Niedrigenergiehäuser liegen im Trend. Mittlerweile werden sogar Altbauten so modernisiert, dass sie bis zu doppelt so gute Energieeffizienzwerte erreichen wie Neubauten. Sieben Berliner Pilotprojekte treten den Beweis dafür an. Doch nicht immer zahlen sich die Sanierungen für die Mieter aus.
Seit November 2003 läuft das Pilotprojekt „Niedrigenergiehaus im Bestand“. Die Bundesregierung hatte das Projekt angeregt und die Deutsche Energie-Agentur (dena) mit dessen Durchführung beauftragt. Unterstützt wird sie unter anderem vom Bundesbauministerium.
Ziel des Projektes ist es, bestehende Energieeinsparpotenziale durch den Einsatz innovativer Techniken und regenerativer Energien konsequent zu nutzen. Der jährliche Bedarf an Primärenergie, also von Energie in ihrer ursprünglichen Form (wie Kohle, Rohöl, Sonnenstrahlung), wird dadurch deutlich reduziert. „Die energetische Sanierung von Gebäuden ist die beste Antwort auf steigende Energiepreise. Denn sie senkt die Nebenkosten, erhöht den Wohnkomfort und macht die Bestandsgebäude dauerhaft attraktiv auf dem Immobilienmarkt“, so dena-Bereichsleiterin Felicitas Kraus. Die Bewohner sollten frühzeitig bei der Sanierung mit einbezogen werden, rät die dena. Denn weder die Umbaumaßnahmen noch die Umlage der im Vergleich zu herkömmlichen Sanierungen höheren Kosten gehen spurlos an den Mietern vorbei. „Die Baumaßnahmen in den Wohnungen werden eng mit den Mietern koordiniert und zeitlich zusammengefasst, damit die Beeinträchtigungen möglichst gering gehalten werden können“, betont Ralf Hemmen, Bauherr eines ab Frühjahr 2007 sanierten Mietshauses in Treptow. Und Howoge-Sprecherin Angela Reute ergänzt: „Nicht zuletzt von der Akzeptanz und der Kooperationsbereitschaft der Bewohner hängt die zügige Realisierung eines solchen Vorhabens entscheidend ab.“ Die Howoge ist Eigentümerin des Plattenbaus in der Lichtenberger Schulze-Boysen-Straße 35/37 und damit Eigentümerin des zukünftig größten Niedrigenergiehauses Deutschlands.
An Kooperationsbereitschaft fehle es allerdings der Howoge, beklagt Monique Flint, die als Mieterin der Schulze-Boysen-Straße 35 seit März massiv von den Baumaßnahmen betroffen ist. „Es ist laut und die Zustände sind katastrophal. Wir konnten nur in Wohn- und Schlafzimmer leben und unsere sanitären Anlagen überhaupt nicht benutzen. Monatelang wurde an zwei Vormittagen in der Woche das Wasser abgestellt, zeitweise auch der Strom.“ Auf Druck der Mieter stellte die Wohnungsbaugesellschaft häufig wechselnde Leerwohnungen zur Benutzung von Toilette und Bad zur Verfügung. „Doch was nützt einem das, wenn die im 17. Stock liegen und der Fahrstuhl durch die Bauarbeiten ständig blockiert ist?“, fragt Mieterin Flint. Sie selbst wohnt übrigens im Erdgeschoss. „Das Problem ist, dass der Vermieter im Rahmen einer ökologisch sinnvollen Maßnahme eine behutsame Abwicklung des Sanierungsgeschehens vermissen ließ“, kritisiert der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV), Reiner Wild.
Ärger für die Mieter
Bei den Mieten geht der Ärger gleich weiter. „Die dena legt bei ihren Wirtschaftlichkeitsrechnungen eine so genannte Warmmietenneutralität zugrunde“, erklärt dena-Projektleiterin Nicole Pillen. Das bedeutet, dass die Nettokaltmieten maximal in dem Maße steigen sollen, in dem die Betriebskosten sinken. Die Gesamtmiete bleibt so am Ende zumindest unverändert. Viele Projekte versuchen laut Pillen, sich auch danach zu richten.
