Durch den Neubau von Wohnungen und Verkehrswegen nimmt die Versiegelung der Freiflächen in der Stadt immer mehr zu. Begrünte Dächer tragen zum Ausgleich bei und können zur Erholung, für Sport- und Freizeitaktivitäten, zur Erzeugung regenerativer Energie, für die urbane Landwirtschaft und zur Regenwasserbewirtschaftung genutzt werden. Zudem tragen sie zur Kühlung des Stadtklimas bei. Auch zahlreiche Mehrfamilienhäuser verfügen inzwischen über begrünte Dächer. Aber auf den Dächern Berlins ist noch viel Platz.
„Das einzige Haus ohne Flächenverbrauch ist das Luftschloss“, sagte dereinst Dr. Manfred Rommel, bis 1996 Oberbürgermeister von Stuttgart. Er hatte unrecht: Der Flächenverbrauch eines Hauses kann längst durch ein Gründach kompensiert werden. Begrünte Dachgärten leisten einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas und zur Vernetzung der Biotope. Gründächer bieten vielen vom Aussterben bedrohten Insekten- und Schmetterlingsarten einen Lebensraum. Sie werden heute vor allem zur Regenwasserbewirtschaftung und zur Aufstellung von Fotovoltaik-Anlagen genutzt, aber zunehmend auch für die urbane Landwirtschaft, also für den Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern, und die Bienenzucht. Ob Flach-, Schräg- oder Steildächer – Grün ist Trumpf.
Mieter können jedoch auf dem Dach nicht selbst aktiv werden und einen Garten oder eine Grünfläche anlegen.
Sie müssen grundsätzlich die schriftliche Zustimmung des Vermieters einholen, da es sich um eine bauliche Veränderung handelt. Der Vermieter braucht für die nachträgliche Installation eines Gründaches die Genehmigung des Bauamtes. Das Dach muss tragfähig sein oder entsprechend umgebaut werden.
Dachbegrünung seit 40 Jahren
Seit den 1970er Jahren werden in Deutschland verstärkt Gründächer angelegt. 1983 initiierte der Berliner Senat ein Hofbegrünungsprogramm, das auch die Dachbegrünung förderte. Im Block 103 in Kreuzberg – zwischen Oranien-, Naunyn-, Manteuffel- und Mariannenstraße – wurden zum ersten Mal im innerstädtischen Mietwohnungsbau zwölf Häuser stadtökologisch modernisiert. Zu den Bausteinen gehörten Gründächer. Heute sind in Friedrichshain-Kreuzberg rund fünf Prozent der Dächer begrünt. Das entspricht einer Fläche von 328.000 Quadratmetern. Die meisten Gründächer – insgesamt rund 320 – befinden sich auf geschlossenen Wohnblöcken. Für andere Berliner Bezirke liegen leider keine Zahlen vor.
Gründächer finden sich heute unter anderem auf exklusiven Wohnanlagen wie dem Fichtebunker in der Fichtestraße in Friedrichshain-Kreuzberg, dem Mehrgenerationen-Passivhaus in der Schönholzer Straße, den Ökohäusern in der Corneliusstraße in Mitte und den Häusern Am Eichgarten/Stindestraße der Genossenschaft GeWoSüd in Steglitz-Zehlendorf, wo die Mieter der Maisonette-Wohnungen im vierten Stock über eine Treppe direkt in ihren Dachgarten gehen können. Am Potsdamer Platz sind etwa ein Fünftel der Dachflächen begrünt.
Begrünte Dachflächen, die einen Großteil der Niederschläge speichern und das überschüssige Restwasser erst mit zeitlicher Verzögerung abgeben, werden als Entsiegelungsmaßnahmen anerkannt. Seit 2010 wird die bisherige Abwassergebühr in eine Schmutzwasser- und eine Niederschlagswassergebühr aufgeteilt. In Berlin beträgt das Niederschlagsentgelt aktuell 1,825 Euro pro Quadratmeter entwässerte Fläche. Wird das Regenwasser auf dem Gründach vollständig genutzt, zum Beispiel zur Bewässerung des Dachgartens, zahlt der Vermieter für diese Fläche keine Gebühren und die Betriebskosten für den Mieter sinken.
Begrünte Dächer haben zudem eine wesentlich längere Lebensdauer als unbegrünte. Bei Gründächern betragen die Temperaturschwankungen im Laufe eines Jahres nur rund 30 Grad. Unbegrünte Dächer müssen dagegen Temperaturdifferenzen zwischen 70 und 100 Grad Celsius aushalten. In der Regel werden sie nach 20 Jahren undicht. Für Gründächer wird eine Lebensdauer von mindestens 40 Jahren kalkuliert.
Ein acht Zentimeter hoher extensiver Begrünungsaufbau kann 50 bis 60 Prozent des Regenwassers zurückhalten – auch bei Starkregen. Dadurch verringert sich die Gefahr des Überlaufens von ungeklärtem Abwasser aus der Kanalisation in die Oberflächengewässer. Übers Jahr verteilt geben die Pflanzen rund 75 Prozent der Niederschläge über Verdunstung an die Luft ab, diese bleiben so im natürlichen Kreislauf.
