Für die einen ist die Wohngemeinschaft wie eine Familie, für die anderen eine Möglichkeit, preiswert zu wohnen. Im Idealfall schafft sie eine Balance zwischen individuellem und gemeinschaftlichem Leben.
„Ein Ende ist nicht absehbar“, sagt Sandra über ihre Wohngemeinschaft (WG). Ihre beiden Mitbewohnerinnen Benita und Nicole stimmen lachend zu. Die drei sind zwischen 35 und 37 Jahre alt und haben sich vor etwa 20 Jahren in ihrer norddeutschen Heimat kennengelernt. Sandra und Nicole sind 2000 beruflich nach Berlin gegangen. „Für uns beide war gleich klar, dass wir uns dann auch gemeinsam eine Wohnung suchen“, erinnert sich Nicole. Gemeinsam arbeiten, gemeinsam wohnen, gemeinsam die Stadt erkunden. Im Jahr darauf stieß Benita dazu und zog in das kleine Zimmer, das Nicole und Sandra eigentlich als Gäste- und Wäschezimmer vorgesehen hatten. Dreieinhalb Jahre später haben sich die drei Freundinnen zusammen eine Wohnung in Friedrichshain gesucht. Zwei Katzen gehören auch zur WG. „Allein ist man hier nie“, sagen sie. Und genau das ist auch der Grund, warum nicht jede für sich wohnen will. „Es ist einfach schön, dass jemand da ist, wenn man von der Arbeit kommt.“ Eine reine Zweck-WG kommt für keine der drei in Frage. „Ich kann mir nicht vorstellen, mit fremden Menschen zusammen zu wohnen“, sagt Sandra. Die Miete haben sie nach Quadratmetern aufgeteilt. Die Dinge des täglichen Bedarfs und Lebensmittel kauft mal die eine, mal die andere ein. Was im Kühlschrank steht, ist für alle. Auch das Putzen regeln die drei Freundinnen ohne große Absprachen. „Dafür, dass wir nie einen Putzplan hatten, gibt es wenig Streit deswegen“, sagt Benita. Ein gemeinsames Wohnzimmer haben sie nicht. Wenn die drei zusammensitzen, dann meist am Küchentisch. Die Küche ist eher WG-untypisch: Sie ist relativ schmal und es passt nur ein kleiner Tisch rein. „Ich hätte gerne eine größere Küche gehabt“, sagt Sandra. Aber wichtiger seien drei große Zimmer gewesen.
WG im Vertrag festhalten
Im Mietvertrag stehen alle drei als Hauptmieter. Das führt dazu, dass sie gemeinsam für die gesamte Miete und eventuelle Schäden haften. Der Berliner Mieterverein (BMV) rät dazu, im Mietvertrag ausdrücklich festzuhalten, dass es sich um eine WG handelt und Hauptmieter wechseln können. Bei einem Wechsel Einzelner muss dann kein neuer Mietvertrag abgeschlossen werden. Allerdings sollte der Vermieter über jeden Bewohnerwechsel informiert werden. Eine andere Variante ist, dass es nur einen allein haftenden Hauptmieter gibt und die anderen Bewohner dessen Untermieter sind. Wird im Mietvertrag eine generelle Untermieterlaubnis vereinbart, können die Untermieter wechseln, ohne dass vom Vermieter jeweils eine neue Genehmigung eingeholt werden muss.
Schlechte Erfahrung mit einem kurzzeitigen Untermieter haben die Studenten Florian*, Timo* und Frank* gemacht. Der Neue zog für ein dreiviertel Jahr in die Neuköllner WG, während Florian in Argentinien war. „Weder mit dem Mietezahlen noch mit dem Putzen hat es funktioniert.“ Auch auf den Telefonrechnungen und der Nebenkostennachzahlung blieben die drei Hauptmieter komplett allein sitzen. Florian und Timo kennen sich schon seit Schulzeiten. Vor gut zwei Jahren ist Julia als Nachfolgerin von Frank in die WG gekommen, nachdem der mit seiner Freundin zusammengezogen ist. „Vorher hab ich mit zehn Frauen zusammengewohnt, das ging irgendwann nicht mehr gut“, erzählt Julia. Deshalb ist sie ganz bewusst in eine „Jungs-WG“ gezogen – zu der übrigens auch zwei Katzen gehören. Die Miete teilen sich die drei „Pi mal Daumen“: Florian zahlt etwa 70 Euro mehr, weil er als einziger zwei Zimmer hat. In der WG gibt es einen Putzplan und eine gemeinsame Kasse für Dinge wie Klopapier, Speiseöl oder Gewürze. Den Rest kauft jeder für sich, teilt es aber auch mit den anderen. „Auch wenn wir uns gar nicht so oft sehen, ist es klasse, nicht allein zu wohnen“, antwortet Julia auf die Frage, warum sie in einer WG lebt. „Und wer seine Tür zu macht, hat seine Ruhe.“ Eine reine Zweck-WG wäre nichts für sie.
