Katerstimmung bei den börsennotierten Wohnungskonzernen: Nachdem sie jahrelang immer größer geworden sind, ihre Immobilien von selbst an Wert gewannen, der Börsenkurs stieg und üppige Dividenden ausgeschüttet wurden, schlägt nun mit den steigenden Zinsen alles ins Gegenteil um. Die Wachstumsstrategie funktioniert nicht mehr, die Unternehmen müssen Wohnungen verkaufen. Den Mieter:innen nützt das leider gar nichts. Ob die Kurse an der Börse steigen oder fallen – sie zahlen immer die Zeche. Die Frage der Vergesellschaftung in Berlin rückt daher weiter in den Fokus. Die Expertenkommission hält es grundsätzlich für möglich, die Berliner Wohnungsbestände großer profitorientierter Unternehmen in Gemeineigentum zu überführen. Auch wenn es der schwarz-rote Senat nicht wahrhaben will: Wohnraum gehört nicht an die Börse. Ob durch Vergesellschaftung oder auf anderem Wege: Für eine soziale Wohnraumbewirtschaftung müssen die Wohnungen den spekulierenden Finanzjongleuren entzogen werden.
Die Strategie der Vonovia war auf Wachstum ausgerichtet. Durch das niedrige Zinsniveau der letzten Jahre war es ihr möglich, große Wohnungsbestände und ganze Konkurrenzunternehmen aufzukaufen – zuletzt im Jahr 2021 die Deutsche Wohnen. Dadurch wurde die Vonovia die mit Abstand größte Vermieterin Deutschlands – mit fast einer halben Million Wohnungen. Die anhaltende Wohnungsknappheit machte die Immobilien von allein immer wertvoller. Die Bilanz des Bochumer Konzerns sah dadurch glänzend aus. An die Aktionär:innen schüttete Vonovia jedes Jahr bis zu eine Milliarde Euro an Dividenden aus.
Nach dem starken Anstieg der Inflation und der Anhebung der Leitzinsen auf rund vier Prozent hat die Wachstumskurve einen Knick bekommen. Die kreditfinanzierte Riesen-Übernahme der Deutschen Wohnen wird mit den steigenden Zinsen zu einem teuren Ballast mit wachsenden Kosten. Der Jahresabschluss 2022 war ernüchternd. Die Anteilseigner:innen murrten über den abrutschenden Börsenkurs und eine fast halbierte Dividendenausschüttung. In den beiden ersten Quartalen 2023 musste Vonovia den Wert ihrer Immobilien außer der Reihe in zwei Schritten von 94,7 auf 88,2 Milliarden Euro nach unten korrigieren. In der Halbjahresbilanz stand so ein Milliarden-Minus unter dem Strich. Die Vonovia-Aktie hat in den letzten zwei Jahren rund 60 Prozent ihres Wertes verloren.
Der Adler ist ins Trudeln geraten
Schon 2022 hat Vonovia angekündigt, sich von Immobilien im Wert von 13 Milliarden Euro trennen zu wollen. Aufgrund sinkender Preise sind profitable Verkäufe aber seit einiger Zeit schwierig. Im Mai konnte Konzern-Chef Rolf Buch lediglich den Verkauf von 1350 Wohnungen in Frankfurt, München und Berlin an den Finanzinvestor CBRE vermelden. Der Erlös betrug 560 Millionen Euro – 40 Millionen Euro weniger als der Buchwert. Für Rolf Buch ist das dennoch „ein Anlass für Zuversicht“.
Stark ins Trudeln geraten ist die Adler Group. Der Konzern fuhr 2022 einen Verlust von fast 1,7 Milliarden Euro ein. Um die Insolvenz zu vermeiden, hat der Konzern mit Sitz in Luxemburg sich im April von einem Londoner Gericht einen Sanierungsplan genehmigen lassen. Mit diesem ungewöhnlichen Schritt konnte ein Großteil der Gläubiger erstmal zufriedengestellt werden. Dazu hat Adler massiv Wohnungen verkauft. Von knapp 70.000 Wohnungen, die das Unternehmen Ende 2020 besaß, sind nur noch 26.000 in seiner Hand. Viele Baustellen des Konzerns – darunter der Umbau des Steglitzer Kreisels – liegen still. Weitere Turbulenzen brachte Ende Juni eine Durchsuchung der Geschäftsräume der Tochterfirma Adler Real Estate durch das Bundeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Der Vorwürfe lauten Untreue, Bilanzfälschung und Marktmanipulation. Der Börsenkurs der Adler-Aktie ist auf Ramschniveau gesunken.
