Es war ein schwerer Schlag ins Kontor, als das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hat. Hunderttausende Berliner Mieterinnen und Mieter müssen nun wieder höhere Mieten zahlen und oft sogar noch die eingesparten Gelder der letzten Monate ihren Vermietern erstatten. Der Karlsruher Richterspruch besagt aber auch: Der Bund ist für die Mietenpolitik zuständig und darf die Miethöhen begrenzen. Die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel hat kräftig Rückenwind bekommen. Eine Mehrheit nicht nur der Berliner, sondern aller Deutschen sagt: Wir brauchen einen Mietendeckel.
Folgende Fragen behandelt dieser Artikel:
Mietendeckel-Aus und die Folgen
Am 15. April hat das Bundesverfassungsgericht verkündet: Der Berliner Mietendeckel ist nicht verfassungskonform. Berlin darf als Bundesland keine Mietpreisbegrenzung einführen. Das liegt allein in der Zuständigkeit des Bundes. Deshalb ist das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen (MietenWoG) nichtig. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung ohne mündliche Anhörung gefällt. Zum Inhalt des Gesetzes haben die Richter wenig gesagt, sondern nur zur Frage der Zuständigkeit. Geklagt hatten 284 Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU und der FDP sowie Vermieter.
Mit der Föderalismusreform von 2006 hat zwar der Bund die Zuständigkeit für das Wohnungswesen an die Länder abgegeben. Doch das Bundesverfassungsgericht beruft sich darauf, dass das Mietrecht seit dem Jahr 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist. Der Bund habe „spätestens mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz“, also mit dem Erlass der Mietpreisbremse 2015, „die Bemessung der höchstens zulässigen Miete für ungebundenen Wohnraum abschließend geregelt“, so das Gericht. Daher dürfe ein Bundesland keine anderen Gesetze zum gleichen Thema erlassen. „Damit hat das Gericht die ungünstigste, verfassungspolitisch sowie praktisch folgenreichste Entscheidung getroffen, die in der Sache denkbar war“, erklärt Jura-Professor Florian Rödl, der das Land Berlin beim Bundesverfassungsgericht vertreten hat.
Das Argument der Verfassungsrichter, der Bund habe die Begrenzung der Mieten bereits „abschließend geregelt“, klingt in den Ohren der Mieter wie Hohn. Berlin hat den Mietendeckel ja gerade deshalb eingeführt, weil die Regelungen des Bundes komplett versagen. Die Mietpreisbremse ist von Ausnahmen durchlöchert, die Senkung der Modernisierungsumlage war zu halbherzig und weitere Verbesserungen – zum Beispiel bei den Kappungsgrenzen, beim Milieuschutz, bei der Eigentumsumwandlung, beim Vorkaufsrecht oder beim Kündigungsschutz – wurden insbesondere von der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag jahrelang torpediert, verwässert oder blockiert. Statt mehr Geld in den Sozialen Wohnungsbau zu investieren, wurden mit dem Baukindergeld Milliarden von Euro an Häuslebauer und Wohnungskäufer verschenkt. Seine „Wohnraumoffensive“ nennt Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) „außergewöhnlich erfolgreich“, während in allen Ballungsräumen die Mieten weiter ungebremst stiegen. Nur in Berlin wurde mit dem Mietendeckel der unheilvolle Trend gebrochen.
Das Aus für den Berliner Mietendeckel reicht weit über die direkt betroffenen Mieterinnen und Mieter von 1,5 Millionen Berliner Wohnungen hinaus. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV): „An den Berliner Mietendeckel waren Hoffnungen weit über die Stadtgrenzen hinaus geknüpft.“
Das Verfassungsgericht hat Berlin die Zuständigkeit abgesprochen, nicht aber die Regelungen des Mietendeckels an sich verworfen. Das heißt, der Bund kann durchaus solche Mietpreisbeschränkungen beschließen. Der Deutsche Mieterbund (DMB) hat bereits im Februar zusammen mit Sozialverbänden, Mieterinitiativen und Gewerkschaften die bundesweite Kampagne Mietenstopp gestartet. „Nachdem der Berliner Weg in Karlsruhe gestoppt wurde, werden wir mit noch mehr Ansporn für einen bundesweiten Mietenstopp kämpfen – jetzt erst recht“, erklärt DMB-Präsident Lukas Siebenkotten.
