Nach gut 13 Jahren wurde im Januar 2008 das Lichtenberger Sanierungsgebiet Kaskelstraße aufgehoben. Die Sanierung ging unerwartet schnell voran – begünstigt durch die kleinteilige Bebauungsstruktur. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge hinkt mit der Sanierung ihrer Bestände allerdings hinterher.
Der Kaskelkiez, für den sich der historische Name Victoriastadt langsam wieder einbürgert, liegt zwischen Nöldnerplatz und Ostkreuz und ist inselartig rundum von Bahnlinien umgeben. Die Bebauung stammt zum größten Teil aus den Jahren 1872 bis 1906 und ist weitgehend erhalten geblieben.
Der Zustand der Häuser war 1990 außerordentlich schlecht. Drei Viertel der Wohnungen wurden mit Kohleöfen beheizt, ein Viertel hatte kein Bad, ein Fünftel keine Innentoilette. In der Pfarrstraße standen wegen Bauschäden ganze Häuser leer, mehrere von ihnen sind nach der Wende besetzt worden.
Die Sanierung der Wohnungen kam im Kaskelkiez verhältnismäßig schnell in Gang. Die Hälfte der Wohnungen ist mit öffentlichen Fördergeldern saniert worden. Die sich daraus ergebenden Mietbindungen und die zeitweilig geltende Mietobergrenze bewirken, dass die Nettokaltmieten für Vollstandardwohnungen heute im Durchschnitt bei 4,70 Euro pro Quadratmeter liegen. Nach dem Auslaufen der Bindungen wird aber ein Mietanstieg erwartet.
Bewohnerstruktur stabil
Von den sanierungsbetroffenen Mietern konnten zwei Drittel im Haus oder innerhalb des Gebiets mit einer Wohnung versorgt werden. Dennoch ist es im Laufe der Sanierung zum Austausch eines Großteils der Bevölkerung gekommen. 46 Prozent der Bewohner sind seit 2003 zugezogen, nur noch jeder Zehnte wohnt länger als zehn Jahre hier. Die Victoriastadt scheint sich zur preiswerteren Wohnort-Alternative zu Friedrichshain zu entwickeln: Knapp 40 Prozent der im Jahr 2006 neu zugezogenen Haushalte kamen aus dem Nachbarbezirk. Die Struktur der Bewohnerschaft hat sich hingegen kaum gewandelt: Das durchschnittliche Einkommen stieg moderat, die Abschlussuntersuchung hat weder Gentrifizierungs- noch soziale Abwertungsprozesse festgestellt.
Etwas Besonderes ist die Eigentümerstruktur im Kaskelkiez. 70 Prozent der Grundstücke gehören privaten Einzeleigentümern. Fast 20 Prozent von ihnen wohnen selbst im Kaskelkiez. Gründe dafür waren die anfangs niedrigen Grundstückspreise und die kleinen Parzellen, die auch weniger Finanzkräftigen einen Kauf ermöglichten. Außerdem konnten Hausgruppen durch das Förderprogramm „Wohnungspolitische Selbsthilfe“ ihr Haus in Eigenregie übernehmen und instandsetzen.
Der größte Eigentümer, die Howoge, ließ hingegen fast die Hälfte ihrer Häuser unsaniert. Im Kaskelkiez sind das elf Gebäude mit 98 Wohnungen und sechs Gewerbeeinheiten. Erst jetzt nimmt sich die Howoge, die sich rühmt, als erstes Berliner Wohnungsunternehmen ihre Plattenbaubestände vollständig saniert zu haben, ihre Gebäude in den Sanierungsgebieten vor. Immerhin: Ende letzten Jahres hat sie mit dem Bezirk sogenannte Durchführungsverträge über die Erneuerung der Häuser abgeschlossen und sich somit den im Sanierungsgebiet geltenden Spielregeln unterworfen, obwohl sie auch die Aufhebung des Sanierungsrechts hätte abwarten können. Bei der kommenden Modernisierung dieser Häuser wird es für die Mieter also weiterhin eine eigentümerunabhängige Mieterberatung und ein Sozialplanverfahren geben. Der Bezirk legt darauf großen Wert, weil sich in den noch nicht sanierten Häusern viele einkommensschwache Haushalte gesammelt haben, die sich bisher keine Vollstandardwohnung in einem sanierten Haus leisten konnten und daher ganz besonders auf Betreuung und finanzielle Abfederung angewiesen sind.
Jens Sethmann
MieterMagazin 4/08
Insel inmitten von Bahnschienen: die Victoriastadt – besser bekannt als Kaskelkiez
Fotos: Christian Muhrbeck
Kleine Parzellen, kleine Eigentümer, schneller Baufortschritt: sanierter Kaskelkiez
Die Sanierung in Zahlen
Im Jahr 1994 wurde das 22,3 Hektar große Areal um die Kaskelstraße zum Sanierungsgebiet erklärt. Es erhielt nicht nur Städtebauförderungsmittel, sondern auch Gelder aus den Programmen Städtebaulicher Denkmalschutz, Urban II und Stadtumbau Ost. 60 Prozent der Altbauten wurden umfassend modernisiert, 15 Prozent einfach. Die Ausstattung von 92 Prozent aller Wohnungen gilt als Vollstandard. Von den 2008 Wohnungen befinden sich 323, also 16 Prozent, in Neubauten. Die Einwohnerzahl stieg von 2430 im Jahr 1996 auf 3291 Ende 2006, also um mehr als ein Drittel. In die Infrastruktur und das Wohnumfeld investierte die öffentliche Hand über 17 Millionen Euro.
js
17.12.2015