassenen Sanierungsgebiete waren allerdings recht klein und fielen im ersten Gesamt-Berliner Stadterneuerungsprogramm kaum ins Gewicht.
Die fünf aus der Sanierung entlassenen Gebiete Tiergarten-Beusselstraße, Tiergarten-Stephankiez, Wedding-Soldiner Straße, Neukölln-Kottbusser Damm Ost und Köpenick-Altstadt/ Kietz-Vorstadt sind zusammen 50 Hektar groß und umfassen 5171 Wohnungen, in denen 7773 Menschen leben. Sie machen gerade einmal sechs Prozent der 1993 bis 1995 aufgestellten Berliner Sanierungskulisse aus, die insgesamt 22 Gebiete mit 81.000 Wohnungen und 120.000 Einwohner umfasst.
Das Land Berlin und der Bund haben in diesen fünf Gebieten 162 Millionen Euro für die städtebauliche Aufwertung, den Grunderwerb, für Planung und Ordnungsmaßnahmen ausgegeben. Mit 108 Millionen Euro floss der Löwenanteil in die Köpenicker Altstadt, das mit Abstand größte unter den fünf Gebieten. In diesem ersten Ost-Berliner Stadtteil, in dem die Sanierung beendet wurde, kann die Erneuerung tatsächlich als abgeschlossen angesehen werden. Gemäß der vor zwei Jahren neu festgelegten Leitsätze zur Stadterneuerung soll ein Sanierungsgebiet aufgehoben werden, wenn die Ziele mindestens zu 60 Prozent erreicht sind. Um Geld zu sparen und eine schnelle Beendigung der Sanierung zu ermöglichen, hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Quote auf diesen Wert abgesenkt. Zuvor lag die Latte für den Sanierungserfolg noch bei 70 Prozent. In Köpenick wurden diese Quoten nach 13 Jahren Sanierung erreicht. Durch die herausragende Lage des Gebiets und die vielen Fördergelder war die Erneuerung hier fast ein Selbstläufer. Daher wird das Gebiet noch vor Ende der geplanten Laufzeit von 15 Jahren entlassen – ein Novum in der Geschichte der Berliner Stadterneuerung.
Ganz anders dagegen in den vier West-Gebieten. Vor allem die Erneuerung der Wohnungen blieb dort weit hinter den Erwartungen zurück, in drei Gebieten konnte nicht einmal die Hälfte der Wohnungen saniert werden. In der Senatsvorlage zur Aufhebung der Gebiete heißt es zum Beispiel über den Stephankiez: „Die privaten Hauseigentümer konnten trotz Beratung nicht ausreichend zur Erneuerung ihrer Gebäude motiviert werden.“ Auch am Kottbusser Damm Ost wird bei privaten Eigentümern „zunehmende Zurückhaltung bei Investitionen in Modernisierung und Instandhaltung“ festgestellt. Die Sanierungsquote von 60 Prozent ist damit bei den Wohnungen nicht erreicht, aber ein längeres Aufrechterhalten der Sanierungssatzung hätte die Erneuerung des Wohnbestandes auch nicht vorangebracht. Die Eigentümer haben offenbar nicht daran geglaubt, dass sie für sanierte Wohnungen in diesen Vierteln Mieter finden, die die entsprechend höheren Mieten zahlen. Sie konnten weder durch die erhöhten Steuerabschreibungsmöglichkeiten, die es im Sanierungsgebiet gibt, noch die Sozialplanung, bei der unter anderem Modernisierungsvereinbarungen abgeschlossen und den Mietern Umsetzwohnungen vermittelt werden, zur Sanierung ihrer Häuser bewegt werden. „Seit zwei, drei Jahren hatten wir keine Sozialplanverfahren mehr auf dem Tisch“, sagt Werner Oehlert, Geschäftsführer der Mieterberatungsgesellschaft ASUM, die vom Bezirk mit der Mieterberatung und Sozialplanung in den Tiergartener Sanierungsgebieten beauftragt war. Die Beratung sei insbesondere von Migranten rege in Anspruch genommen worden, dabei ging es aber hauptsächlich um allgemeine mietrechtliche Fragen wie zum Beispiel um Mieterhöhungen und Betriebskostenabrechnungen. „Wir waren in letzter Zeit immer weniger mit Mieterproblemen befasst, die aus Baumaßnahmen oder dem schlechten Zustand der Wohnung resultierten“, so Werner Oehlert.
Das gleiche Ergebnis ohne Sanierung?
Die spärlichen baulichen Ergebnisse in den vier Westgebieten hätten wohl auch ohne Sanierungsrecht erzielt werden können. Mit der Aufhebung der Sanierungsgebiete nach nur elf beziehungsweise zwölf Jahren wird dieses unrühmliche Kapitel abgebrochen. Offensichtlich sind die West-Berliner Gebiete Mitte der 90er Jahre ohnehin nur als Alibigebiete aufgestellt worden, damit das erste Gesamt-Berliner Stadterneuerungsprogramm nicht nur in Ost-Berlin stattfindet. Die vordringlichen Probleme der Altbaugebiete von Tiergarten, Wedding und Neukölln sind allerdings nicht baulicher Art. Hier herrschen Arbeitslosigkeit, Armut, mangelnde Integration und zunehmende Gleichgültigkeit. Um dem entgegenzuwirken, hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ab 1999 vor allem in den problematischen Bezirken West-Berlins Quartiersmanagements eingerichtet, die zu Recht weit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als die recht kümmerlichen Sanierungsergebnisse.
