Berlin erfindet sich ständig neu, die Berliner (ver)mischen sich ständig – mit Zuwanderern aus dem Um- und Ausland, aber auch innerhalb der Stadt. Berlin ist nicht nur die Hauptstadt Deutschlands, sondern auch die Hauptstadt der Umzüge. Die Berliner sind Nomaden, aber nicht immer freiwillig.
Im August 2010 hat das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg einen Bericht zu Zahl und Struktur der Zu- und Fortzüge über die Grenzen des Landes Berlin sowie der Umzüge innerhalb des Landes, die sogenannten Binnenwanderungen, vorgelegt – sozusagen einen „Umzugsatlas“. Der Bericht verzeichnet für 2009 insgesamt fast 144.000 Zuzüge, das sind 17 Prozent mehr als 1995 und 8 Prozent mehr als im Vorjahr. 133.000 Menschen verließen 2009 die Stadt, so dass der Saldo mit plus 11.000 Einwohnern positiv ausfällt. Zuzüge, aber auch Fortzüge, erfolgten vor allem aus beziehungsweise nach Brandenburg, gefolgt von Nordrhein-Westfalen und Bayern. Ausländische Zuwanderer kamen vor allem aus Polen, Bulgarien und Frankreich. Im Juni 2009 waren 460.717 ausländische Bürger anderer Staaten mit Hauptwohnung in Berlin gemeldet, das sind 13,7 Prozent der Bevölkerung. Im vergangenen Jahr sind allerdings weit weniger Ausländer nach Berlin gekommen als noch im Jahre 1995.
Der Zuzug aus dem Ausland nimmt ab
In Berlin sind in den Jahren 2004 bis 2008 1,8 Millionen Menschen innerhalb der Stadt umgezogen, das sind immerhin 52 Prozent der Bevölkerung. Davon blieben eine Million Menschen innerhalb des Bezirks, in dem sie bisher gewohnt haben. Die Binnenwanderung, das heißt der Zuzug und Fortzug innerhalb der Stadt, ist in den Innenstadtbezirken besonders gravierend. Die höchste Binnenabwanderung hat der Bezirk Mitte zu verzeichnen. Über 38.000 Menschen verließen hier allein im Jahr 2009 ihre Wohnung, der Zuzug – vor allem aus anderen Bundesländern – betrug fast 41.000. Heute leben hier fast 333.000 Menschen.
Statistisch nachweisbar ist, dass vor allem 19- bis unter 30-jährige Ledige in die Stadt drängen, bei den über 30-Jährigen gibt es dagegen einen Fortzugsüberschuss. Die zugezogenen „Berliner“ sind nicht nur jung, sie verfügen auch häufig über höhere Bildungsabschlüsse. Innerstädtisch ist der Hauptgrund für einen Umzug zumeist die steigende Mietbelastung in der City, vor allem auch nach einer Sanierung. Bereits heute erhalten 19 Prozent der Berliner ab 14 Jahre Hartz-IV-Leistungen, Grundsicherung beziehungsweise Sozialhilfe oder leben mit einer Person zusammen, die entsprechende Leistungen bezieht. Nur noch 42 Prozent der Berliner sind erwerbstätig und können von ihrem Einkommen auch leben, stellt eine Studie der Hertie-Stiftung fest. Wer sich eine Wohnung in der Innenstadt nicht mehr leisten kann, zieht in „preiswertere“ Bezirke, vor allem in die Marzahner, Reinickendorfer oder Spandauer Großsiedlungen. So wechselten in den letzten Jahren fast 20.000 Menschen von Friedrichshain-Kreuzberg nach Neukölln, 18.000 von Mitte nach Reinickendorf.
Gentrifizierung nennen Demografen und Stadtsoziologen das Verdrängen von Bewohnern aus der Innenstadt infolge Aufwertung und Verteuerung der Wohnimmobilien. Auch wenn Politiker wie Martin Matz, Sozialstadtrat in Spandau, immer wieder behaupten, keine Belege für eine Gentrifizierung zu haben – die Zahlen sprechen berlinweit eine andere Sprache.
Rainer Bratfisch
MieterMagazin 10/10
Die Aufwertung der Innenstadtbezirke hebt das Mietniveau, die weniger zahlungskräftigen Haushalte wandern ab
Foto: Sabine Münch
Berlin wächst
Zuzüge aus anderen Bundesländern und dem Ausland sind nach wie vor die Hauptursache für den Anstieg der Einwohnerzahl in Berlin. 2009 lebten 3.442.700 Menschen in der Stadt, das sind 0,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Geburten lag 2009 mit 32.100 Kindern um 200 höher als im Vorjahr. Die Sterbefälle sanken auf 31.700. Erstmals zeit Jahrzehnten wurden in Berlin also wieder mehr Menschen geboren als starben. Einen Geburtenüberschuss hatte es nach dem Zweiten Krieg nur Mitte der 1960er und in den 1980er Jahren im Ostteil der Stadt gegeben. Berlin ist also keine schrumpfende Stadt, und auch das Horrorszenario, das Thilo Sarrazin in seinem viel diskutierten Buch „Deutschland schafft sich ab“ entwirft, trifft für Berlin nicht zu. Die Einwohnerzahl steigt, wenn auch langsam.
rb
17.12.2015