Aktienkurse im Tiefflug
Auch die anderen finanzmarktorientierten Immobilienkonzerne sehen sich mit steigenden Zinsen, hohen Kosten und sinkenden Immobilienpreisen konfrontiert. Die Aktienkurse der in Berlin tätigen Aktiengesellschaften stürzten in zwei Jahren fast durchweg um mehr als 60 Prozent ab. In dieser finanziellen Bedrouille werden die Unternehmen noch stärker versuchen, aus der Bewirtschaftung der Mietwohnungen mehr Ertrag herauszuholen – das bedeutet Mieterhöhungen, Einsparungen beim Service und Vernachlässigung der Instandhaltung. Werden die Wohnungen an neue Eigentümer:innen verkauft, werden auch diese versuchen, den gezahlten Kaufpreis schnell wieder hereinzuholen. Das sind Aussichten, die die betreffenden Mieterinnen verunsichern und verärgern. Sie wissen, dass sie wieder diejenigen sind, die die Zeche bezahlen müssen.
Börsennotierte Wohnungsunternehmen sind darauf ausgerichtet, ihren Aktionären Renditen auszuschütten. Die Gesellschaft zieht dabei den Kürzeren, da es an einer gemeinwohlorientierten Bewirtschaftung mangelt und das Handeln der Wohnungsunternehmen den Regeln der Gewinnmaximierung folgt. Das zeigt sich auch eindrucksvoll an dem im Juni 2022 geschlossenen „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“. Das Bündnis wurde von der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) initiiert. Vonovia/Deutsche Wohnen und die Adler Group sind dem Bündnis direkt beigetreten, Covivio, Heimstaden und Grand City Properties sind über den Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) beziehungsweise über den Zentralen Immobilien-Ausschuss (ZIA) indirekt Teil des Bündnisses geworden. Das diente offensichtlich vor allem der Imagepflege, denn die Vereinbarungen haben sie zum großen Teil nicht eingehalten.
Die nach einem Jahr vorgelegte Zwischenbilanz ist erbärmlich. Die privaten Wohnungsunternehmen haben 2022 zusammen 2661 Wohnungen gebaut. Um das verabredete Fünfjahresziel von 60.000 Neubauwohnungen zu erreichen, müssten die Privaten jährlich 12.000 Wohnungen fertigstellen. Der Vonovia-Konzern hat hingegen schon kurz nach Unterzeichnung des Bündnisses alle Neubauplanungen auf Eis gelegt. Gerade diejenigen, die am lautesten predigen, Neubau sei der einzige Weg aus der Wohnungskrise, verweigern sich der Aufgabe. Zum Ziel, jährlich 5000 Sozialwohnungen zu bauen, haben die Privaten gerade mal 59 Wohnungen beigetragen.
Ziel verfehlt? Kein Problem
Die nicht sonderlich weitreichende Zusage, 30 Prozent der freiwerdenden Wohnungen an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins (WBS) zu vermieten – rund die Hälfte der Berliner Bevölkerung hat ein WBS-konformes Einkommen –, wurde unter den großen Privatunternehmen nur von Vonovia/Deutsche Wohnen eingehalten. Auch der vereinbarte Mieterhöhungsverzicht wurde nur von diesem einzigen Konzern umgesetzt. Doch nach dem Erscheinen des Berliner Mietspiegels 2023 im Mai haben auch Vonovia und Deutsche Wohnen wieder Mieterhöhungen für 12.000 beziehungsweise 30.000 Berliner Wohnungen angekündigt. Covivio will 3000 Mieterhöhungen verschicken. Adler und ZIA haben zum Bündnis-Monitoring erst gar keine Zahlen gemeldet.
