Wo einst Schlosser, Klempner oder Automechaniker ihre Werkstätten hatten, stehen heute nicht selten Wohnungen oder Supermärkte. Fleischer, Bäcker, kleine Gemüsehändler müssen immer öfter großen Ketten oder schicken Restaurants weichen. Der Strukturwandel beim innerstädtischen Gewerbe ist in vollem Gange. Jetzt fordert Berlin die Gewerbemietpreisbremse.
Drei Umzüge hat die Metallwerkstatt Drittwerk in den vergangenen 38 Jahren bewältigt. „Zuletzt sind wir aus Kreuzberg hierher auf diesen Hof in Neukölln gezogen“, erzählt Geschäftsführerin Luise Hofmeier. Die früheren Standorte werden heute ganz anders genutzt, in der Urbanstraße beispielsweise hat ein Supermarkt ihre Fläche mit belegt. „Wenn 2021 auch dieser Mietvertrag für uns ausläuft, kann es sein, dass wir an den Stadtrand oder sogar darüber hinaus ausweichen müssen.“ Zwar hat der Betrieb einen guten Ruf: bei Anwohnern im Kiez, die mit vielen Reparaturarbeiten kommen, und auch unter Bauherren und Architekten, die bei Drittwerk Geländer, Gitter oder Zäune fertigen lassen. Aber die Zukunft des kleinen Betriebes hängt derzeit von den Verhandlungen mit ihrer Hausverwaltung ab – über die Höhe der künftigen Miete, der Kaution und nicht zuletzt auch der Laufzeit des neuen Vertrages.
Die Bedingungen für solche Verhandlungen, so Dirk Beckmann, Fachanwalt und Berater für Gewerbemieter beim Berliner Mieterverein (BMV), haben sich in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich verschlechtert. „Für Gewerbemieten gibt es keine Mietpreisbremse, es gelten keine ortsüblichen Vergleichsmieten, unbefristete Mietverträge sind jederzeit und ohne die Angabe von Gründen kündbar – und die Befristungen werden immer kürzer.“ Kein Wunder: Ein schneller Mieterwechsel garantiert den Vermietern in Städten mit großer Nachfrage nach Gewerbeflächen ständig steigende Einnahmen. Aus diesem Karussell müssen gerade kleine Unternehmen irgendwann aussteigen.
Jochen Biedermann, in Neukölln für Stadtentwicklung, Soziales und Bürgerdienste verantwortlicher Stadtrat, sieht diese Entwicklung mit Sorge: „Es trifft Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe, aber auch die Kreativwirtschaft, Vereine, Beratungsstellen, Kinderläden – eben auch die soziale Infrastruktur.“
Zweiter Berliner Vorstoß
Das derzeitige Gewerbemietrecht, so der Berliner Senat, wird solch gravierendem Strukturwandel nicht mehr gerecht. Deshalb forderte das Land bereits im vergangenen Jahr mit einer Bundesratsinitiative, der „Verdrängung von Gewerbemietern in Ballungsräumen“ entgegenzuwirken und wurde von einer breiten Mehrheit der Länder unterstützt. Denn Statistiken über Gewerbemietentwicklungen in Ballungsräumen zeigen vor allem eins: exorbitante Steigerungen. So kletterten Gewerbemieten in Berlin laut Immobilienverband IVD in sogenannten 1 B-Lagen zwischen 2009 und 2018 um 267 Prozent (große Ladenflächen) beziehungsweise um 200 Prozent (kleine Ladenflächen). In den 1 A-Lagen waren es etwa 50 Prozent.
Weil die Bundesregierung trotz solch bedenklicher Entwicklung keinen Anlass für einen Eingriff ins Gewerberecht sah, legte der rot-rot-grüne Berliner Senat Mitte August diesen Jahres noch einmal nach. In einer zweiten Bundesratsinitiative fordert die Landesregierung die Einführung einer Gewerbemietpreisbremse für angespannte Märkte. Als angespannte Märkte sollten dabei Regionen gelten, in denen „die besondere Gefahr besteht, dass es kleinen und mittleren Unternehmen nicht mehr möglich ist, einen Gewerbemietvertrag zu angemessenen Bedingungen zu schließen“.
Rosemarie Mieder
Kräfte im Gleichgewicht?
Zwischen einem Gewerbemietvertrag und einem Wohnraummietvertrag gibt es große Unterschiede. Während das Wohnraummietrecht den sozialen Schutz von Mietern zum Ziel hat, geht das Gewerbemietrecht von einem Kräftegleichgewicht der beiden Parteien aus. Miethöhe, Befristung des Mietvertrages und Kündigungsfristen sind Verhandlungssache. Das sichert auch dem Gewerbemieter Flexibilität zu: Gerade bei Neugründung möchte sich ein Mieter oft nicht langfristig binden, um notfalls rasch wieder aus dem Vertrag herauszukommen. Mietrechtsanwalt Dirk Beckmann, der für den Berliner Mieterverein Gewerbemieter berät, empfiehlt: „Lassen Sie auch einen Gewerbemietvertrag anwaltlich prüfen, bevor Sie ihn unterschreiben.“
rm
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30.08.2019