Die Großsiedlung Falkenhagener Feld feiert ihr 50-jähriges Bestehen. 1963 begann der Bau dieser typischen Trabantenstadt im Westen von Spandau, die immer im Schatten ihrer beiden größeren „Schwestern“ Gropiusstadt und Märkisches Viertel stand. Wie jede Großsiedlung hat sie mit altersgemäßen Problemen zu tun.
Beinahe wäre das Jubiläum vergessen worden. Als im letzten Jahr die Gropiusstadt in Neukölln ihren 50. Geburtstag feierte, merkte man in Spandau, dass auch die Großsiedlung Falkenhagener Feld vor einem halben Jahrhundert gegründet wurde. Schon am 4. Mai 1962 erfolgte die erste Grundsteinlegung und am 21. Juni 1963 wurde für die ersten Wohnhäuser an der Siegener Straße Richtfest gefeiert. Man kann also mit einem zugedrückten Auge in diesem Jahr das 50-jährige Jubiläum feiern.
Als Falkenhagener Feld wurde ursprünglich die Feldmark an der Ausfallstraße nach Falkenhagen, heute ein Ortsteil von Falkensee, bezeichnet. Die Falkenseer Chaussee wurde mit dem Mauerbau 1961 zur Sackgasse. Das Baufeld der Großsiedlung erstreckt sich über zweieinhalb Kilometer beiderseits der Chaussee von der Spandauer Neustadt bis zur Stadtgrenze. Das Falkenhagener Feld ist kein kompaktes, klar abgegrenztes Baugebiet. Teile des Geländes waren schon mit Einfamilienhäusern bebaut.
„Keine Experimente“
Der Rest war dicht mit Kleingärten und Lauben besetzt, die wegen der Wohnungsnot nach den Kriegszerstörungen zum großen Teil auch dauerhaft bewohnt waren.
Bis 1973 entstanden hier knapp 10.000 Wohnungen, meist in vier- bis achtgeschossigen Zeilenbauten, die abgewinkelt oder gegeneinander versetzt stehen. Als städtebauliche Akzente wurde ein gutes Dutzend Hochhäuser mit bis zu 17 Geschossen hinzugefügt. An günstigen Stellen wurden Ladenzentren errichtet, drei große Schulen sind im Gebiet gebaut worden, und auch an Kindertagesstätten, Jugendfreizeitheime, Altenwohnheime, Sportplätze, Kirchen und Parkhäuser wurde gedacht.
Obwohl auf dem Falkenhagener Feld mehrere Bauträger tätig waren, mache der Stadtteil einen „geschlossenen Eindruck“, lobte 1970 die „Berliner Baubilanz“ des Senators für Bau- und Wohnungswesen. „Dies liegt nicht zuletzt an einer allgemein gemäßigten Farbigkeit der Gebäude bei gleichzeitiger Vermeidung monotoner Baukörper“, heißt es dort weiter. „Gewagte architektonische Experimente wie im Märkischen Viertel sind hier jedoch nicht zu entdecken.“ Immerhin war während der Bauzeit die Kulisse der Hochhaus-Rohbauten spektakulär genug, um auf der Falkenseer Chaussee für einen Jerry-Cotton-Film Verfolgungsjagden mit amerikanischen Straßenkreuzern zu drehen.
Nach Fertigstellung der Siedlung lebten hier rund 30.000 Menschen. Die „Berliner Baubilanz“ zeichnet ein idyllisches Bild: „Für über zehntausend Familien bedeutet der neue Stadtteil im westlichen Spandau die Erfüllung lang gehegter Wünsche nach gesunden und familiengerechten Wohnungen, abseits vom innerstädtischen Verkehrslärm. Man wohnt zwar in Berlin, fühlt sich aber doch als Bewohner eines Neulandes.“
Doch nur zum Teil zogen hier Berliner Familien ein, die eine moderne Wohnung suchten. Auch viele Laubenbewohner, deren Unterkünfte den Neubauten weichen mussten, bekamen hier eine Bleibe. Einige konnten sich von ihren Tieren nicht trennen und hielten deshalb anfangs auf dem Balkon Hühner und Kaninchen – so erzählt man es sich jedenfalls. Die neuen Bewohner waren zum Teil auch Arbeitnehmer aus Westdeutschland, die mit Jobs in den Spandauer Werken von Siemens oder BMW inklusive Berlinzulage und der Zusage einer Neubauwohnung nach Berlin gelotst wurden. Und nicht zuletzt zogen hier auch die Abrissmieter aus den innerstädtischen Sanierungsgebieten ein, die mit sanftem Druck regelrecht umgesiedelt wurden.
