Die Ost-Berliner Plattenbau-Wohnsiedlungen gelten häufig wegen ihres schlichten, einheitlichen Baustils als wenig attraktiv. Aber schon seit einigen Jahren verändern Wohnungsunternehmen in Hellersdorf, Marzahn und Lichtenberg den Gesamteindruck ihrer Häuser mit Farben, Wandbildern und anderen künstlerischen Elementen. Damit schufen sie ansprechende, ganz individuelle und unverkennbare Wohnquartiere.
„Hier musste etwas ganz Besonderes hin – ein Hingucker“, sagt Andrej Eckhardt, der Vorsitzender der Wohnungsgenossenschaft „Grüne Mitte“ in Hellersdorf. Er meint die beiden Elfgeschosser an der Zossener Straße, von deren Fassaden seit 2009 riesige Sonnenblumen sommergelb und wiesengrün leuchten. Sie sollen, so Andrej Eckhardt, den „Eingang zum aufblühenden Wohngebiet Hellersdorf veranschaulichen“.
Als Mietergemeinschaft hatte die 1996 gegründete Genossenschaft einen Wohnungsbestand aus dem Wohnungsunternehmen Wogehe herausgekauft. Sieben Siedlungshöfe gehören zur „Grünen Mitte“. Jeder ist individuell gestaltet – ob in warmen rot-braunen Farbtönen oder lustiger Fassadenmalerei mit „Glücksmänneken“, wie Andrej Eckhardt formuliert, die den Mietern an den Hauswänden entlang aufs Dach steigen. Jeder Hof hat seinen ganz speziellen Charakter. „Die Gestaltung der Fassaden ist ansprechend und eben etwas Besonderes“, stimmt Heidi Schultheiss zu, die Genossenschaftsmitglied seit 1996 ist und in einem der Sonnenblumenhäuser wohnt.
Einige Jahre älter sind die Wandgemälde an Giebeln in der Cottbusser und Senftenberger Straße. Bereits 1993 lobte die Wogehe einen Wettbewerb aus, um dem Hellersdorfer Grabenviertel ein – wie man es nannte – „Kunst“-Image zu verleihen. 23 Künstler aus aller Welt bewarben sich darum, dieses Vorhaben umzusetzen. Fünf von ihnen wählte die Jury aus.
Kunst schafft Begegnung
Einer der Künstler war César Olhagaray aus Chile. Mit seinen ineinander verschlungenen Phantasiefiguren stellte er ein Beziehungsgeflecht dar, das zu Wohnen und Nachbarschaft passt. Seine Kunstwerke stehen unter dem Slogan „Begegnungen“. „Er sprach vor allem auch die Jugendlichen in dem Viertel an“, erklärt Dagmar Neidigk vom Wohnungsunternehmen Stadt und Land, das 2002 die Wogehe übernommen hat. „Wenn César malte, kamen die Anwohner, schauten ihm zu und unterhielten sich mit ihm über seine Graffitis“, erinnert sie sich.
Eine weitere Künstlerin, die im Grabenviertel ihre Spuren hinterließ, ist Erika Klagge. Ihr Ansatz war, „Kunst als Teil der Architektur und des gesamten Umfeldes zu sehen“, beschreibt Dagmar Neidigk Klagges Vorgehen an den Giebeln in der Senftenberger Straße 17 und 43. Zum Thema „Kontakt“ wählte sie ein Motiv aus der Kunstgeschichte: Die Erschaffung Adams von Michelangelo aus der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Gesichter, die sich anschauen und Finger, die sich berühren.
Ins Auge fällt auch das nach seinem Künstler benannte „Gustavo-Hochhaus“. Das knallbunte 18- beziehungsweise 21-geschossige Doppelhochhaus steht in der Franz-Jacob-Straße, ganz in der Nähe des S-Bahnhofs Storkower Straße in Lichtenberg.