Mietrechtliche Vorstöße laufen gegen Wände
Auch Berlins Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) sieht das so: „Der soziale Friede ist durch steigende Mieten und die damit verbundene Verdrängung in Gefahr. Es ist nun die Aufgabe des Bundes, entweder ein wirkungsvolles Mietpreisrecht zu schaffen, das die soziale Mischung in den Städten sichert, oder aber den Ländern die Kompetenz dafür zu übertragen.“
Im Bundestag laufen die Oppositionsparteien Grüne und Linke schon lange mit ihren mietenpolitischen Vorstößen gegen Wände. „Wir haben uns gegenüber der Bundesregierung immer wieder mit Anträgen und Gesetzentwürfen dafür eingesetzt, den Mietenanstieg in Deutschland zu begrenzen“, berichtet Chris Kühn von den Grünen. „Die Linke hatte bereits 2018 einen bundesweiten Mietendeckel gefordert“, betont Caren Lay von der Linksfraktion.
Die SPD-Fraktion im Bundestag fordert ein Mietenmoratorium und eine Beseitigung der Ausnahmen bei der Mietpreisbremse, kann sich aber nicht gegen ihren Koalitionspartner CDU/CSU durchsetzen. „CDU/CSU haben bislang eine mietenrechtliche Vollbremsung hingelegt“, kritisiert der SPD-Wohnungspolitiker Michael Groß. „Diese Blockade muss aufhören. Wohnungen sind keine Ware. Deswegen muss der Staat für Regulierung sorgen“, so Groß.
Die angesprochene Union will davon allerdings nichts wissen. „Auf Dauer kann nur ein ausreichendes Wohnungsangebot bezahlbare Mieten sichern“, beteuert der CDU-Baupolitiker Kai Wegner. Der rechtspolitische Sprecher der CDU, Jan-Marco Luczak, sieht im geltenden Mietrecht sogar „starke soziale Leitplanken“, die der Berliner Senat mit dem Mietendeckel ausgehebelt habe. Für die FDP ist das Berliner Mietendeckel-Gesetz „nicht nur juristisch gescheitert, sondern auch politisch und sozial“, so der FDP-Baupolitiker Daniel Föst. „Es nun auf ganz Deutschland zu übertragen, wäre völlig absurd.“
Zurück nach Berlin, wo der Karlsruher Richterspruch nun auch einige praktische Folgen hat.
Die Mieterinnen und Mieter hier müssen nun im Prinzip alle eingesparten Mieten unverzüglich und unaufgefordert nachzahlen, denn das Mietendeckel-Gesetz ist so zu behandeln, als wäre es nie in Kraft getreten. „Wir appellieren an alle Vermieterinnen und Vermieter, sich in der nach wie vor sehr schwierigen Wohnungsmarktsituation ihrer sozialen Verantwortung bewusst zu sein“, so Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel ergänzt: „Dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften keine Rückforderungen erheben, ist selbstverständlich.“
Appelle an die soziale Verantwortung
Einige private Vermieter geben sich in dieser Frage plötzlich versöhnlich. „Bei jetzt fällig werdenden Mietnachzahlungen appellieren wir an alle Marktteilnehmer, sozial verantwortlich zu handeln“, erklärt Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Angst vor Kündigungen seien unbegründet, versichert der Verband Haus & Grund.
Bei den Unternehmen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) seien die Mieten schon vor dem Mietendeckel günstig gewesen, sagt Vorstand Maren Kern. Nur bei rund zwölf Prozent der Wohnungen hätten die Mieten in geringem Umfang abgesenkt werden müssen. „Deshalb werden sich Nachzahlungsforderungen bei unseren Mitgliedsunternehmen auch sehr in Grenzen halten“, so Kern.
Berlins größter Vermieter Deutsche Wohnen verspricht: „Keine Mieterin und kein Mieter der Deutsche Wohnen wird durch die Entscheidung die Wohnung verlieren – wir werden mit dem größten sozialen Verantwortungsbewusstsein vorgehen.“ Das Unternehmen bietet Ratenzahlungen und Stundungen an.
