Die Wohnungsbaugenossenschaften, eigentlich ein Garant für gutes, sicheres und bezahlbares Wohnen, sind in die Kritik geraten. Viele Mitglieder beschweren sich über einen rüden Umgangston und über eine Mitbestimmung, die sich auf ein Abnicken der Vorstandsentscheidungen beschränkt. Kritiker werden als Nestbeschmutzer angefeindet oder sogar mit dem Ausschluss bedroht. Haben sich die Genossenschaften von ihren Idealen entfernt?
Bei einer Veranstaltung Anfang März, zu der die neu gegründete Initiative „Genossenschaft von unten“ geladen hatte, hagelte es Kritik. Die Genossenschaften würden zunehmend gewöhnlichen Wohnungsunternehmen gleichen. Früher seien die Mieten – eigentlich Nutzungsentgelte – niedriger gewesen als bei privaten Vermietern, mittlerweile orientiere man sich am Mietspiegel. Eine Rollstuhlfahrerin beklagte sich über die Weigerung ihrer Genossenschaft, ihr einen Parkplatz zur Verfügung zu stellen. Ein anderer Mieter berichtete, ihm sei „ungenossenschaftliches Verhalten“ vorgeworfen worden, weil er auf seinem Recht bestand, bei der Modernisierung seiner Wohnung die alte Badewanne zu behalten. Mit dem gleichen Totschlagargument sei eine Mietminderung wegen Bauarbeiten abgelehnt worden. Unzufrieden sind viele Genossen auch mit der Realität der Mitbestimmung, die ihnen qua Satzung und Genossenschaftsgesetz zusteht. Obwohl die Geschäftsführer eigentlich Angestellte der Mitglieder sind, würden letztere zunehmend als lästige Störfaktoren behandelt. Die „Genossenschaft von unten“ fordert daher ein „Zurück zu den Wurzeln“.
Gewinne verbleiben im Unternehmen
Das sind harte Vorwürfe, die man bei den „Wohnungsbaugenossenschaften Berlin“ so nicht stehen lassen will. „Genossenschaften sind zutiefst demokratisch aufgebaut, jedes Mitglied kann sich in Siedlungsausschüssen, Hausbeiräten und anderen Gremien engagieren oder sogar für den Vorstand kandidieren“, erklärt Verbandssprecherin Monika Neugebauer. Die Genossenschaften hätten eher das Problem mangelnder Beteiligung bei den Wahlen zur Vertreterversammlung. Ein basisdemokratisches Modell, wie es der Initiative vorschwebt, würde nach Überzeugung Neugebauers nicht funktionieren: „Man kann nicht jede Fenstermodernisierung in der Vertreterversammlung abstimmen lassen, dazu fehlt den Leuten Zeit und Fachwissen“. Auch die Kritik an der Mietenentwicklung kann sie nicht nachvollziehen: „Wir sind günstig, aber nicht billig.“ Schließlich müsse man wirtschaftlich arbeiten. Anders als bei profitorientierten Unternehmen werden die Gewinne jedoch nicht herausgezogen, sondern wieder in den Bestand investiert.
In der über 100-jährigen Geschichte der Genossenschaften war das Hauptanliegen immer qualitativ gutes Wohnen, sagt Barbara Neumann-Cosel vom Genossenschaftsforum, einem Zusammenschluss von 30 Berliner Genossenschaften. „Gebaut wurde nicht für ganz Arme, eher für die gehobene Facharbeiterschicht.“
Nach Angaben des Verbandes Berlin Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) sind die Mieten bei Genossenschaften etwas günstiger als im Durchschnitt. Die Wohnqualität ist sehr hoch, in der Regel sind die Häuser gut in Schuss. Zudem stehen den Bewohnern fast immer Extras wie Gästewohnungen, Partyräume oder Spielplätze zur Verfügung.
Bei einer Befragung, die der Berliner Mieterverein (BMV) vor einigen Jahren gemacht hat, schnitten Genossenschaften in der Rangliste der Vermietertypen am besten ab. Wegen der Mitbestimmungsmöglichkeiten sowie dem Schutz vor Umwandlung und Eigenbedarfskündigung werden sie vom BMV grundsätzlich empfohlen.
Mitglieder unter Druck gesetzt
Doch es gibt auch immer wieder Probleme. Einige Vorstände legen ein wenig mieterfreundliches Gebaren an den Tag. So musste unlängst eine Genossenschaft von einem Landgericht daran erinnert werden, dass ihren Mitgliedern ein Recht auf Mietminderung zusteht (Landgericht Köln, 8. Mai 2008 – 1 S 387/06 –). Auch das Verhältnis von Nur-Mietern und Mitgliedern ist oft problematisch. Zwar können Bewohner, deren Haus an eine Genossenschaft verkauft wird, nicht gezwungen werden, beizutreten. Dennoch wird oft ein gewisser Druck ausgeübt.
