Ab sofort muss wieder die volle Miete gezahlt werden, sonst droht ganz schnell die Kündigung. Kaufinteressenten und Handwerkern darf nicht länger der Zutritt zur Wohnung verwehrt werden, und Modernisierungen gelten wieder als zumutbar. Ein Überblick über die neuesten Corona-Regelungen rund um das Mietverhältnis.
Für die Bundesregierung sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie offenbar kein Grund, für einen besonderen Schutz der Mieter zu sorgen. Trotz steigender Kurzarbeit – in Berlin ist fast jeder vierte Beschäftigte betroffen – und trotz der dramatischen Situation vieler Selbstständiger wurde das Kündigungsmoratorium für Corona-bedingte Mietschulden nicht verlängert.
Seit dem 1. Juli gilt: Wer seine Miete nicht oder nicht vollständig zahlt, kann gekündigt werden. Ein Rückstand von mehr als einer Monatsmiete genügt. Die vom 1. April bis 30. Juni geltende Möglichkeit der Stundung wurde bislang nicht verlängert. Durch eine Rechtsverordnung hätte die Bundesregierung dies problemlos erledigen können, was aber von der CDU torpediert wurde. Bei Mieterorganisationen und Sozialverbänden stieß dies auf Unverständnis. Es sei kurzsichtig und nicht nachvollziehbar, dass Schutzmaßnahmen wie das Mieten-Moratorium schon wieder heruntergefahren werden,“ erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Dort hatte man sich in einem Vorstandsbeschluss dafür ausgesprochen, die Stundungsmöglichkeit – die übrigens auch für Gewerbemieter galt – mindestens bis zum 30. September zu verlängern.
Als „zutiefst unsozial und unsolidarisch“ kritisierte Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, das Vorgehen der Bundesregierung. Sie lasse die Mieterinnen und Mieter im Regen stehen und das, obwohl auch die jetzige Regelung kein Schuldenerlass war, sondern nur ein – wegen der Verzugszinsen – teurer Aufschub der Zahlungspflicht. „Statt sozial verantwortlicher Vorausschau übt sich die Regierung schon wieder in der Bedienung der Hauseigentümerklientel“, so Wild. Dabei seien die Vermieter wirtschaftlich nicht wirklich belastet. Die Immobilienwirtschaft ist bislang prima durch die Krise gekommen – auch deswegen, weil nur sehr wenige Mieter eine Stundung der Miete in Anspruch genommen haben. Beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) waren es lediglich 0,3 Prozent.
Mieterbund feilt an neuem Vorschlag für Solidarfonds
Genau das musste von Regierungsseite als Begründung dafür herhalten, dass die Regelung überflüssig sei. Das Problem dürfte sich aber noch verschärfen, meint Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB): „Schwierig wird’s erst später, wenn sämtliche Ersparnisse aufgebraucht sind.“ Es sei doch klar, dass man als allererstes die Miete zahlt. Doch mit seiner Forderung nach einem Sicher-Wohnen-Fonds konnte sich der DMB bislang nicht durchsetzen.
Ein solcher Fonds soll Mietern in Not zinslose Darlehen oder Zuschüsse gewähren. Profitieren sollen nicht die großen Wohnungsunternehmen, sondern kleine Hausbesitzer, die durch Mietausfälle tatsächlich in eine Schieflage geraten könnten. Beide Seiten, Mieter und Vermieter, müssen ihre Bedürftigkeit nachweisen. Wuchermieten will man auf keinen Fall finanzieren. Mittlerweile feilt man beim DMB an einem modifizierten, nicht-Corona-spezifischen Modell. Die Details werden noch erarbeitet. Fest steht, dass sich die Wohnungswirtschaft finanziell beteiligen soll. „Es soll ein Solidarfonds auf Dauer sein, der auch in anderen Krisen und Notsituationen einspringt“, erklärt Siebenkotten.
Wichtig für alle Mieter, die seit dem 1. April 2020 Corona-bedingt Mietschulden angehäuft haben: Sie haben bis Ende Juni 2022 Zeit, die Miete nachzuzahlen – inklusive Zinsen von 4 bis 6 Prozent.
Bauarbeiten sind wieder erlaubt
Was hat sich sonst noch geändert? Seit Berlin die Kontaktbeschränkungen aufgehoben hat, kann man Besichtigungen durch den Vermieter beziehungsweise durch Kauf- oder Mietinteressenten nicht mehr unter Verweis auf die Ansteckungsgefahr ablehnen. Auch Handwerkern, Heizungsablesern oder Monteuren, etwa für die Anbringung von Rauchmeldern, muss wieder Zutritt gewährt werden. Allerdings kann man darauf bestehen, dass der Mindestabstand eingehalten oder ein Mundnasenschutz getragen wird. Etwas anderes kann gelten, wenn man zu einer gesundheitlich klar gefährdeten Risikogruppe gehört. Weil es hier auf den Einzelfall ankommt, empfiehlt sich eine Rechtsberatung. Allein der Hinweis auf ein Lebensalter über 60 Jahren dürfte nicht ausreichen. Auch ein Anspruch auf Übersendung der Belege aus der Betriebskostenabrechnung per E-Mail oder in Kopie besteht seit der Lockerung nicht mehr. Sofern sich das Büro des Hausverwalters in Berlin befindet, muss man sich wieder persönlich dorthin bemühen. Die bekannten Hygieneregeln sind einzuhalten. Nach wie vor gilt: Wer an Covid 19 erkrankt ist oder unter Quarantäne steht, muss nicht ausziehen, auch wenn die Wohnung bereits gekündigt worden ist. Das Recht der Mieterinnen und Mieter auf körperliche Unversehrtheit hat Vorrang vor dem Räumungsinteresse des Eigentümers.