Der größte deutsche Wohnungskonzern Vonovia überraschte sogar mit einem Verzicht gegenüber seinen Berliner Mietern: „Wir haben uns entschieden, keine Mieten nachzufordern, die uns jetzt rechtlich zustehen würden“, verkündete Vonovia-Chef Rolf Buch. Auch das Wohnungsunternehmen Heimstaden verzichtet auf Nachforderungen. „Wir sind froh, dass wir diese Unsicherheit für unsere Mieter beseitigen können“, sagt Caroline Oelmann von Heimstaden.
Charme-Offensive gegen Mieterprotest?
Die neue Großherzigkeit lässt den Verdacht aufkommen, dass die finanziellen Folgen des Mietendeckels möglicherweise nicht so einschneidend und existenzbedrohend gewesen sind, wie die Vermieterverbände vor dem Urteil verkündet hatten. Die Charme-Offensive der großen Vermieter soll wohl auch den Mieterprotesten und dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ den Wind aus den Segeln nehmen: „Mit unserer Zusage an die Mieterinnen und Mieter setzen wir ein Signal, dass es keine weitere Eskalation rund um bezahlbares Wohnen in der Hauptstadt geben darf“, erklärt Vonovia-Chef Buch.
Es gibt aber auch Vermieter, die an der Eskalationsschraube drehen. „Zu früh gefreut :)“, schrieb eine Berliner Hausverwaltung mit einem grinsenden Smiley per E-Mail an ihre Mieter. Diese sollten alle zurückbehaltenen Beträge innerhalb von acht Tagen nachzahlen. In schlechter Rechtschreibung geht es weiter: „… schlagen wir ihnen vor so schnell wie möglich unsere Wohneinheit zu verlassen da wir solche Mieter wie sie sowieso nicht bei uns wohnen haben wollen. Viel Spaß!“ Unterschrieben ist die E-Mail mit „FY“, was international als „Fuck You“ verstanden wird.
Auch das Wohnungsunternehmen Akelius trägt nicht zum Glätten der Wogen bei. Unmittelbar nach dem Urteil inseriert der schwedische Großvermieter wieder Wohnungen zu Quadratmeterpreisen von 20 Euro. „Ich bin sehr glücklich, dass Deutschland zur Ordnung zurückgefunden hat“, freut sich Firmengründer Roger Akelius.
Das Portal Immowelt rechnet damit, dass die Berliner Angebotsmieten jetzt sprunghaft ansteigen. Bei anstehenden Neuvermietungen würden die Vermieter die ausgebliebenen Steigerungen der vergangenen eineinhalb Jahre nun aufschlagen. Bis Ende des Jahres würden sich die Preise von 9 auf 10 Euro pro Quadratmeter erhöhen, also um 11 Prozent. Mit dieser sogenannten „Nachholdynamik“ wäre das vor der Gesetzesankündigung herrschende Preisniveau schnell wieder erreicht, meint Immowelt.
BMV-Geschäftsführer Reiner Wild ist sicher: „Der bereits angelaufenen bundesweiten Kampagne für einen Mietenstopp wird der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts neuen Auftrieb geben.“ Mittlerweile unterstützen mehr als 100 Organisationen und Initiativen aus über 200 Städten die Kampagne Mietenstopp. Schon am Abend nach der Urteilsverkündung kamen über 15 000 Menschen zu einer kurzfristig organisierten Protestdemonstration am Hermannplatz. Die ohnehin schon gut laufende Unterschriftensammlung für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat nochmal einen großen Schub erhalten. Es bestehen kaum noch Zweifel, dass die erforderlichen Unterschriften zusammen kommen.
Bundesweite Mehrheit für den Mietendeckel
Zwei Wochen später haben sich in einer Umfrage 75 Prozent der Berliner für einen bundesweiten Mietendeckel ausgesprochen. Am größten ist die Zustimmung bei Anhängern der Linken, Grünen und der SPD. Aber selbst 68 Prozent der CDU-Anhänger wollen einen Bundesmietendeckel.
