Steuererlass gegen soziale Mieten – so lautete das Prinzip der Wohnungsgemeinnützigkeit, die im Jahr 1989 von der Bundesregierung abgeschafft worden ist. Heute, in Zeiten von Wohnungsnot und galoppierender Mieten, wird über eine Wiedereinführung diskutiert. Vor allem die Linke und die Grünen sowie der Deutsche Mieterbund (DMB) sprechen sich dafür aus, während die Immobilienwirtschaft, die vom Steuererlass profitieren würde, sie strikt ablehnt.
Das Wort „gemeinnützig“ tragen zwar viele Wohnungsbaugesellschaften noch im Namen, rechtlich hat dies aber seit 1990 keine Bedeutung mehr. Gemeinnützig bedeutete seinerzeit, dass sich die Wohnungsunternehmen verpflichteten, alle ihre Wohnungen auf Dauer zu beschränkten Preisen zu vermieten, die auszuschüttende Rendite auf vier Prozent zu begrenzen und das Firmenvermögen nur für den Wohnungsbau einzusetzen. Dafür waren sie von der Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer, in einigen Bundesländern auch von der Grunderwerbsteuer befreit.
Die konservativ-liberale Kohl-Regierung schaffte die Wohnungsgemeinnützigkeit 1988 mit Wirkung ab 1990 ab, vorrangig aus finanziellen Gründen. Der Steuerverzicht galt als verdeckte Subvention. Der Spareffekt stellte sich aber nicht ein – im Gegenteil: in den Folgejahren wurden der Wohnungswirtschaft deutlich höhere Steuervergünstigungen gewährt, allerdings in Form der Eigentumsförderung. Dazu kam, dass der Staat erheblich mehr Geld für die Subjektförderung, also vor allem Wohngeldzahlungen und ab 2005 die Übernahme der „Kosten der Unterkunft“, ausgeben musste. „Die Wohnungswirtschaft ist heute eine der höchstsubventionierten Wirtschaftsbranchen“, stellt der Stadtsoziologe Andrej Holm fest. Die Gegenleistungen, die die Gesellschaft dafür erhält, sind jedoch minimal.
Gutachten pro und contra
Warnungen hatte es frühzeitig gegeben. So sagte der Wohnungswirtschaftler Helmut Jenkis schon 1988: „Es ist nicht auszuschließen, dass nach der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes Engpässe und soziale Probleme auf den Wohnungsmärkten auftreten, die die Diskussion über die dann nicht mehr gesetzlich normierte Wohnungsgemeinnützigkeit erneut beleben.“ An diesem Punkt stehen wir heute.
Mit zwei Gutachten haben die Bundestagsfraktionen von den Linken und Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2015 die Debatte um eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit belebt. Die Studie von Andrej Holm im Auftrag der Linksfraktion kam zu dem Ergebnis, dass eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit „machbar, sinnvoll und notwendig“ ist. Für die Grünen haben Jan Kuhnert und Olof Leps detailliertere Vorschläge gemacht: Es soll zwei Typen von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen geben, von denen einer vollständig, der andere zur Hälfte steuerbefreit ist. Von den Unternehmen sollen jeweils 90 Prozent des Wohnungsbestandes dauerhaft an Gemeinnützigkeitsregeln gebunden sein.
Kaum ein gutes Haar an der Wohnungsgemeinnützigkeit lässt hingegen der Planungsökonom Guido Spars von der Universität Wuppertal, der im Februar 2017 ein Gutachten im Auftrag des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und dessen Schwesterverband VdW Rheinland Westfalen vorlegte. Die Vorschläge zu einer neuen Gemeinnützigkeit würden relativ hohe Kosten verursachen, die falschen Anreize setzen, wären zum Teil kontraproduktiv und würden eine „kaum spürbare Wirkung auf den Wohnungsbau für untere Einkommensgruppen entfalten“, so das Fazit von Spars. Er sagt voraus, dass nur wenige Unternehmen sich der Gemeinnützigkeit freiwillig unterwerfen würden, und lehnt es ab, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften von ihren Eigentümern in die Gemeinnützigkeit gezwungen werden könnten.
Gemeinnützigkeit würde Neubaukosten senken
Andrej Holm hat zusammen mit Sabine Horlitz und Inga Jensen seine Studie im Auftrag der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung konkretisiert. In einer Modellrechnung haben sie die Auswirkungen der Gemeinnützigkeit auf die Neubaumieten untersucht. Durch die Befreiung von Umsatz- und Grunderwerbsteuer könnten die Baukosten von 2700 Euro pro Quadratmeter auf 2260 Euro gesenkt werden, beim Bauen auf eigenem Grundstück sogar auf 1842 Euro. Die monatliche Nettokaltmiete, die für eine so erstellte Neubauwohnung gezahlt werden müsste, würde so schon von 10,30 Euro pro Quadratmeter auf 7,44 Euro sinken. Durch einen Verzicht auf die Eigenkapitalverzinsung und durch ein zinsfreies Darlehen könnte die Miete sogar auf unter 5 Euro gedrückt werden. Holm schlägt vor, die Wohnungen je nach Einkommen der Mieter in drei Mietstufen zu vermieten: zu 4,50, 6 und 7,50 Euro pro Quadratmeter.