Bei der Mietpreisentwicklung haben Genossenschaften in den letzten Jahren einen rigiden Kurs eingeschlagen. So wurde die umstrittene Wohnwertmiete, mit der die Charlottenburger Baugenossenschaft die Mieten am Bürgerlichen Gesetzbuch vorbei erhöhen wollte, erst nach langem Hin und Her zurückgenommen. Derzeit planen einige Genossenschaften eine eigene Mietdatenbank, mit der Mieterhöhungen begründet werden sollen. Eine unrühmliche Rolle spielten die Genossenschaften auch bei Auseinandersetzungen um Schönheitsreparaturen. Weil nach der neuesten Rechtsprechung viele Mietverträge ungültige Renovierungsklauseln enthielten, sollten die Mieter einer nachträglichen Änderung zustimmen. Teilweise waren die Schreiben erpresserisch, teilweise wurde an die genossenschaftliche Solidarität appelliert. Das Ergebnis: Über die Hälfte der betroffenen Bewohner hat unterschrieben. „Wenn beispielsweise modernisiert werden soll und einer sträubt sich dagegen, geht das auf Kosten der Allgemeinheit“, erklärt Monika Neugebauer. Genossenschaften seien Solidargemeinschaften. Schon der Begriff Mieter sei falsch, eigentlich seien es Nutzer.
Auf die Unterschiede achten
Zudem gibt es zwischen den Genossenschaften große Unterschiede. Eher ein Einzelfall ist die befremdliche Vermietungspraxis der Genossenschaft „Fortuna“. Sie vergibt ihre 4160 Wohnungen in Marzahn-Hellersdorf ausschließlich an Bewerber, die im „unbefristeten Angestelltenverhältnis“ stehen. Ein Genosse, der bereits seine Geschäftsanteile gezahlt und Wohnungsangebote bekommen hatte, sollte wieder rausgeschmissen werden, weil er ALG-II-Empfänger war. Fast die Hälfte der Mieterschaft lebe von Transfereinkommen, bei der Neuvermietung nehme man daher grundsätzlich keine Empfänger von Sozialleistungen, so die Fortuna zur Begründung: Mietausfälle würden schließlich die gesamte Genossenschaft belasten. Vor Gericht wurde die Zwangsauflösung der Mitgliedschaft allerdings verworfen (Amtsgericht Lichtenberg, 4. März 2009 – 11 C 245/08 –).
Auf dem Wohnungsmarkt sind die Genossenschaften zweifellos eine Bereicherung. „In den letzten Jahren ist viel passiert: Heute gibt es kaum noch eine Genossenschaft, die sich nicht für gemeinschaftliche Wohnprojekte oder Wohnen im Alter engagiert“, sagt Barbara Neumann-Cosel. Für ihre innovativen Vorhaben erhalten die Genossenschaften immer wieder Preise. So wurde die Wohnungsbaugenossenschaft Am Ostseeplatz kürzlich für ihr Konzept zur Integration türkischstämmiger Mieter vom Bundesbauministerium ausgezeichnet. „In Gegenden wie Prenzlauer Berg haben Genossenschaften wie die Bremer Höhe zudem eine wichtige soziale Funktion, weil sie die möglichen Mietsprünge nicht mitmachen“, betont Neumann-Cosel.
Kein Zweifel: Viele Mieter fühlen sich wohl und sicher bei den Genossenschaften. „Man kann mitbestimmen, hat ein lebenslanges Wohnrecht und die Mieten sind moderat“, sagt Günther Kunath zu den Vorzügen des genossenschaftlichen Wohnens. Seit 1971 wohnt er in der Straße der Pariser Kommune, die Wohnanlage wurde einst von einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft gebaut. Nach der Wende wurde sie zur Wohnungsbaugenossenschaft Friedrichshain. Kritik und Fragen an den Vorstand kann Kunath im Redaktionsbeirat des Genossenschafts-Treffpunkts loswerden, und als er kürzlich die beschmierte Turnhalle gegenüber des Wohnblocks von Künstlern, Jugendlichen und Kindern bemalen ließ, unterstützte sein Vermieter die Aktion. „Ich bin stolz darauf, hier Miteigentümer zu sein“, sagt er.
Fazit: Genossenschaften sind nach wie vor eine wichtige Alternative auf dem Wohnungsmarkt – unangreifbare Heilige sind sie nicht. Für Mieter von Genossenschaftswohnungen ist die Mitgliedschaft im Berliner Mieterverein genauso wichtig wie für „normale“ Mieter auch.
Birgit Leiß
MieterMagazin 5/09
Genossenschaften stehen für Mitbestimmung, qualitativ hochwertiges Wohnen und innovatives Bauen – doch etliche Unternehmen stehen mittlerweile in berechtigter Kritik (hier: Genossenschaftsbau in der Haeseler Straße in Charlottenburg)
Fotos: Christian Muhrbeck
„Ich bin stolz darauf, Miteigentümer zu sein“, Günther Kunath und die neu gestaltete Turnhalle gegenüber seiner Wohnung
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So sind Genossenschaften aufgebaut
Wer einer Genossenschaft beitritt, zahlt eine Einlage und erwirbt damit einen Anteil am Gemeinschaftseigentum. Wichtigstes Organ ist die Mitgliederversammlung, wo jedes Mitglied eine Stimme hat. Bei größeren Genossenschaften werden hier die Vertreter gewählt. Diese wiederum wählen den Aufsichtsrat, der den Vorstand bestellt und die Geschäfte kontrolliert. Die Mitglieder oder Vertreter können über Satzungsänderungen beschließen oder in Ausnahmefällen sogar den geschäftsführenden Vorstand abwählen – und somit selber ihren „Vermieter“ bestimmen.
bl
29.03.2022