Nicht nur in Berlin, auch bundesweit gibt es eine Mehrheit für den Mietendeckel. In einer repräsentativen Umfrage für das Maklerunternehmen Homeday wünschen sich 61 Prozent der Deutschen, dass der Bund Mietendeckel auf regionaler Ebene ermöglicht. Sogar unter den Immobilieneigentümern gibt es dafür eine Mehrheit von 51 Prozent.
Jetzt muss nur noch die Bundesregierung den sozialen Sprengstoff der Mietenfrage erkennen und die Nöte der Mieterinnen und Mieter endlich ernst nehmen – wenn nicht die jetzige, dann spätestens die nächste.
Jens Sethmann
BVerfG Beschluss vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20
Kampagne für einen bundesweiten Mietenstopp:
www.mietenstopp.de
Informationen und Formulare zur „Sicher-Wohnen-Hilfe“ des Senats:
www.mietendeckel.berlin.de
Telefonische Informationen:
030 90193-9444, montags bis freitags 9-12 Uhr und 13-16 Uhr
E-Mail: mietendeckel@sensw.berlin.de
Was muss wann nachgezahlt werden?
Mieten, die ab dem 23. November 2020 abgesenkt wurden, gelten in der vorherigen Höhe weiter. Die seit der Absenkung aufgelaufene Differenz muss im Grundsatz unverzüglich an den Vermieter nachgezahlt werden.
Es gibt Fälle, in denen Vermieter trotz des Deckels Mieterhöhungen verschickt und die Zustimmung der Mieter verlangt haben. Sie haben die höhere Miete aber nicht eingefordert, sondern wollten sich diese für die Zeit nach dem Mietendeckel sichern. Wurde der Mieterhöhung zugestimmt, muss auch die geforderte Miete gezahlt werden. Andernfalls muss geprüft werden, ob die Mieterhöhung rechtmäßig ist und die Zustimmung verweigert werden kann. Ist das Verlangen noch gerichtsanhängig, muss das Urteil abgewartet werden.
Ähnlich ist es bei den sogenannten Schattenmieten. Wer nach dem 23. Februar 2020 einen neuen Mietvertrag abgeschlossen hat, fand darin neben der mietendeckelkonformen Miete oft eine zweite Miethöhe, die häufig weit darüber lag. Diese Schattenmiete wurde nicht kassiert, sollte aber einen Anspruch absichern. Mit dem Aus für den Mietendeckel sollte geprüft werden, ob die Schattenmiete eventuell gegen die Mietpreisbremse verstößt: Bei neuen Mietverträgen darf die Miete höchstens 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen – vorausgesetzt es liegt keine der zahlreichen Ausnahmen vor. Eine Überprüfung kann sich lohnen, denn viele Vermieter haben Schattenmieten in Fantasiehöhe in die Mietverträge geschrieben.
Die Mietpreisbremse kann auch dazu beitragen, dass die Nachzahlungen geringer ausfallen oder sich erübrigen. Der Berliner Mieterverein rät Mietern, die zwischen dem 1. Juni 2015 und dem 31. März 2020 einen Vertrag abgeschlossen haben, die Miethöhe hinsichtlich der Mietpreisbremse zu checken, bevor sie Beträge an den Vermieter überweisen – eine Nachzahlung, selbst unter Vorbehalt, wäre verloren.
Anders ist es bei neuen Mietverträgen ab dem 1. April 2020: Bei solchen haben Mieter mehr Zeit für die Klärung, ob die Mietpreisbremse zu einem Wegfall oder zur Reduzierung der Nachzahlung führt. Sie sollten zunächst die volle Nachzahlung leisten und im nächsten Schritt prüfen, ob die Schattenmiete nach der Mietpreisbremse zu hoch ist. Innerhalb von 30 Monaten kann die überhöhte Miete gegenüber dem Vermieter gerügt werden und die zu viel gezahlte Miete von Beginn an zurückgefordert werden.