Doch es funktioniert offensichtlich nicht immer. Die Howoge spricht offiziell von einer moderaten und sozial vertretbaren Umlage der Modernisierungskosten: durchschnittlich 1,04 Euro pro Quadratmeter und Monat mehr inklusive einer Modernisierungsumlage von 77 Cent. Gleichzeitig, so Howoge-Projektentwicklerin Gudrun Höfs, gehe man von einer Senkung der Betriebskosten um 51 Cent pro Quadratmeter aus. Mieterin Monique Flint hält dagegen, dass ihr im November 2005 von der Howoge schriftlich eine Mieterhöhung nach Modernisierung von monatlich 2,15 Euro pro Quadratmeter angekündigt worden war. Gleiches bestätigt eine andere Mieterin. „Das Beispiel zeigt, dass energetische Sanierungen nicht immer ohne Mietsteigerungen durchgeführt werden können“, konstatiert Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. „Deshalb setzt sich der BMV für eine Mietrechtsänderung ein, die den Mietanstieg bei Energiesparmaßnahmen begrenzt.“
Die Palette der Pilotprojekte in Berlin ist breit: Im wahrsten Sinne herausragend ist der bereits genannte Plattenbau aus den 70er-Jahren in der Lichtenberger Schulze-Boysen-Straße 35/37 mit fast 300 Wohneinheiten auf 18 beziehungsweise 21 Stockwerken. Vier der sieben Berliner Modellprojekte sind typische Mehrfamilienhäuser aus der Gründerzeit. Sie befinden sich in der Treptower Karl-Kunger-Straße 3, in der Herbert-Baum-Straße 35 in Weißensee, der Hohenzollernstraße 9 in Hermsdorf und in der Schönerlinder Straße 6 in Köpenick. Außerdem sind zwei Einfamilienhäuser dabei: Eines aus den 20er-Jahren im Hörstenweg 20 in Buch und eines aus den 50er-Jahren im Rudower Männertreuweg 20.
Welche Maßnahmen vorgenommen werden, hängt stark vom jeweiligen Gebäude ab. Bei allen Projekten gleicht sich jedoch der Ablauf.
Bis zu 90 Prozent Energieeinsparung möglich
An erster Stelle steht die Reduzierung des Energiebedarfs durch einen Wärmeschutz der Gebäudehülle: Die Fassade wird gedämmt, ebenso die Kellerdecken und die Dachflächen. Die alten Fenster werden durch solche mit Isolierverglasungen ersetzt.
In einem zweiten Schritt werden Energie sparende Anlagen installiert, die den verbleibenden Energiebedarf abdecken. Für die Wärmeerzeugung sind das zum Beispiel in Buch ein Gasbrennwertkessel oder in Rudow eine Holzpelletfeuerung. Beliebt sind Wärmepumpen, die in Köpenick, Weißensee und Hermsdorf zum Einsatz kommen. Im Lichtenberger Plattenbau wird hingegen die Fernwärme-Hausanschlussstation erneuert und mit einem dezentralen Blockheizkraftwerk kombiniert.
Unterstützend wird in allen Gebäuden eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung eingebaut. Dadurch wird die in der Abluft enthaltene Wärme wieder nutzbar gemacht. Die Wärmerückgewinnung liegt zwischen 50 und rund 80 Prozent. Schließlich werden in vier der sieben Berliner Projektgebäude regenerative Energien genutzt.
Die jährliche Einsparung an Primärenergie und damit an Nebenkosten variiert stark. Nach Berechnungen der dena liegt sie in der Schulze-Boysen-Straße mit voraussichtlich rund 50 Prozent am niedrigsten. In den Häusern in Köpenick und Weißensee beträgt sie etwa 75 Prozent, in Buch 86 Prozent und in Hermsdorf und Rudow sogar rund 90 Prozent. Damit wird bei den Berliner Projekten ein Energiestandard erreicht, der weit über den Anforderungen an einen vergleichbaren Neubau gemäß Energieeinsparverordnung liegt.
Kristina Simons
MieterMagazin 10/06
Herausragend – auch in negativer Hinsicht – ist der Umbau des Howoge-Gebäudes Schulze-Boysen-Straße 55 zum Niedrigenergiehaus
alle Fotos: Kerstin Zillmer
Die Baumaßnahmen gleichen sich in allen Pilotprojekten:
Wärmedämmung, moderne Heiztechnik, Wärmerückgewinnung
Hier: Gebäude in der Herbert-Baum-Straße 35
Was ist ein Niedrigenergiehaus?
Die Klassifizierung eines Hauses als Niedrigenergiehaus richtet sich nach seinem energetischen Standard und bezeichnet keine bestimmte Gebäudeart. Entscheidend ist der jährliche Heizwärmebedarf: Er liegt beim Niedrigenergiehaus zwischen 40 und 70 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Durch ein energieeffizientes Gesamtkonzept wird die Energie hier optimal genutzt. Beim Neubau gilt diese Bauweise heutzutage bereits als Standard.
ks
Förderung für Bauherren
Im Rahmen des Modellprojekts „Niedrigenergiehaus im Bestand“ der Deutschen Energie-Agentur werden derzeit bundesweit 150 Wohngebäude bis Baujahr 1978 auf einen energieeffizienten Stand gebracht. Zu Beginn des Projektes im Jahr 2003 waren es lediglich 33 Gebäude. Bauherren können Fördermittel aus dem CO2- Gebäude- Sanierungs- Programm der Bundesregierung sowie zinsgünstige Darlehen der staatlichen KfW-Bankengruppe in Anspruch nehmen.
ks
25.11.2016