„Eine eigene Wohnung für eine junge Frau mit Autismus? Keine Chance“, schrieb uns eine Leserin verzweifelt. Selbst Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeit, Hilfe durch Ämter, „Geschütztes Marktsegment“ und begleitete Wohnungssuche garantieren heute keinen baldigen Erfolg mehr. Die Lage am Wohnungsmarkt drängt besonders die Schwachen immer weiter nach hinten.
„Selbst unter sozial schwächer Gestellten gibt es Kategorien. Alle ,Mietunkonformen´ werden meist noch gnadenloser aussortiert.“ Diese bitteren Zeilen stehen in einem langen Leserbrief, der die Redaktion des MieterMagazins vor einigen Wochen erreichte. Geschrieben hat ihn die 24-jährige Sandra L.*, die aufgrund ihrer autistischen Störung weder in einer Ausbildung noch auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen konnte. Und die uns ihre verzweifelte Suche nach einer eigenen Wohnung schildert. Trotz eines Wohnberechtigungsscheines (WBS) mit Dringlichkeitsvermerk und einer „sauberen Schufa-Weste“, so die junge Frau, habe sie bisher keinerlei Chance gehabt: „Entweder die Vermieter ignorieren die Anfrage oder es kommt zur Besichtigung, und dann werde ich ignoriert.“
Viele Menschen mit einer psychischen Behinderung oder einer Suchterkrankung machen diese Erfahrung. Wer sich nicht überzeugend präsentieren kann, wer unsicher und auffällig wirkt, aus Sicht von Vermietern, Maklern, Kundenberatungszentren gar Probleme im Haus und in der Nachbarschaft bereiten könnte, kommt als künftiger Mieter nicht infrage.
„Und bei der Suche nach Unterstützung für ihr Anliegen drehen sich viele monatelang im Kreis“, sagt Conni Ruhland vom Therapeutischen Verbundwohnen für Frauen im Bezirk Treptow-Köpenick. Dabei steht all jenen Hilfe zu, die von anhaltenden seelischen Störungen betroffen sind und sich in schwierigen Lebenslagen nicht selbst helfen können (Sozialgesetzbuch XII, §§ 67 und 53). „Aber die Hürden sind hoch“, erklärt die Sozialpädagogin und Suchtberaterin. Erforderlich ist zunächst einmal der Gang zum Sozialpsychiatrischen Dienst des jeweiligen Bezirks. Dort wird überlegt, welche Hilfen erforderlich und möglich sind, beispielsweise vom Sozialamt und dem Jobcenter, das bei Bedürftigkeit für die Zahlung der Miete aufkommt.
Mal auf den Tisch hauen
Aber wenn ein WBS mit Dringlichkeit selbst bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften nichts bewirkt? Dann braucht es ganz praktische Hilfe bei der Wohnungssuche. Ruhland: „Dann muss vielleicht eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter die Telefonate führen und auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen.“
Die „Träger gGmbH“ ist eines der Berliner Hilfsangebote für Menschen mit einer psychischen Störung, einer Suchterkrankung oder einer geistigen Behinderung. Vor allem in Reinickendorf kümmert sie sich um Wohn- und Betreuungsangebote. Matthias Rosemann: „Wir suchen inzwischen in allen Foren und Medien nach passendem Wohnraum.“ Die Suche danach ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Wenn sich tatsächlich ein Vermieter findet, stellt der inzwischen nicht selten die Forderung, dass die vermittelnde Organisation auch den Mietvertrag unterzeichnet.
Solche Praxis birgt eine Gefahr: Wechselt der Eigentümer, muss der neue Vermieter den Vertrag nicht verlängern. „Weil wir als Träger die Wohnung angemietet haben, ist es ein Gewerbemietvertrag, der sozusagen von heute auf morgen gekündigt werden kann.“
Einen Mietvertrag könnten Betroffene beispielsweise auch über das Geschützte Marktsegment bekommen – wenn denn Wohnungen darüber zur Verfügung stehen. Im Bezirk Treptow-Köpenick ist die Warteliste lang: Rund 150 Bewerber hoffen auf Hilfe für eine bezahlbare eigene Wohnung. „Das Problem“, so Silke Freialdenhofen, Gruppenleiterin der Koordinierungsstelle zur Vermeidung und Behebung von Wohnungsverlust: „Im Topf sind nicht genug Wohnungen, und jeder Bezirk greift da hinein.“ Infrage kommen ohnehin nur jene Bewerber, die bestimmte Kriterien erfüllen. Sie müssen beispielsweise länger als ein Jahr in Berlin gemeldet und von Wohnungslosigkeit betroffen sein.