Der spanische Künstler Gustavo schuf es Mitte der 1990er Jahre im Auftrag des damaligen Eigentümers, der „Privatisierungs-Management GmbH Prima“. Gustavo fertigte zunächst Zeichnungen mit farbigen Figuren und stellte ein Modell des Hauses her, das als Vorlage diente. Es entstand für jede Seite des Wohnhauses ein Bild. Jedes der Bild-Puzzleteile wurde von einer Pankower Firma mittels dauerhafter Farben auf eine Aluminiumplatte übertragen und gebrannt. Die ursprünglich etwas schiefen Wände des 1978 errichteten Hochhauses erhielten nach der Verkleidung mit Dämmstoffen Aluminium-Rahmen, mit dem die Wandelemente begradigt wurden. Auf diesen Rahmen nietete man die aus 11 000 Einzelteilen bestehende Bildkomposition.
Bewusst neue Akzente wollte das Wohnungsunternehmen Degewo setzen, als man 2009 das 13 mal 10 Meter große Wandgemälde „Tanzen in Marzahn“ an der Giebelfront der Mehrower Allee 46 von dem Künstler Frank Beutel gestalten ließ. „Ziel war es zu zeigen, dass der Stadtumbau Ost keine Abkehr von der Tradition der Großsiedlung darstellt, sondern ihre Weiterentwicklung ist“, erklärt Lutz Ackermann, Pressesprecher der Wohnungsbaugesellschaft.
Wände mit Botschaften
Da das Gebäudeensemble an der Mehrower Allee 38 bis 48 schon bei seiner Errichtung in den Hauseingangsbereichen künstlerisch bearbeitet wurde, lag es nahe, auch nach einem kompletten Umbau der Gebäude ein Stück Identität zu bewahren“, so Ackermann.
Ausgehend von einem Motiv aus einem ehemaligen Hauseingangsbild mit Josephine Baker, wurde das Tanzmotiv für den gesamten Hausgiebel weiterentwickelt. „Tanz in allen Facetten“ wurde deshalb als Thema gewählt, weil der Tanz alle Generationen positiv berührt und damit auch die breite Palette der Mieter verschiedenen Alters ansprechen soll. Im Giebelbild wurde außerdem oben links der Musiker, Komponist und Dirigent Sachar Katz dargestellt, der Anfang der 90er Jahre ein ABM-Orchester in den Ringkolonnaden in Marzahn leitete und somit auch ein Stück Identität des Ortes darstellt.
Bettina Karl
Große Fußstapfen
Berlin ist wohl die deutsche Großstadt mit den meisten Wandmalereien. Die Hochphase erlebte die Stadt in den 70er und 80er Jahren. Zu jener Zeit wurde im Westteil Berlins die Fassadenmalerei oft als Möglichkeit eingesetzt, um gesellschaftskritische Botschaften zu vermitteln, beispielsweise von dem Künstler Ben Wargin in der Bachstraße. In Ost-Berlin schmückten dagegen Auftragsarbeiten des Staates zahlreiche Häuser, oft Sporthallen und Kindergärten, die häufig politische Parolen verbildlichten. Rund 480 Fassaden wurden in Berlin gestaltet. Viele Kunstwerke, solche, die zum Beispiel Brandmauern zierten, sind nach der Wende dem Bauboom und der damit verbundenen Lückenschließung zum Opfer gefallen.
bk
Zur West-Berliner Fassadenmalerei erschien in der Ausgabe 11/09 des MieterMagazin die Titelgeschichte Beredte Wände – Berlins Fassadenbilder spiegeln Zeitgeschichte
MieterMagazin 10/11
Frank Beutels „Tanzen in Marzahn“ an der Mehrower Allee 46
Franz-Jacob-Straße 1: Das „Gustavo-Hochhaus“ in Lichtenberg wurde nach einer Vorlage des gleichnamigen Künstlers gestaltet
Im Hellersdorfer Grabenviertel stellte der chilenische Künstler César die Beziehung von Wohnen und Bewohnern dar
Seit 2009 leuchten Sonnenblumen von den beiden Hochhäusern in der Zossener Straße 66 und 68 am Eingang von Hellersdorf
Die „Glücksmänneken“ erklettern die Fassade eines Wohnhauses der Hellersdorfer Genossenschaft „Grüne Mitte“
Gemalte europäische Altstadtarchitektur sollte im ganzen Hellersdorfer „Europa-Viertel“ entstehen, leider ging der Eigentümer vorher pleite
alle Fotos: Sabine Münch
26.01.2017