Senat und Mieterverein hatten empfohlen, vorsorglich die durch den Mietendeckel entstandenen Einsparungen beiseite zu legen, um im ungünstigsten Fall die Nachzahlung leisten zu können. Viele Haushalte, deren Budget ohnehin knapp ist und die durch die Corona-Krise oftmals starke Einkommenseinbußen haben, konnten das jedoch nicht. Eine sofortige Kündigung dürfte unzulässig sein, weil es am erforderlichen Verschulden der Mieter fehlt, denn die Mieter haben sich mit der Anwendung des Mietendeckels an geltendes Recht gehalten.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen schätzt, dass 40.000 Haushalte Probleme haben, die Nachzahlung auf einen Schlag zu überweisen. Für sie hat der Senat eine „Sicher-Wohnen-Hilfe“ aufgelegt.
Die Investitionsbank Berlin zahlt auf Antrag ein zinsloses Darlehen aus, das innerhalb eines Jahres zurückgezahlt werden muss. Sollten Mieter unverschuldet nicht in der Lage sein, das Geld zurückzuzahlen, kann auf die Rückzahlung des Darlehens ganz oder teilweise verzichtet werden. Der Kreis der Berechtigten ist weit gezogen: Das Haushaltseinkommen darf bis zu 280 Prozent der bundesweiten Grenze für einen Wohnberechtigungsschein betragen. Bei einem Einpersonenhaushalt liegt das Limit beispielsweise bei 33.600 Euro im Jahr.
Empfängern von Arbeitslosengeld II, Grundsicherung und ähnlicher Leistungen rät der Senat, sich schnellstmöglich an das zuständige Amt zu wenden, um eine Nachzahlung der Mietzahlungen in die Wege zu leiten.
Rechtmäßige Nachforderungen übernehmen die Ämter grundsätzlich. Auch Wohngeldbezieher sollten kurzfristig einen Änderungsantrag an ihr Bezirksamt stellen, um zu prüfen, ob die Nachforderungen übernommen werden können.
js
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
24 Fragen und Antworten zur mietrechtlichen Rückabwicklung des Mietendeckels
Liebe Mitglieder,
der 15. April 2021 war ein schwarzer Tag für die Mieterinnen und Mieter in Berlin. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat den Berliner Mietendeckel unter anderem auf eine Normenkontrollklage von CDU/CSU- und FDP-Bundestagsabgeordneten hin für von Beginn an nichtig erklärt. Das Land Berlin habe nicht die Kompetenz, Mietpreisregeln festzulegen.
Mit dem Mietendeckel waren viele Hoffnungen verbunden: Für zunächst fünf Jahre eine starke Beschränkung von Mieterhöhungen auch bei Modernisierungen, für breite Schichten bezahlbare Mieten bei neuen Verträgen und eine Absenkung von in der Vergangenheit stark erhöhten Mieten. Und nicht zuletzt war mit den öffentlich-rechtlichen Preisregulierungen eine bessere und sichere Interessendurchsetzung erwartet worden. Diese Hoffnungen wurden nun zerstört, mehr noch, durch die Nachzahlungspflicht können die Vermieter überwiegend so gestellt werden, als hätte es den Mietendeckel nie gegeben. Das ist enttäuschend und ruft Frust, Wut und Sorge bei vielen Mieterinnen und Mietern hervor, unter anderem weil manche die durch den Deckel eingesparten Mieten jetzt zurückzahlen müssen, sie aber wegen der Corona-Folgen für andere wichtige Dinge ausgeben mussten.
Wir sehen uns in einer besonderen Verantwortung
Der Berliner Mieterverein hat den Mietendeckel für richtig und notwendig erachtet. Deshalb haben wir den Berliner Senat unterstützt und das Gesetzgebungsverfahren aktiv begleitet. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb auch eine juristische Niederlage für uns, mit erheblichen Folgen. Wir sehen uns daher in einer besonderen Verantwortung, den Mieterinnen und Mietern mit all unseren Kräften bei der Bewältigung der nun entstandenen mietrechtlichen und sozialen Folgen zur Seite zu stehen. Auf unserer Internetseite sind alle wichtigen Tipps zu finden, bei Unsicherheiten empfehlen wir dringend, einen Beratungstermin zu vereinbaren. Wegen der Corona-Beschränkungen wird die Beratung zumeist telefonisch erfolgen.