Jeder greift in den zu kleinen Topf
Weil sich um das kleine „Geschützte Marktsegment“ viele unterschiedliche Betroffenengruppen bewerben – es zählen beispielsweise auch Haftentlassene dazu – hat jeder Bezirk eigene Kriterien aufgestellt. In Treptow-Köpenick muss eine erfolglose Wohnungssuche mit mindestens 20 Bewerbungen nachgewiesen werden. Zusätzlich wird eine Schufa-Auskunft gefordert, und die Bewerber um eine Wohnung sollen beim Bürgeramt einen Wohnberechtigungsschein beantragen. „Seit ich den Bereich hier vor fast neun Jahren übernommen habe“, so Silke Freialdenhofen, „verschärft sich die Situation und verlängert sich die Wartezeit für die Betroffenen.“ Zu denen gehören heute nach Auskunft der Amtsmitarbeiterin längst regelmäßig große Familien.
Was haben Menschen wie Sandra L. da überhaupt für eine Chance? Am Frühstückstisch von „Evas Haltestelle“, einem Angebot des Sozialdienstes katholischer Frauen im Wedding sind sich die meisten einig: Keine! „Du hast kein Geld, Du bist stigmatisiert – ich bin seit 13 Jahren wohnungslos“, erklärt eine der Frauen am Tisch. „Dabei haben wir doch auch das Recht auf eine eigene Wohnung …“ ergänzt eine andere. Sie müsse sich Hilfe holen, erklärt schließlich eine der Besucherinnen bestimmt. Und beschreibt ihren Weg aus der Wohnungslosigkeit heraus: „Ich hatte meine Wohnung verloren, weil ich ein paar Probleme hatte. Aber ich habe mir Hilfe geholt und mit einer Betreuerin lange gesucht.“ Seit etwa vier Jahren wohnt sie nun in einer eigenen Wohnung. Die Betreuerin hilft ihr noch immer und kümmert sich darum, dass beispielsweise die Miete pünktlich überwiesen wird.
Das gute Beispiel ist am Tisch eher ein Einzelfall. Auch Claudia Peiter, Leiterin von „Evas Haltestelle“, schätzt die Situation insgesamt dramatisch ein – vor allem für wohnungslose Frauen, die aufgrund einer psychischen Störung ihre Bleibe verloren haben. Nicht wenige von ihnen, die in betreuten Einrichtungen leben, könnten längst in eigene vier Wände ziehen. Aber es findet sich keine Wohnung. So müssen sie in Heimen oder auch Trägerwohnungen bleiben und blockieren damit auch einen Platz für jene, die ihn dringender bräuchten.
Vermieter machen Rückzieher
„Wir sind seit Langem auf der Suche nach einer großen Immobilie – es könnte ein leer stehender Supermarkt sein“, erklärt Claudia Peiter. „Aber immer, wenn klar wird, dass wir Wohnungen für unsere Frauen einrichten wollen, haben Vermieter bisher einen Rückzieher gemacht.“ Einmal lag sogar schon ein Mietvertrag auf dem Tisch. Als dem Eigentümer klar wurde, was der Träger vorhat, kam die Ansage: Diese „Kundschaft“ wollen wir nicht.
Rosemarie Mieder
* Name von der Redaktion geändert
Anlaufstellen
Es gibt in Berlin viele Anlaufstellen, die Menschen mit psychischen Störungen oder Suchterkrankungen Beratung und auch Hilfen bei der Wohnungssuche anbieten. Zu ihnen gehören:
- Träger gGmbH: www.traeger-berlin.de
- GEBEWO – soziale Dienste: www.gebewo.de
- Sozialdienst katholischer Frauen mit Evas Haltestelle: www.skf-berlin.de
- Geschütztes Marktsegment: www.berlin.de/lageso/soziales/geschuetztes-marktsegment
27.02.2021