Zweck-WG liegt im Trend
„Die große Kunst ist es, ein Mittelding zu finden zwischen Privatsphäre und Gemeinschaft.“ Für Florian wäre eine Zweck-WG dagegen okay – „… wenn die Mitbewohner nicht ständig wechseln und man sich nicht dauernd auf neue Leute einstellen muss“, schränkt er ein. Für eine WG spricht für ihn vor allem, dass die Miete niedriger und die Wohnung größer ist. „Selbst in Neukölln sind Einzimmerwohnungen ja mittlerweile nicht mehr billig.“
Eine große Wohnung für relativ wenig Miete ist auch für Eva* der Grund, in einer Wohngemeinschaft zu leben. „Das ist eine reine Zweck-WG und soll es auch bleiben“, sagt die 30-jährige Grafikerin. Seit 2003 wohnt sie in der geräumigen Vierzimmerwohnung in Prenzlauer Berg und hat inzwischen acht Bewohnerwechsel erlebt. Dabei ist sie selbst nur Untermieterin. Die Hauptmieter, ein Paar mit Kindern, sind irgendwann aufs Land gezogen, bewohnen zeitweise aber immer noch eines der Zimmer. „Inzwischen sind sie nur noch sehr selten in Berlin, wollen die Wohnung aber nicht aufgeben.“ Eva und ihre vierjährige Tochter haben zusammen zwei, die Mitbewohnerin ein Zimmer. Die große Wohnküche ist als Gemeinschaftsraum ideal. Eva überlegt immer mal wieder umzuziehen. „Aber die Wohnung und die Lage sind einfach Klasse, wir haben viel Platz und zahlen deutlich weniger Miete, als wenn wir uns eine kleine Wohnung suchen würden.“ In den ersten Jahren suchte Eva Mitbewohner über das Goethe-Institut. „Da die aber oft nur für ein paar Monate blieben, nahmen sie es mit dem Putzen leider nicht so genau“, erinnert sie sich. „Außerdem hatte ich irgendwann keine Lust mehr, mich dauernd auf neue Leute einzulassen.“ Hinzu kommt, dass jedes Mal eine Untervermietungsgenehmigung beim Eigentümer eingeholt werden müsste. Inzwischen nutzt Eva Internetportale speziell für Wohngemeinschaften, hat langfristige Mitbewohner und einen Putzplan.
Wie viele Wohngemeinschaften es in Deutschland gibt, ist statistisch nicht erfasst. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks lebte 2006 allerdings knapp ein Viertel der Studierenden in einer WG, unter den Älteren ab 30 Jahren waren es allerdings nur noch 13 Prozent. Senioren-Wohngemeinschaften sind dagegen eher noch selten. Der „Verein für soziales Leben“ sieht das größte Problem vor der Gründung einer solchen WG nicht in der Pflegebedürftigkeit, sondern im Mangel an geeignetem, sprich: barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum. Zunehmender Beliebtheit erfreut sich das Wohnen mit mehreren Generationen unter einem Dach. In und um Berlin gibt es zahlreiche solcher Mehrgenerationenprojekte, einige davon auch zur Miete.
Kristina Simons
* Namen von der Redaktion geändert
Als Gegenmodell ausgedient
Die oftmals politisch motivierten Kommunen der 60er Jahre waren Vorbild für viele Wohngemeinschaften. Nicht die erste, aber eine der spektakulärsten war die Kommune 1. Sie entstand Anfang 1967 in Berlin als Gegenmodell zur bürgerlichen und hierarchisch strukturierten Kleinfamilie. Vier Frauen und vier Männer gehörten zu den Gründungsmitgliedern. Bereits Ende 1969 war es mit der Kommune wegen interner Streitigkeiten allerdings schon wieder vorbei. Aus den Kommunen entwickelten sich zu Beginn der 80er Jahre die Wohngemeinschaften, die heute nur noch selten einen gesellschaftspolitischen Anspruch erheben.
ks
MieterMagazin 7+8/09
Eine Wohngemeinschaft im Jahr 1980
Foto: Michael Jespersen
Sandra, Benita und Nicole teilen sich eine Dreizimmerwohnung in Friedrichshain
Fotos: Sabine Münch
Viel Platz und eine geringe Miete sind für Eva gute Gründe, in einer Wohngemeinschaft zu leben
Foto: Sabine Münch
Tipps für die WG-Suche im Internet:
www.wg-gesucht.de
Gemeinschaftlich wohnen m Alter und Mehrgenerationenwohnen:
www.wohnprojekte-50-plus.de
Zum Thema
Wohngemeinschaft oder Bedarfsgemeinschaft?
Für Empfänger von Sozialleistungen wie ALG II, die in einer Wohngemeinschaft oder einem Untermietverhältnis leben, gilt: Wenn es sich nicht um eine Bedarfs-, also Lebensgemeinschaft handelt, gibt es den vollen staatlichen Hilfesatz unabhängig vom Einkommen der Mitbewohner. Geregelt ist das in den geänderten Ausführungsvorschriften für Empfänger von Sozialleistungen (AV-Wohnen) vom 10. Februar 2009.
ks
28.09.2022