Natürlich ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren. Allerdings darf er auch kritisiert werden. Und dafür gibt es durchaus Anlass. Befremdlich ist, dass sich die Richter nicht inhaltlich mit den Argumenten der Landeskompetenzbefürworter auseinandergesetzt haben, selbst wenn sie am Ende zu einer anderen Überzeugung gekommen wären. Befremdlich ist auch, dass sie keinen Anlass sahen, über eine Abmilderung ihres Beschlusses nachzudenken, das Gesetz nur für künftig unanwendbar zu erklären, wodurch sich die Folgen für die Mieterinnen und Mieter verringert hätten.
In den letzten Tagen war häufig der Vorwurf zu hören, die juristische Niederlage sei vorhersehbar gewesen. Diesen Stimmen sollte man nicht glauben – hier wird Stimmung auf dem Rücken der Mieterschaft gemacht. Denn sogar die Richter des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts haben in den Beschlüssen zu den allesamt verworfenen Eilanträgen gegen den Mietendeckel die Kompetenz-Frage ausdrücklich für offen erklärt. Zwei von drei Landgerichtskammern, die sich zur Verfassungsmäßigkeit äußerten, haben ihn als verfassungsgemäß erklärt, ebenso eine große Zahl von Amtsrichterinnen und -richtern. Auch diverse Verfassungsrechtler sahen keinen Grund, diesen Landesweg nicht zu beschreiten. Selbstverständlich bestanden bei einer Neuregelung Risiken. Wir erinnern an die Mietpreisbremse. Ihre Einführung war 2015 gleichermaßen umstritten und wurde mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen, in diesem Fall aber für die Vermieter erfolglos.
Jede gesetzliche Regulierung, die die Rendite beeinflusst, wird angegriffen
Natürlich haben wir wie alle Deckelbefürworter mit einer gerichtlichen Überprüfung rechnen müssen. Denn im Grunde wird jede gesetzliche Regulierung, die die Renditen spürbar beeinflusst, von Vermietern und ihren Verbänden angegriffen. Aber das kann und darf kein Argument gegen besseren Mieterschutz sein. Zudem zeigt es uns, dass ein deutlich höherer Anteil an Wohnungsanbietern notwendig ist, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet sehen.
Was folgt nun nach der Zurückweisung des Mietendeckels? Das zentrale Problem von zu wenigen preisgünstigen Wohnungen ist mit der juristischen Niederlage ja nicht beseitigt. Im Gegenteil, die Immobilienwirtschaft in Berlin frohlockt und erwartet steigende Gewinnmargen. Vieles deutet auf eine neue Mieterhöhungswelle hin. Das Bundesverfassungsgericht hat die einzelnen Deckel-Regeln nicht bewertet. Der Berliner Mieterverein setzt sich daher nun verstärkt für bessere Regulierungen der Mietpreise beim Bundesgesetzgeber ein.
Gemeinsam mit den Mietervereinen und Mieterinitiativen aus anderen Städten, dem DMB, dem DGB und auch dem Paritätischen Gesamtverband werden wir den Bundestagswahlkampf für unsere Forderungen nutzen.
Die immer wieder beschworene Lösung durch Wohnungsneubau greift zu kurz.
Klar, bei fehlendem Angebot braucht es auch mehr Wohnungen. Aber es werden vor allem für breite Schichten der Bevölkerung bezahlbare Wohnungen benötigt. Die aktuellen Fertigstellungen helfen leider nur den Haushalten mit hohem Einkommen, für die anderen bringt das so gut wie nichts. Stattdessen wird nun wieder mit fast jeder Wiedervermietung das Angebot preisgünstiger Wohnungen schrumpfen.
Unsere Bitte: Wählen Sie am 26. September die Parteien, die sich für bezahlbares Wohnen wirklich einsetzen wollen.
Dr. Rainer Tietzsch, Vorsitzender
Reiner Wild, Geschäftsführer
Nicht in Vergessenheit geraten lassen: Das war der Mietendeckel
Bundesweit wird nach guten und neuen Schutzregelungen für Mieterinnen und Mieter vor überfordernden Mietpreisen gesucht. Deshalb wollen wir die konkreten Regelungen des Mietendeckels nicht in Vergessenheit geraten lassen. Sie finden hier – trotz der Nichtigkeit des Mietendeckel-Gesetzes – weiterhin die Übersicht über die zentralen Regelungen.
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29.10.2023