Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim, zwischen der beliebten Einkaufmeile Leipziger Straße und dem ehemaligen Bundesgartenschaugelände Niddawiesen gelegen, entstand 2006 das größte Passivhausprojekt Deutschlands. Dieses Ensemble wurde keineswegs von Ökofreaks erdacht, sondern von einer städtischen Wohnungsgesellschaft entwickelt. Die Frankfurter Aufbau AG, eine Tochter der ABG Frankfurt Holding, hat auf den richtigen Trend gesetzt: Sowohl die 109 Eigentums-, als auch die 40 Mietwohnungen wurden ihr förmlich aus den Händen gerissen.
Kinder pumpen eifrig Wasser, bauen Staudämme aus Sand und Kies. Andere drehen auf dem Laufrad ihre Runden. Die hügelige Landschaft dürfen die Kids allerdings noch nicht betreten, hier wurde gerade erst Rasen ausgesät. Genügend Platz zum Rennen und Spielen haben sie aber jetzt schon. Dachbegrünte Holzhäuschen gliedern die Spiel- und Erschließungsflächen des 3000 Quadratmeter großen Innenhofs, der von den fünfgeschossigen, roten und gelben Wohnbauten gebildet wird. „Hier in der Anlage fühle ich mich wie im Ferienressort“, schwärmt eine Bewohnerin mit Blick auf die großzügigen, farbig gestalteten Balkonwände. „Es fehlt nur noch der Swimmingpool in der Mitte.“
Auch Simon Beyer, Mieter des Wohngebäudes an der Ginnheimer Straße, freut sich mit seinen beiden Kindern über die Spielmöglichkeiten und die zahlreichen Nachbarkinder. „Wo gibt es denn sonst in Frankfurt ein so großes innerstädtisches Grundstück, einen geschlossenen Hof in dieser Größenordnung?“ Aus beruflichen Gründen ist Beyer mit seiner Familie im Herbst letzten Jahres in Frankfurt gelandet – genau zum richtigen Zeitpunkt, denn im September wurde der Mieterriegel bezugsfertig.
Von der Frankfurter Aufbau AG besonders für Familien mit Kindern konzipiert, entstand mit dem Sophienhof ein Kiez im Kiez. Die fünf Gebäude mit ihren 149 Wohn- und vier Gewerbeeinheiten bilden den Blockrand des riesigen Grundstücks, das bis vor kurzem noch eine Polizeiwache inklusive Fuhrpark beherbergte. 40 Wohnungen werden vom Bauherrn direkt vermietet, der größere Anteil wurde als Eigentumswohnungen verkauft, auf Wunsch mit Tiefgaragenstellplatz. Für rund 300.000 Euro konnte eine Familie hier beispielsweise eine Vierzimmerwohnung mit 110 Quadratmeter Wohnfläche erstehen. Ursprünglich sollte das Projekt in zwei Bauabschnitten gebaut werden.
Riesige Nachfrage
Aufgrund der riesigen Nachfrage konnte die FAAG jedoch das gesamte Ensemble in nur anderthalb Jahren realisieren. Das Besondere: Alle Gebäude wurden in Passivhausqualität errichtet. Damit ist der Sophienhof das größte Passivhauswohnprojekt Deutschlands – zertifiziert vom Passivhausinstitut Darmstadt.
Das Grundprinzip des Passivhauses ist Energieeffizienz. Um sie zu erreichen, setzt man auf sehr gute Wärmedämmung, dreifachverglaste Fenster, Luftdichtheit und kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung. Damit verringert sich nicht nur der Energieverbrauch drastisch, sondern die Behaglichkeit wächst und die Bausubstanz wird bestens geschützt. Im Sophienhof lassen tiefe Balkone über die gesamte Gebäudelänge im Winter die flach einfallenden Sonnenstrahlen zur Wärmegewinnung eindringen, sorgen aber im Sommer für ausreichend Schutz vor direkter Bestrahlung. Für den Restwärmebedarf, der nicht über die Sonne und die aus der Abluft gewonnenen Wärme gedeckt werden kann, sorgen drei Gasbrennwertkessel mit Pufferspeicher. Kalte Wand- und Fensterflächen, Zugluft und eine hohe Heizkostenrechnung gehören der Vergangenheit an. Für eine vierköpfige Familie auf 110 Quadratmetern ist mit rund 120 Euro Heizkosten pro Jahr Wohnkomfort bei gleichbleibenden Raumtemperaturen garantiert.
„Meine Eltern sind echte Frischluftfanatiker. Und die haben hier im Winter bei geschlossenem Fenster so gut geschlafen, wie schon lange nicht mehr“, berichtet Simon Beyer stolz. Einige Vorurteile bezüglich Passivhäusern halten sich jedoch hartnäckig. „Darf ich gar kein Fenster öffnen?“ wird immer wieder gefragt. Diese Frage könne umgekehrt werden in die Aussage „Ich muss kein Fenster mehr öffnen, frische Luft habe ich sowieso.“ Die frischgebackenen Passivhäusler sind gerade dabei, sich von einigen alten Gewohnheiten zu verabschieden. Um diesen Prozess zu vereinfachen, hat Architekt Füßler ein Nutzerhandbuch verfasst. Auf zehn Seiten ist hier das Wichtigste nachzulesen. Die Lüftungsregelung beispielsweise funktioniert in nur drei Stufen ohne Temperaturangaben – die Bewohner sollen sich auf ihr Gefühl verlassen.
