Berlin braucht schnell neue Wohnungen. Die Bürgerbeteiligung wird dabei allzu oft als störend angesehen. Die Niederlage beim Tempelhof-Volksentscheid hat beim Senat leider noch nicht zu einem grundlegenden Umdenken geführt. Bei größeren Vorhaben zieht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Planungsverfahren an sich – auch um Bürgerbegehren auf Bezirksebene auszubremsen. Aber es gibt auch positive Beispiele.
Für ein Bauvorhaben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge in Johannisthal führte die Gesellschaft Stattbau mit Anwohnern eine offene Ideenwerkstatt durch. An der Straße am Flugplatz sollen bis zu 300 Wohnungen entstehen. Drei Planungsbüros haben ihre Entwürfe im letzten Herbst mit den Nachbarn diskutiert und daraufhin überarbeitet. Das Konzept des Büros „Die Baupiloten“, das die Wohnhäuser um mehrere Höfe gruppiert, traf bei den Bürgern auf große Zustimmung und wurde dann im Januar auch von der Fachjury zum Sieger erklärt.
„Mit der frühzeitigen Einbindung der Anwohner hat die Howoge Neuland betreten“, sagt Howoge-Geschäftsführerin Stefanie Frensch. „Alle Entwürfe haben durch diesen Beteiligungsprozess nochmals deutlich an Qualität gewonnen.“ Das einvernehmliche Ergebnis war aber auch leicht zu erzielen, weil niemand die Bebauung der Gewerbebrache in Zweifel zog.
In innerstädtischen Lagen treten hingegen oft Konflikte auf. So ist die geplante Nachverdichtung der 60er-Jahre-Siedlung Am Mühlenberg hinter dem Schöneberger Rathaus umstritten. Mit vier Architekturbüros, die schon 2013 im Rahmen des Wettbewerbs „Urban Living“ Entwürfe für das Gebiet vorgelegt hatten, führte die Senatsverwaltung im Herbst 2015 ein Gutachterverfahren durch. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hatte darauf gedrängt, die Zielvorgabe für die landeseigene Gewobag von 600 neu zu schaffenden Wohnungen auf 250 zu senken. Bei zwei Bürgerveranstaltungen sagten viele Anwohner, dass ihnen der Erhalt der Grünflächen und die Besonnung der Wohnungen sehr wichtig sind. Die Architekten planten daher um: Statt raumgreifender Zeilenbauten setzten sie einige flächensparende Punkthochhäuser an günstige Stellen, die wenig Schatten auf die bestehenden Wohnhäuser werfen. Auf eine Aufstockung der alten Gebäude wird verzichtet. Der letztlich von den Gutachtern ausgewählte Entwurf von „03 Architekten“ hat aufgrund der von den Anwohnern angemahnten Umplanungen mit dem ursprünglichen „Urban Living“-Entwurf nicht mehr viel gemein.
Leitlinien für die „alte Mitte“
Ein vorbildliches Verfahren war „Alte Mitte – neue Liebe“, gerade weil es nicht um ein konkretes Neubauvorhaben ging: Über Monate debattierten insgesamt 10.000 Anwohner und Berliner aus anderen Stadtteilen über die künftige Entwicklung des zentralen Bereichs zwischen Alexanderplatz, Rotem Rathaus, Marienkirche und Spree. Auf dem Tisch lagen zwar mehrere Vorschläge zur Bebauung des großen Freiraums auf dem historischen Stadtgrundriss, diskutiert wurde aber zunächst darüber, welche Funktion der Bereich für die Stadt übernehmen soll. Dabei kamen verschiedene Beteiligungsformen wie Bürgerwerkstätten, Fachkolloquien, thematische Erkundungen und partizipatives Theater vor Ort zum Einsatz. Am Ende einigte man sich auf zehn „Bürgerleitlinien“. Sie schließen zwar eine Bebauung nicht vollständig aus, stellen jedoch so viele konkrete Anforderungen an den offenen Raum, dass es praktisch nahezu unmöglich ist, hier Gebäude zu errichten. Die Politik muss nun zeigen, dass sie dieses Ergebnis auch ernst nimmt. Immerhin hat der Senat im März die Bürgerleitlinien offiziell beschlossen und sie nun dem Abgeordnetenhaus zur Beratung vorgelegt.
Jens Sethmann
Von der Alibi-Beteiligung zum Dialog
Gesetzlich vorgeschrieben sind Bürgerbeteiligungen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen und bei Änderungen des Flächennutzungsplans. Dabei liegen meist schon detailliert ausgearbeitete Pläne vor, die im Grundsatz nicht mehr in Frage gestellt werden können. Die Berliner Planungsgeschichte ist voll von Bebauungsplänen, die trotz massenhafter Einwendungen der Bürger von den Ämtern ohne Änderungen durchgepaukt wurden. Solche Alibi-Bürgerbeteiligungen nützen niemandem. Ernsthafte Beteiligungsverfahren müssen frühzeitig beginnen. Die Planung darf noch nicht festgezurrt sein. Nötig sind offene Ohren für die Meinung der Bürger und die Bereitschaft, bei Bedarf auch nochmal völlig umzuplanen.
js
07.05.2016