Während des Lockdowns wurden geplante Modernisierungsmaßnahmen von den meisten Vermietern zurückgestellt. Mit der Lockerung gilt nun: Bauarbeiten sind wieder zumutbar. Für Mieter, die zu einer gesundheitlich gefährdeten Risikogruppe gehören, kann jedoch bei umfangreichen Maßnahmen in der Wohnung der vorübergehende Umzug in eine Ersatzwohnung oder ein Hotel erforderlich sein. Eine gute Nachricht für alle Wohnungswechsler: Der privat organisierte Umzug mit Freunden und Bekannten ist wieder ohne Einschränkungen erlaubt. Lediglich bei einer Ausgangssperre darf der Umzug ausschließlich durch professionelle Umzugsunternehmen erfolgen.
Birgit Leiß
Diskriminierung auf dem Vormarsch
An die Stigmatisierung von HIV-Infizierten in den 1980er Jahren fühlte sich eine Wohnungssuchende erinnert, als sie auf eine Anzeige stieß, in der der Anbieter der Wohnung von den Interessenten eine Eidesstattliche Versicherung verlangte, dass man nicht an Corona leidet oder je gelitten hat. Nachdem sie sich beim Immobilienportal beschwerte, verschwand das Inserat. In einem anderen Fall forderte der Vermieter vom Hauptmieter, dass sein potenzieller Untermieter – ein Schwede – 14 Tage in Quarantäne geht und der Hauptmieter außerdem ein Quarantänekonzept vorlegt, sonst werde die Untervermietung nicht genehmigt. Schweden sei besonders gefährdet. „Ungeheuerlich“ findet man beim Berliner Mieterverein dieses Ansinnen. Quarantäne kann nur vom Gesundheitsamt verhängt werden, nicht von einem Vermieter.
Im ersten Fall liegt nach Auskunft der Antidiskriminierungsstelle des Bundes keine Diskriminierung im Sinne des Gesetzes vor. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz würde nur bei einer Benachteiligung wegen einer Behinderung greifen. Als solche gilt beispielsweise Aids, nicht aber Corona, weil es sich nicht um eine chronische Krankheit handelt. Eine Quarantäne-Forderung allein auf die schwedische Staatsangehörigkeit zu beziehen, könnte dagegen als Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft gewertet werden. Zumindest wenn es nicht mit einem Aufenthalt in Schweden in den letzten Wochen sachlich begründet wird, könnte also eine Diskriminierung nach dem AGG vorliegen, die dann auch Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche erlauben würde.
Bei der Antidiskriminierungsstelle weiß man zudem von einem Fall zu berichten, in dem sich Handwerker weigerten, Reparaturen in der Wohnung auszuführen, weil auf dem Klingelschild ein chinesischer Name stand. Die Mieter waren seit Jahren nicht mehr in China gewesen.
bl
Andere sind Deutschland weit voraus
Als eine der ersten Maßnahmen zum Schutz von Mietern wurde in fast allen europäischen Ländern außer Polen die Zwangsräumung ausgesetzt. Doch in den meisten Ländern ist diese Regelung bereits ausgelaufen, so auch in Deutschland. Lediglich Spanien hat verfügt, dass es keine Zwangsräumungen geben soll, solange die Krise anhält – ohne zeitliche Befristung. Dort geht man aber noch einen Schritt weiter und hat ein Einfrieren der Miete beschlossen. Dies gilt für alle großen privaten Vermieter mit mehr als fünf Wohnungen und sofern das monatliche Einkommen der Mieter unter 1600 Euro liegt. Eine ganz ähnliche Regelung gibt es in Luxemburg. Dort wird die Miete bei 25 Prozent des verfügbaren Einkommens eingefroren. Außerdem wurde in beiden Staaten ein spezielles Covid-19-Wohngeld für kleine und mittlere Einkommen aufgelegt, ebenso in Portugal. „Ausgerechnet Deutschland als klassisches Mieterland hinkt extrem hinterher“, sagt Barbara Steenbergen von der internationalen Mietervereinigung IUT (International Union of Tenants). „In Frankreich hat sich die Regierung mit allen großen Wohnungsunternehmen an einen Tisch gesetzt, um Mietnachlässe und andere Hilfen auszuhandeln. Warum macht man das nicht auch in Deutschland?“ Und zwar nicht als freiwillige Unterstützung mit zudem schwammigen Konditionen, wie sie etwa die Deutsche Wohnen und die Vonovia anbieten, sondern als öffentliche Vereinbarung. Aber gibt es in diesen Ländern keinen Aufschrei der Wohnungswirtschaft wegen der sinkenden Mieteinnahmen? Das sei eine Frage der Solidarität, meint Steenbergen: „Das trauen sich die Unternehmen nicht, die gesellschaftliche Empörung wäre groß, wenn diese in der Corona-Krise auf ihrem maximalen Profit beharren würden.“
bl
Lesen Sie auch zu diesem Thema:
04.08.2020