Konsequenzen hatte das Reißen der Ziele und das Verweigern der Mitarbeit keine. Stattdessen gab es ein überschwängliches Lob des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU): „ … das Bündnis habe sich „bewährt“ und sei „unverzichtbar“. Das änderte sich erst, als die Adler Group im August Mieterhöhungen um 15 Prozent ausgesprochen hat, obwohl im Bündnis vereinbart ist, Mietsteigerungen bei maximal 11 Prozent zu kappen. Statt der Mahnung des Bausenators Christian Gaebler (SPD) zu folgen und die Mieterhöhungen zu reduzieren, trat Adler kurzerhand aus dem Pakt aus. Der Senator findet das „folgerichtig“: „Wer nicht bereit ist, sich an die getroffenen Vereinbarungen zu halten, kann nicht Teil des Bündnisses sein“, so Gaebler, der aber am Bündnis festhalten will: „Der Austritt der Adler Group schmälert nicht die bisherigen Erfolge des Bündnisses.“
Nach dem Adler-Eklat sieht der Berliner Mieterverein (BMV) die mangelnde Verbindlichkeit des Bündnisses erneut belegt. Sie war seinerzeit auch ein Grund, weshalb der BMV das Bündnis nicht mitgezeichnet hat.
Berliner Opposition: „Desaströse Bilanz“
Die Opposition geht mit der Rolle der Börsenkonzerne im Bündnis hart ins Gericht. Die Linke hält die Bilanz für „desaströs“. Für die Grünen-Mietenexpertin Katrin Schmidberger ist das Bündnis eine „politische Luftnummer“.
Wenn die Immobilienpreise sinken und die Wohnkonzerne sich gezwungen sehen, Wohnungen unter Wert abzustoßen, sind das prinzipiell auch günstige Bedingungen für einen Rückkauf durch die öffentliche Hand. Die meisten Wohnungen, mit denen an der Börse spekuliert wird, sind im Übrigen ehemals kommunale oder staatliche Wohnungen, die in den 1990er und 2000er Jahren privatisiert wurden. Der Berliner Senat bemüht sich inzwischen um eine Rekommunalisierung und möchte durch eine „strategische Ankaufpolitik“ den landeseigenen Bestand von derzeit 350.000 perspektivisch auf 500.000 Wohnungen aufstocken.
Im Zuge der Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen hat der Senat im Jahr 2021 den beiden Unternehmen bereits knapp 15.000 Wohnungen für 2,46 Milliarden Euro abgekauft. Zum Vergleich: Berlin hatte im Jahr 2004 die GSW mit 65.000 Wohnungen für 405 Millionen Euro verkauft. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Käufer damals 1,56 Milliarden Euro Schulden mit übernommen haben, wird deutlich: Mit den privatisierten Wohnungen haben die Käufer und neuen Eigentümer riesige Gewinne gemacht, ohne viel in die Instandhaltung zu investieren. Und: Mit dem Ankauf-Deal von 2021 hat Berlin der Vonovia den Kauf der Deutschen Wohnen mitfinanziert. Wollte der Senat zu dem damaligen Preis wie angestrebt 150 000 Wohnungen ankaufen, müsste er rund 25 Milliarden Euro hinlegen – eine Summe, die er in der Vergesellschaftungsdiskussion als nicht zu stemmen bezeichnete.
Wie könnte die Öffentlichkeit auf andere Weise Zugriff auf die Börsenwohnungen bekommen? Bei einer Konferenz der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay brachte Matthias Günther vom Pestel-Institut die Möglichkeit ins Spiel, dass der Staat die niedrigen Börsenkurse nutzen könnte, um zum Beispiel bei Vonovia als Anteilseigner einzusteigen. Mit einer Sperrminorität von 25 Prozent plus einer Aktie könnte der Bund die Geschäftspolitik des börsennotierten Wohnungsunternehmens beeinflussen. Die aktuelle Bundesregierung lässt dazu aber keine Bereitschaft erkennen.
Knut Unger, Sprecher des Mietervereins Witten und kritischer Mieteraktionär, hält nichts von der Idee. Er fordert Vonovias Ausstieg aus der Börsennotierung. „Ein Teil der Wohnungsbestände sollte zu einem sozialen Verkehrswert an Kommunen und Länder abgegeben werden, die das wollen“, so Unger. „Der Rest der Vonovia muss in gemeinnützige Wohnungsunternehmen umgewandelt werden, deren gesamtes Vermögen dauerhaft der klimagerechten Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung gewidmet ist.“ Freiwillig wird sich Vonovia aber wohl kaum von der Börse zurückziehen oder sich der Vergesellschaftung ergeben.