Nützliche Temperaturregulierung
Die Temperatur unter einem Gründach bleibt selbst an heißen Sommertagen bei angenehmen 20 bis 25 Grad Celsius. Auf schwarzen Bitumendächern steigt sie dagegen auf 90 Grad, auf nur mit Kies abgedeckten Flachdächern immerhin noch auf mehr als 50 Grad. Das Gründach kühlt durch die natürlichen Eigenschaften der Pflanzen, die Sonnenenergie aufnehmen und sie für das Wachstum nutzen. Durch die ständige Feuchtigkeitsabgabe über die Spaltöffnungen der Blätter erzeugen sie Verdunstungskälte. Sie reflektieren nicht genutzte Teile des Sonnenlichts und spenden Schatten. Je dichter die Pflanzenmatte, desto besser ist der Kühleffekt.
Im Winter entsteht im Schutz der Pflanzen ein Kleinklima, das wärmer ist als die Umgebung. Die isolierende Wirkung von Gründächern führt dazu, dass im Winter Heizenergie eingespart wird. Messungen haben ergeben, dass die Temperatur unter begrünten Dächern nur knapp unter 0 Grad Celsius liegt, während sie bei nicht begrünten bis zu -20 Grad Celsius betragen kann.
Gründächer dienen auch der Verbesserung der Luftqualität: 1,5 Quadratmeter begrünte Fläche erzeugen den Sauerstoffbedarf eines Menschen. Gründächer binden pro Quadratmeter und Jahr etwa 500 Gramm Staub und Schmutzpartikel, das entspricht dem Inhalt eines Staubsaugerbeutels.
Die KfW-Bank hat die Förderung der Dachbegrünung zum 1. Juni 2014 in ihr Förderprogramm „Energieeffizient Sanieren“ aufgenommen. Auch über die CO2-Minderungsprogramme ist eine Förderung der Dachbegrünung möglich, da diese den Wärmeschutz des Daches nachweisbar verbessert.
Die Kosten für eine Dachbegrünung sind je nach Ausführung sehr unterschiedlich. Der reine Materialwert ohne Pflanzen beträgt zum Beispiel für die extensive Dachbegrünung 20 bis 30 Euro pro Quadratmeter, intensive Begrünungen sind etwa doppelt so teuer – je nach den bautechnischen und Standortvoraussetzungen, der Begrünungsart und der Aufbauhöhe. Mit zunehmender Dachneigung steigen Aufwand und Kosten. In der Planung, Umsetzung und Pflege sind begrünte Dächer bei einem Neubau nur geringfügig teurer als herkömmliche Dächer.
Die Pflege der Dachbegrünung gehört zur Instandhaltung, die Kosten sind deshalb keine Betriebskosten und nicht umlagefähig (Kammergericht Berlin vom 28. November 2005 – 8 U 125/05). In der Anlage 3 zu § 27 II. Berechnungsverordnung sind Gründächer nicht ausdrücklich erwähnt. Trotzdem versuchen Vermieter immer wieder, diese Kosten als Betriebskosten umzulegen.
Fachleute wie Corinna Belz von der Hochschule Neubrandenburg gehen davon aus, dass die bisherige Gründachfläche der Stadt um ungefähr das Sechsfache erweitert werden könnte. Allein für Friedrichshain-Kreuzberg gehen Untersuchungen von einem Gründachpotenzial von über zwei Millionen Quadratmetern aus.
Zwar steht im Statusbericht zum Stadtentwicklungskonzept Berlin 2030: „Trotz knapper öffentlicher Finanzmittel ist vor allem in den gründerzeitlichen Gebieten das Potenzial der Grünflächen besser zu nutzen und die Vernetzung der Grünräume zwischen den Stadtteilen weiter zu fördern“ – doch Berlin hat nach wie vor einen enormen Nachholbedarf in Bezug auf die Nutzung der Gründachpotenziale.
Rainer Bratfisch
Extensive Dachbegrünungen haben eine Aufbauhöhe von 5 bis 20 Zentimetern und ein Gewicht von nur 50 bis 170 Kilogramm pro Quadratmeter. Dafür eignen sich Moos-Sedum- und Gras-Kraut-Begrünungen, die von Natur aus mit den auf Dächern anzutreffenden Standortbedingungen wie Sonne, Wind, Trockenheit und so weiter zurechtkommen und keine Zusatzbewässerung erfordern. Ein extensives Gründach benötigt nur geringen Pflegeaufwand, ein bis zwei Wartungsgänge pro Jahr genügen. Sie sind nur auf den Wartungswegen begehbar.
Intensive Dachbegrünungen lassen sich mit dem Aufbau eines Gartens auf einem Dach vergleichen. Diese Dächer sind meist multifunktional und für alle Mieter zugänglich. Eine intensive Begrünung hat ein Gewicht von 170 bis 3000 Kilogramm pro Quadratmeter, einen höheren Systemaufbau (15 bis 200 Zentimeter) und erfordert einen hohen Pflegeaufwand und eine regelmäßige Bewässerung. Abhängig von der Schichtdicke sind nahezu alle Pflanzen möglich: Rasen, Stauden, Sträucher, Bäume einschließlich anderer landschaftsgestalterischer Maßnahmen wie Teiche, Pergolen und Terrassen.
rb
MieterMagazin 9/14
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07.07.2019