Die Mieter der Calvinstraße 21 in Moabit haben weitere wichtige Etappensiege gegen die Schikanen der Hauseigentümerin errungen. Das Amtsgericht Tiergarten urteilte, dass die zugemauerten Fenster einer Mieterin wieder in einen nutzbaren Zustand versetzt werden müssen. Das heißt: Der Neubau, der die Fenster versperrt, muss verschwinden. Weitere Willkürmaßnahmen konnten die Mieter mit einstweiligen Verfügungen abwehren. Die Eigentümerin gibt dennoch nicht nach, und das Bezirksamt Mitte bleibt weiterhin tatenlos.
Die zugemauerten Küchen- und Badezimmerfenster müssen so wiederhergestellt werden, dass der Abstand zum Neubau drei Meter beträgt. „Nicht erst seit dem Fall der ‚Mauer‘ ist es allgemeinkundig, dass Mauern auch wieder beseitigt werden können“, heißt es dazu im Urteil des Amtsgerichts. Auf die hohen Kosten einer Wiederherstellung, die letztlich nur durch einen Teilabriss des Neubaus zu erreichen ist, kann sich die Eigentümerin nicht berufen, da sie die Situation selbst geschaffen hat.
Die „Terrial Stadtentwicklung GmbH“ ist sowohl Eigentümerin der Calvinstraße 21 als auch Bauherrin des benachbarten Neubaus. Im April 2011 hat sie die Fenster mit dem Neubau verschlossen, ohne eine Verständigung mit der Mieterin zu suchen (MieterMagazin 1+2/2012, Seite 10: Mauer vorm Kopf)). Seither muss eine Mieterin Bad und Küche künstlich beleuchten und über das Schlafzimmer entlüften.
Die Eigentümerin versucht seit langem, die Mieter zu vergraulen. Sie will das Haus aus den 60er Jahren wie schon die Nachbargebäude Calvinstraße 20 a/b und Melanchthonstraße 17/18 luxuriös umbauen und um zwei Etagen aufstocken.
Anders als im Nachbarhaus bleiben in der Calvinstraße 21 sechs von einst 15 Mietparteien aber standhaft. Nachdem die Terrial vor Gericht in erster Instanz mit allen Räumungs- und Duldungsklagen gescheitert ist (MieterMagazin 4/2012, Seite 8: Etappensieg für Mieter), hat sie zu rabiateren Mitteln gegriffen. Im Juni wurde der Aufzug, auf den die älteren Mieter angewiesen sind, demontiert. Einige Mieterkeller wurden geräumt und mit einer Tür versperrt. Außerdem wurde unangekündigt mit ohrenbetäubenden Bauarbeiten begonnen. „Das ist Willkür, anders kann man das gar nicht mehr nennen“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins.
Die Anwälte der Mieter erwirkten reihenweise einstweilige Verfügungen, die besagen, dass der Aufzug wieder eingebaut werden muss, die Kellerräume wieder zugänglich gemacht werden müssen und der Baulärm den Grenzwert von 50 Dezibel nicht überschreiten darf. „Wir haben in allen Prozessen Recht bekommen“, sagt Rechtsanwalt Christoph Müller, der vier Mietervereinsmitglieder vertritt. Inzwischen sind die Keller wieder zugänglich und die Bauarbeiten ruhen, doch der Fahrstuhl fehlt immer noch. „Wir müssen mit allen Mitteln kämpfen, und das werden wir auch weiter tun“, kündigt Christoph Müller an.
Reiner Wild sieht auch die Politik in der Pflicht: „Es wird höchste Zeit, Mieter vor der Herausmodernisierung besser zu schützen.“ Von der Bauaufsicht des Bezirks ist jedoch kein Einschreiten gegen diese unhaltbaren Zustände zu erwarten. Mittes Baustadtrat Carsten Spallek erklärt, ihm seien „die Hände gebunden“.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/12
Calvinstraße 21: Die Hauseigentümerin muss ihren Neubau jetzt drei Meter von dem bestehenden Gebäude wegrücken
Foto: Sabine Münch
Amtsgericht Tiergarten,
Urteil vom 17. Juli 2012,
Aktenzeichen 606 C 598/11
30.03.2013