Als eines der ersten Unternehmen der Wohnungswirtschaft realisierte die FAAG 1998 ein Passivhausprojekt mit 19 Wohneinheiten. Während der Zusammenarbeit mit einem externen Architekturbüro wurde dem Wohnungsunternehmen bald klar, dass in dieser Bauweise das Potenzial der Zukunft liegt. Doch Geschäftsführer Frank Junker musste erst davon überzeugt werden, dass auch ein so großes Bauvorhaben wie der Sophienhof sich im Passivhausstandard profitabel umsetzten lässt. Und da das Projekt für das externe Architekturbüro eine Nummer zu groß war, wurde die hauseigene Planungsabteilung auf den Plan gerufen.
Werner Füßler, Architekt und Projektleiter, ist stolz auf das Ergebnis. Mit Unterstützung des Passivhausinstituts wurden einige Bauteile sogar völlig neu entwickelt, wie beispielsweise die dreifachverglaste Hauseingangstür, die nach außen aufschlägt. 30 Prozent mehr Planungsaufwand musste Füßlers Team für das Passivhausprojekt veranschlagen. „Der Mehraufwand wird sich von Projekt zu Projekt reduzieren“, ist sich Füßler sicher.
Familie Beyer zahlt rund 13 Euro Warmmiete pro Quadratmeter, was in Frankfurt dem gehobenen Mittelfeld entspricht. Aufs Heizen und Warmwasser entfällt davon nur ein Bruchteil. Deshalb müssen sie trotzdem nicht frieren. „Im Winter ist es wirklich komfortabel. Daunendecken brauchen wir nicht mehr. Die Kinder werden nicht mehr krank, wenn sie sich in der Nacht mal aufdecken, denn die Luft ist frisch, aber nicht zu kalt“, freut sich der Familienvater. Ruhig schläft es sich ebenfalls, denn die Dreifachverglasung bietet optimalen Schallschutz.
Frische Luft und nicht zu kalt
Nun steht aber der Sommer vor der Tür. Im Nutzerhandbuch ist zu lesen: „Zur Vermeidung von Überhitzung im Sommer: Nachtlüftung über die Fenster, Verschattungseinrichtungen nutzen.“ Also doch die Fenster öffnen? Im Sommer scheint dies sogar notwenig zu sein, denn interessanterweise gibt es im Sophienhof keine Vorkühlung der Frischluft über Erdwärmetauscher, eine häufig angewandte Technik im Passivhausbau. Unter anderem wegen der offenen Tiefgaragen haben die Planer die zentralen Lüftungsgeräte für die Frischluftzufuhr oben auf den Gebäuden platziert. Außen liegende Sonnenschutzelemente gehören lediglich bei den Dachgeschosswohnungen zur Standardausstattung. Die Eigentümergemeinschaft hat die Lage erkannt, plant nun gemeinsam mit dem Architekten – und genießt derweilen den sonnigen Frühling auf dem Balkon.
Da der Passivhausstandard nur noch mäßig teurer ist als das herkömmliche Bauen, lohnt sich die Investition auch im Mietwohnungsbau. Die Mieter sind glücklich mit dem guten Raumklima und den praktisch nicht existenten Heizkosten – und bleiben dem Haus treu. Bauschäden treten deutlich seltener auf. Für Investoren gibt es also keinen Grund, sich dem Thema zu verschließen. Bei der Frankfurter Aufbau AG stellt man sich die Frage sowieso nicht mehr. Sie wird diesen Weg weitergehen, sowohl im Neubau als auch im Bereich der Sanierung. Aktuell in der Planung ist bereits das Straßenbahndepot Bornheim. Dort entstehen 160 Passivhauswohnungen mit großem Mietwohnungsanteil. Architekt Füßler freut sich auf die neuen Herausforderungen. Und möchte bald selbst in einem Passivhaus wohnen.
Anja Riedel
MieterMagazin 7+8/07
Mit 149 Wohnungen ist der Frankfurter Sophienhof Deutschlands größtes Passivhausprojekt im Neubau
alle Fotos: Anja Riedel
3000 Quadratmeter Platz zum Toben und Spielen: „Wo gibt es das sonst in Frankfurt“, fragt Simon Beyer
Auf der Überholspur
Das erste bewohnte Demonstrationsgebäude in Passivhausqualität wurde 1991 in Darmstadt-Kranichstein errichtet. Bis heute verbrauchen seine Bewohner weniger als 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr zum Heizen. Inzwischen sind allein in Deutschland über 7000 Passivhäuser unterschiedlicher Nutzung errichtet worden. Gerade im Geschosswohnungsbau spielt das Passivhaus seine Vorteile aus. Die Mehrkosten im Vergleich zum Bauen nach Energieeinsparverordnung liegen nur noch bei fünf bis zehn Prozent, Tendenz sinkend. Dafür ist der Heizenergieverbrauch um 80 Prozent geringer.
ar
05.02.2018