Beschränkungen für unzuverlässige Anbieter
Einen anderen Weg zeigt Stefan Klinski, Professor an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Er schlägt Marktzugangsbeschränkungen für unseriöse Wohnungsunternehmen vor. Firmen, die Wohnungen als Finanzprodukte an der Börse handeln, ihre Eigentümerstruktur verschleiern oder Gewinne in Steueroasen verschieben, sollte die Vermietungstätigkeit untersagt werden. Wer das nicht erfüllt, bekommt einige Jahre Zeit, die Mietwohnungen an vertrauenswürdige Unternehmen zu verkaufen, zum Beispiel an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften oder an Genossenschaften. Ein Vorteil gegenüber der Vergesellschaftung: Das Modell legt auch unseriösen Unternehmen mit weniger als 3000 Wohnungen das Handwerk.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die börsennotierten Wohnkonzerne die Wohnungsnot nur vergrößern. Wenn Berlin den Irrtum stoppen will, muss die Stadt Wege gehen, die zuvor undenkbar schienen.
Jens Sethmann
Vergesellschaftung: Rückenwind durch die Expertenkommission
Am 28. Juni legte die Expertenkommission zur Vergesellschaftung nach 14-monatigen Beratungen ihren Endbericht vor. Das Resultat ist eindeutiger als erwartet. 13 Fachleute kommen zu dem Ergebnis, dass das Land Berlin die Kompetenz für eine Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes hat und dass ein solcher Eingriff nicht unverhältnismäßig ist. Es ist möglich, wie vorgeschlagen eine Grenze bei 3000 Wohnungen zu ziehen, ab der profitorientierte Wohnungskonzerne vergesellschaftet werden sollen. Genossenschaften und anerkannt gemeinnützige Wohnungsunternehmen können von der Vergesellschaftung ausgenommen werden. Die Höhe der Entschädigung muss nach überwiegender Ansicht der Kommission nicht dem Verkehrswert der Immobilien entsprechen, sondern sollte sich am Ertragswert orientieren, der sich aus der angestrebten gemeinnützigen Bewirtschaftung ergibt.
Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die das Volksbegehren angeschoben hatte, sieht sich voll und ganz bestätigt. „Enteignung ist einfach der beste Deal für Berlin“, freut sich Sprecherin Constanze Kehler. Der Berliner Mieterverein (BMV) sieht in dem Bericht „einen klaren Auftrag an den Senat, ein Vergesellschaftungsgesetz zu erarbeiten“, so Geschäftsführerin Ulrike Hamann: „Berlin darf, kann und sollte vergesellschaften!“
Berlins Regierender Bürgermeister nahm den Bericht jedoch kühl entgegen, ohne seine Meinung zu ändern. „Ich halte Vergesellschaftung weiter für den falschen Weg“, sagte Kai Wegner. Bausenator Christian Gaebler twitterte: „Unsere Aufgabe ist es, rechtssicher zu arbeiten. Deshalb werden wir uns jetzt im Senat darauf verständigen, wie wir das Vergesellschaftungsrahmengesetz zügig auf den Weg bringen können.“
Auf die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes hatten sich CDU und SPD schon vorher in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Das sogenannte Rahmengesetz ist allerdings nur ein schlecht kaschierter Versuch, das eigentliche Vergesellschaftungsgesetz auf den St.-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Im Rahmengesetz sollen zunächst die allgemeinen Bedingungen für Vergesellschaftungen festgelegt werden. Anschließend will man es dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorlegen. In Kraft treten soll es erst zwei Jahre nach Verkündung.
Auch die Wohnungswirtschaft gibt sich vom Expertenbericht völlig ungerührt. Die Verbände BBU, GdW, ZIA und BFW verkünden fast unisono ihre Ansicht, die Vergesellschaftung bleibe verfassungswidrig, unverhältnismäßig, illusorisch und nicht finanzierbar.
Die Ablehnung des Expertenvotums und das Hinauszögern der Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids sind verheerende Signale für die Demokratie. Ulrike Hamann vom BMV mahnt: „Wenn wir nicht wollen, dass sich der Eindruck vertieft, dass die Privatinteressen der Wohnungskonzerne über dem Willen der Mehrheit stehen, muss die Vergesellschaftung jetzt umgesetzt werden.“
js
Plattform kritischer Immobilienaktionär*innen:
https://mieteraktionärin.de
Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen:
https://dwenteignen.de
Schlussbericht der Expertenkommission zur Vergesellschaftung unter:
https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/_assets/abschlussbericht_vergesellschaftung-grosser-wohnungsunternehmen-230627.pdf?ts=1687954190ohnungsunternehmen-230627.pdf
Monitoringbericht zum Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen vom 12. Juli 2023 unter:
www.berlin.de/sen/bauen/neubau/buendnisse/
Das sagen Fachleute
23.10.2023