Ohne die Sanierungssatzung entfällt das gesonderte Genehmigungsverfahren für Baumaßnahmen. Für sanierungsbetroffene Mieter gibt es keine Sozialplanverfahren mehr, Umsetzwohnungen, ein Härteausgleich oder Umzugsbeihilfen können nicht mehr angeboten werden. Die langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindungen in Häusern, die mit öffentlichen Fördergeldern modernisiert worden sind, bleiben auch über die Laufzeit der Sanierung bestehen. Ebenso bleiben die im Mietvertrag festgehaltenen Regelungen von der Aufhebung unberührt. Die von den Bezirken beauftragten Mieterberatungen werden voraussichtlich ihre Tätigkeit einstellen. Auch für die Arbeit der Betroffenenvertretungen entfällt die Grundlage, es ist aber allseits gewünscht, dass die Bürgerbeteiligung in den Stadtteilen fortgeführt wird. In welcher Form und woher das Geld dafür kommen soll, ist meist noch offen.
Nach der Aufhebung beginnen die Bezirke nun, die sogenannten Ausgleichsbeträge zu bestimmen, die den Eigentümern für die sanierungsbedingte Werterhöhung ihrer Grundstücke in Rechnung gestellt werden. Der Senat erwartet Einnahmen von insgesamt 4,5 Millionen Euro, doch die Berechtigung dieser Zahlungen wird von den Eigentümern oft angezweifelt. Im Kleinst-Sanierungsgebiet Soldiner Straße hat man in einem „vereinfachten Verfahren“ von vornherein gleich auf die Ausgleichsbeträge verzichtet.
Die 17 verbleibenden Sanierungsgebiete, von denen sich nur noch eins im Westteil Berlins befindet, sollen nach und nach bis 2010 aufgehoben werden. Voraussichtlich noch in diesem Jahr werden drei weitere Gebiete folgen, die zusammen über 18000 Einwohner haben und gut 15 Prozent der Sanierungskulisse ausmachen: die Spandauer Vorstadt in Mitte, das Samariterviertel in Friedrichshain und die Kaskelstraße in Lichtenberg. Im Jahr 2008 werden dann dem Plan der Senatsverwaltung zufolge die Gebiete Rosenthaler Vorstadt in Mitte, Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, Weitlingstraße in Lichtenberg und Niederschöneweide in Treptow entlassen. Die Aufhebung der übrigen zehn Gebiete schließt sich in den Jahren 2009/2010 an.
Jens Sethmann
Nur beim Wohnumfeld die Planziele erreicht: Beusselstraße
Das 10,6 Hektar große Sanierungsgebiet wurde 1994 aufgestellt. Es umfasst 93 Grundstücke westlich der Beusselstraße. Die Zahl der Wohnungen sank während der Sanierung von 2314 auf 1952, die Einwohnerzahl nahm von 3487 auf 2967 ab, also um fast 15 Prozent. Von den 1482 sanierungsbedürftigen Wohnungen sind 732 – nur 49 Prozent – erneuert worden. Es bleiben 211 Wohnungen mit hohem Erneuerungsbedarf. Die geplante Umgestaltung des Siemens-Parkplatzes in der Berlichingenstraße zu einer Grünfläche konnte während der Sanierung nicht umgesetzt werden. Das ehemalige Kinder- und Jugendhaus in der Rostocker Straße wurde zum Nachbarschaftshaus „Stadtschloss Moabit“ umgebaut. Bei der Infrastruktur sind die Planungsziele zu 78 Prozent erreicht, beim Wohnumfeld zu 97 Prozent. Die öffentliche Hand investierte hier 17 Millionen Euro. Seit 1999 ist das Sanierungsgebiet Teil des Quartiersmanagements Moabit West.
Weiter viele Wohnungen sanierungsbedürftig: der Stephankiez
Für den Moabiter Stephankiez, Berlins erstes Milieuschutzgebiet, wurde 1995 zusätzlich eine Sanierungssatzung erlassen. Das Sanierungsgebiet ist mit sechs Hektar jedoch viel kleiner als das Milieuschutzgebiet. Die 54 Grundstücke liegen verstreut um den Stephanplatz und bilden kein zusammenhängendes Quartier. In den elfeinhalb Jahren der Sanierung sank die Zahl der Wohnungen von 1288 auf 1137, die Einwohnerzahl nahm leicht von 1925 auf 1819 ab. Von den erneuerungsbedürftigen Wohnungen wurden auch hier nur 48 Prozent saniert. Über 400 Wohnungen haben noch einen hohen Erneuerungsbedarf. Ein wichtiges Sanierungsziel war die Umnutzung des Paech-Brot-Geländes. Vom hier ursprünglich vorgesehenen Neubau einer Schule wurde abgesehen. Nach dem Abriss der ehemaligen Großbäckerei soll nun ein Einkaufszentrum entstehen. Im Bereich Infrastruktur sind die Planungsziele zu 85 Prozent erreicht, im Bereich Wohnumfeld zu 77 Prozent. Die öffentlichen Investitionen betrugen 23 Millionen Euro.
