Nach fünfzehneinhalb Jahren ist das Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz in Friedrichshain aufgehoben worden. Die Sanierung kam im „Ostkiez“ zunächst nur schleppend in Gang. Nach der Jahrtausendwende nahm die Erneuerung aber rasant an Fahrt auf. Allerdings: Auch die Mieten passten sich dieser steilen Aufwärtsentwicklung an.
Die Bilanz liest sich gut: Von den 3850 Altbauwohnungen sind 80 Prozent saniert, die Hälfte davon mit öffentlicher Förderung. 450 Wohnungen sind in Neubauten und ausgebauten Dachgeschossen neu entstanden. Die Grundschule am Traveplatz und die Kitas sind erneuert, der Traveplatz und der Annemirl-Bauer-Platz (Lenbachplatz) bekamen ein neues Gesicht, Spielplätze wurden neu angelegt, Straßen verkehrsberuhigt, Gehwege repariert und Straßenbäume gepflanzt. Das Gebiet Traveplatz/Ostkreuz hat heute gut 7000 Einwohner – 23 Prozent mehr als 1994. Auch die Kinderzahlen steigen an.
Das einstige „hässliche Entlein“ unter den Friedrichshainer Kiezen ist kaum noch wiederzuerkennen. Aber auch die Bewohnerschaft ist größtenteils eine andere als vor der Sanierung, und sie sieht weiter steigenden Mieten entgegen.
Durch die sanierungsbedingten Umzüge gab es eine sehr hohe Fluktuation: Nur jeder Zehnte der heutigen Gebietsbewohner lebte schon vor 1994 hier. Zwei Drittel der Haushalte sind erst nach 2003 ins Gebiet gezogen. Die durchschnittliche Wohndauer beträgt sechs Jahre. Und: Auch nach der größten Sanierungswelle ist die Fluktuation immer noch überdurchschnittlich. Im Friedrichshainer Altbaubestand gibt es sehr viele kleine Wohnungen, die häufig von umzugsfreudigen Studenten und jungen Erwachsenen angemietet werden.
Das häufige Umziehen treibt auch die Mieten im Gebiet schneller in die Höhe, weil Vermieter bei Neuvermietungen die Miete frei festlegen können. Erlaubt ist, was der Markt hergibt. In einem angesagten Szeneviertel wird so das allgemeine Mietniveau rasch nach oben geschraubt. Die durchschnittliche Nettokaltmiete lag 2009 bei 5,07 Euro pro Quadratmeter – und damit über den Mittelwerten des Mietspiegels. Die Mieterberatungsgesellschaft ASUM hat festgestellt, dass bei Neuvermietungen bis zu 50 Prozent mehr verlangt werden als zuvor.
Familien ziehen den Kürzeren
Als Wohngebiet für junge Familien scheint der Kiez schon an seine Grenzen gestoßen zu sein. Bei den wenigen familientauglichen Mehr-Zimmer-Wohnungen ist die Nachfrage weit größer als das Angebot – und die Vermieter reagieren in ihrer Preisgestaltung darauf. Selbst Familien mit zwei Verdienern ziehen gegen Wohngemeinschaften immer öfter den Kürzeren. Wenn ein Wohnungswechsel ansteht, etwa weil die Kinder älter werden und ein eigenes Zimmer brauchen, bleibt den Familien oft nichts anderes übrig, als Friedrichshain zu verlassen.
Die Möglichkeit, eine Mietobergrenze zu setzen, ist dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg 2006 vom Bundesverwaltungsgericht aus der Hand genommen worden. Um Einkommensschwache mit einer Wohnung zu versorgen, stehen nur noch die rund 1000 Wohnungen zur Verfügung, deren Modernisierung bis 2001 mit öffentlichen Geldern gefördert wurde. „Das ist ein nicht ausreichendes Instrument“, bedauert ASUM-Geschäftsführer Werner Oehlert. „Mit den derzeitigen Möglichkeiten ist es außerordentlich schwierig, Geringverdienern das Bleiben im Gebiet zu ermöglichen. Der beste Schutz bestünde darin, die Neuvermietungsmieten zu begrenzen.“ Dazu müsste aber das bundesweite Mietrecht geändert werden. Außerdem, so Oehlert, wäre eine Erhaltungs- beziehungsweise Milieuschutzverordnung sinnvoll, um die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu bremsen und teure Luxusmodernisierungen unattraktiv zu machen.
Jens Sethmann
MieterMagazin 10/10
Das Entlein wurde zum Schwan: Modernisierte Häuser im ehemaligen Sanierungsgebiet
Fotos: Christian Muhrbeck
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Ein Sanierungsgebiet – zwei Kieze
Der östliche Teil Friedrichshains gehörte zu den vernachlässigsten Stadtteilen Berlins. Das Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz existierte von Dezember 1994 bis Juli 2010. Das 35 Hektar große Gebiet erstreckt sich vom Bahnhof Ostkreuz bis zur Scharnweberstraße und wird im Osten von der Ringbahn und im Westen vom Straßenzug Holtei-/Weichselstraße begrenzt. Die Boxhagener Straße und ein großer Gewerbeblock teilen das Gebiet in zwei Quartiere. Das Viertel um die Sonntagstraße im Süden und der Travekiez im Norden haben je ein eigenes „Kiezgefühl“.
js
03.03.2018