Bei der öffentlichen Vorstellung dieser Studie im Juni lagen die Meinungen unverändert weit auseinander. Für Bernd Hunger, Referatsleiter für Stadtentwicklung beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, ist die Diskussion um die neue Wohnungsgemeinnützigkeit eine „Ablenkung von den ganz drängenden wohnungspolitischen Handlungsfeldern“. Der GdW ist das Dach über den Landesverbänden wie dem BBU – in ihm sind vor allem die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen organisiert. Die sozialen Ziele würden von den GdW-Unternehmen bereits heute verfolgt: „Wir sind eh schon die Guten“, so Hunger. „In jedem kommunalen Wohnungsunternehmen sitzt die Kommune im Aufsichtsrat. Die bestimmen, wie viel Gewinn Wohnungsunternehmen machen dürfen.“ Wenn nur noch für einkommensschwache Haushalte gebaut werden soll, befürchtet er eine Ballung sozialer Problemlagen in den Wohnanlagen der Gemeinnützigen. Zudem haben die Gesellschaften neue Tätigkeitsfelder wie die Förderung des sozialen Zusammenhalts in den Quartieren und die Umsetzung des Stadtumbaus. „Es stellt sich die Frage, wie man das mit der Gemeinnützigkeit unter einen Hut bringen kann“, meint Hunger.
Im GdW sind aber nicht nur kommunale Wohnungsunternehmen organisiert, sondern beispielsweise auch die Deutsche Wohnen, die man sicher nicht zu den „Guten“ zählen kann. Solche rein profitorientierten Unternehmen könnte man kaum für eine gemeinwohlorientierte Vermietungs- und Bautätigkeit gewinnen. Sie hätten aber Wettbewerbsnachteile gegenüber den Gemeinnützigen zu befürchten. Holm kann das Argument „Wir sind eh schon die Guten“ nicht verstehen. An den GdW gerichtet fragt er: „Wenn ihr schon so viel macht, warum wollt ihr dann die Vorteile nicht nutzen, die die Gemeinnützigkeit bietet?“
DMB-Direktor Lukas Siebenkotten erinnert an die Diskussion um die Aufhebung der Gemeinnützigkeit Ende der 80er Jahre: „Auch der GdW hat sich damals vehement dagegen gewehrt. Die Wohnungsgemeinnützigkeit ist 1990 nicht abgeschafft worden, weil sie schlecht ist.“ Den Faden sollte man heute wieder aufnehmen. „Warum sollte man nicht etwas, was früher gut funktioniert hat, wieder einführen?“, fragt Siebenkotten. Er könnte sich einen größeren Feldversuch zur Erprobung vorstellen. „Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit ist für uns kein Fetisch“, sagt der Mieterbund-Direktor, „sondern allenfalls ein Mittel zum Zweck, um leistbare Wohnungen zu schaffen. Denn da versagt der Markt ganz offensichtlich.“
Jens Sethmann
Einst eine feste soziale Größe
Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft war eine Säule der Baupolitik in der alten Bundesrepublik. Sowohl die kommunalen und staatlichen Wohnungsbaugesellschaften als auch die gewerkschaftlichen Unternehmen und die meisten Wohnungsgenossenschaften waren gemeinnützig. In den 80er Jahren waren es rund 1800 Unternehmen. Von 1949 bis 1989 bauten die Gemeinnützigen in der Bundesrepublik insgesamt 4,8 Millionen Wohnungen – das war rund ein Viertel des gesamten Neubauvolumens.
Gemeinnützige Wohnungsunternehmen gibt es in fast allen europäischen Ländern. Der Wohnungsmarkt ist vielerorts weit stärker von gemeinwohlorientierten Vermietern geprägt als er es jemals in Deutschland war. In Österreich und Frankreich gehört mehr als ein Drittel der Mietwohnungen zum gemeinnützigen Sektor, in Dänemark sind es fast die Hälfte und in den Niederlanden sogar annähernd drei Viertel. Zwischen der EU-Kommission und den Niederlanden schwelt ein langer Streit, ob das weitreichende Fördersystem mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar ist. Der Ausgang des Verfahrens ist derzeit nicht absehbar, würde sich aber auch auf die Ausgestaltung einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland auswirken.
js
Download der Studie
Holm/Horlitz/Jensen: www.rosalux.de/publikation/id/37380/neue-wohnungsgemeinnuetzigkeit/
10.07.2019