Preiswertes Kuriosum: Soldiner Straße
Das 1995 aufgestellte Weddinger Miniatur-Sanierungsgebiet Soldiner Straße ist ein Kuriosum. Es umfasst nur elf Grundstücke an der Soldiner und Koloniestraße mit einer Fläche von 1,7 Hektar. Während der Sanierung blieb die Zahl der Wohnungen mit 447 konstant, die Einwohnerzahl sank aber von 813 auf 599, also um mehr als ein Viertel. Die Erneuerung der Wohnsubstanz wurde zu 70 Prozent erreicht. Die einzige Wohnumfeldmaßnahme – die Anlage eines Spielplatzes auf einem ehemaligen Gärtnereigelände – wurde 1999 umgesetzt, was also einer 100-prozentigen Planerfüllung entspricht. Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur waren nicht geplant. Mit einer Million Euro war das Sanierungsgebiet für die öffentlichen Kassen preisgünstig. Das Gebiet ist 1999 im wesentlich größeren gleichnamigen Quartiersmanagementgebiet aufgegangen.
Infrastrukturverbesserungen mit Abstrichen: Kottbusser Damm Ost
Ebenfalls sehr klein ist das seit 1995 bestehende Neuköllner Sanierungsgebiet Kottbusser Damm Ost. Es besteht aus 21 einzelnen Grundstücken zwischen Friedelstraße und Kottbusser Damm. Auf den insgesamt 2,5 Hektar ging die Wohnungszahl von 380 auf 343 zurück, die Zahl der Bewohner sank von 548 auf 521. Von den erneuerungsbedürftigen Wohnungen konnten auch hier weniger als die Hälfte (47 Prozent) saniert werden. Im Mittelpunkt stand die Stärkung des Wohnens durch die Verbesserung des Wohnumfeldes und der Infrastruktur. Der Neubau einer Kita in der Hobrechtstraße konnte bislang nicht finanziert werden. Das Grundstück wird zwischenzeitlich von Anwohnern als „Kid’s Garden“ gärtnerisch genutzt. Die Infrastrukturplanungen sind zu 73 Prozent umgesetzt. Die Wohnumfeldmaßnahmen sind nur zu 34 Prozent realisiert, sollen aber nach dem Ende der Sanierung verwirklicht werden. 13 Millionen Euro investierte die öffentliche Hand. Seit 2002 wird das Gebiet vom weitaus größeren Quartiersmanagement Reuterkiez überlagert.
Gute Ergebnisse für gutes Geld: Köpenick-Altstadt/Kietz-Vorstadt
Das größte der fünf aufgehobenen Sanierungsgebiete hat eine Fläche von 28,9 Hektar und umfasst die gesamte Köpenicker Altstadt sowie den Straßenzug Kietz/Gartenstraße. Die seit 1993 laufende Sanierung auf den 225 Grundstücken brachte in diesem Gebiet ein positives Saldo: Die Zahl der Wohnungen stieg von 1105 auf 1292, die Bevölkerung wuchs von 1653 um knapp 13 Prozent auf 1867 an. Insgesamt sind in Baulücken 18 Neubauten entstanden, für die ein Wohnanteil von mindestens 60 Prozent festgelegt worden war. Von den erneuerungsbedürftigen Wohnungen sind bis Ende 2005 rund 72 Prozent saniert worden, überwiegend mit öffentlichen Fördermitteln. Im Gebiet standen auch Gelder aus dem Programm Städtebaulicher Denkmalschutz zur Verfügung. Insgesamt flossen 108 Millionen Euro. Ein großer Teil der Mittel wurde in den Erhalt der historischen Stadtstruktur gesteckt. Des weiteren wurde der öffentliche Raum aufgewertet und der Durchgangsverkehr aus der Altstadt verdrängt. Beim Wohnumfeld liegt die Planerfüllungsquote bei 71 Prozent, bei der Infrastruktur bei 61 Prozent.
MieterMagazin 4/07
Das ‚Stadtschloss Moabit‘ mit einem neuen Spielplatz war ein Sanierungsprojekt im Gebiet Beusselstraße
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Auf dem ‚Paech-Brot‘-Gelände soll ein Einkaufszentrum entstehen
Im Gebiet Soldiner Straße war die Anlage eines Spielplatzes die einzige Wohnumfeldmaßnahme
Für einen Kita-Neubau fehlte das Geld:
‚Kid’s Garden‘ in der Hobrechtstraße
Überwiegend positive Ergebnisse erzielte die Sanierung in Köpenick
03.03.2018