Die Nachteile dieser „Neuland“-Besiedlung zeigten sich auch recht bald. In der durchgestylten Siedlung gab es nichts Ungeplantes. Wohnen, Arbeiten, Lernen, Einkaufen und Freizeit waren wie in allen Planungen jener Zeit streng voneinander getrennt. Es fehlte an Überraschungen und Urbanität. Die versprochene U-Bahn in die Berliner City wurde nie gebaut. Wie so viele Großsiedlungen am Stadtrand war auch das Falkenhagener Feld eine Schlafstadt.
Nach Berlin per Bus
Vom ruhigen Wohnen abseits des Verkehrslärms kann man indessen schon lange nicht mehr sprechen. Das Falkenhagener Feld liegt mitten in der Einflugschneise des Flughafens Tegel, über den ab 1974 der gesamte West-Berliner Flugverkehr abgewickelt wurde. Nachdem 2012 die Schließung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde, stieg der Fluglärm sogar noch weiter an. Die Falkenseer Chaussee hat sich nach der Öffnung der Mauer zu einer stark befahrenen Ausfallstraße entwickelt. Im aktuellen Flächennutzungsplan ist immer noch die U-Bahn-Linie im Verlauf der Falkenseer Chaussee eingezeichnet, doch wird die Planung schon lange nicht mehr verfolgt. Der öffentliche Verkehr läuft bis heute ausschließlich über drei Buslinien. Die Rolle der U-Bahn übernimmt der Metrobus M37.
Heute leben auf dem Falkenhagener Feld knapp 25.000 Einwohner, darunter überdurchschnittlich viele alte Menschen, die zum Teil sogar noch Erstmieter sind. Von den 90er Jahren an zogen viele Russlanddeutsche hierher. Kontakte zwischen Aussiedlern und „Ureinwohnern“ gibt es jedoch nur wenige. Die Arbeitslosigkeit ist in der Siedlung hoch.
Im Jahr 2005 wurden zwei Quartiersmanagements eingerichtet. Außerdem ist das Falkenhagener Feld seit 2005 Stadtumbau-West-Fördergebiet. Mit diesen Programmen wird daran gearbeitet, dem Viertel mehr „Gesicht“ zu geben. So baute man die S-Kurve der Westerwaldstraße aufwendig in einen verkehrsberuhigten Platz um und richtete dort in einem ehemaligen Supermarkt eine neue Stadtteilbibliothek ein. Im August konnte Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank den Platz im Rahmen eines Stadtteilfestes als Quartierszentrum des Falkenhagener Feldes einweihen. Auch der Henri-Dunant-Platz wurde umgestaltet und die Niederung des Havelnebenflüsschens Spekte einschließlich der alten Kiesteiche nach und nach zu einem attraktiven Grünzug aufgewertet.
Um die Wohnungen auf den heutigen Stand zu bringen, muss vor allem in die Wärmedämmung und die Heizungsanlagen investiert werden. Zur Bauzeit hatte Energiesparen noch kaum eine Rolle gespielt. Der Wohnungsleerstand, der vor fünf Jahren noch herrschte, ist mittlerweile fast auf Null geschrumpft. Weil die Mieten hier im berlinweiten Vergleich noch niedrig sind, gibt es seit einigen Jahren einen verstärkten Zuzug aus der Innenstadt. Auch dabei kommen wieder viele Menschen nur notgedrungen aufs Falkenhagener Feld, zum Beispiel Empfänger von Arbeitslosengeld II und Grundsicherung, die woanders kaum noch Wohnungen finden.
Jens Sethmann
Das Falkenhagener Feld stand immer im Schatten der gleichzeitig gebauten Großsiedlungen Märkisches Viertel und Gropiusstadt. Der Senat schob die beiden mit jeweils 17.000 Wohnungen größten Siedlungen in den Vordergrund, denn eine erfolgreiche Wohnungspolitik ließ sich nach damaligem Verständnis am besten mit vielen gebauten Wohnungen nachweisen. Folglich stürzte sich auch die vielfach geäußerte Kritik an der Ödnis der Siedlungen, an den unmenschlichen Dimensionen der Häuser, an den fehlenden Versorgungseinrichtungen oder an der unsozialen Mietenentwicklung auf das Märkische Viertel und die Gropiusstadt. Die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit war dort höher.
Das zeigt sich auch an den Planern: Im Märkischen Viertel kamen junge internationale Architekten zum Zuge, die das Modernste vom Modernen bauen sollten, und der Plan der Gropiusstadt stammt aus der Feder von Walter Gropius, der als Bauhaus-Gründer nach seiner Emigration vor den Nationalsozialisten weltweit zur lebenden Galionsfigur der modernen Architektur geworden war. Wie ein Gegenstück wirkt der Generalplaner des Falkenhagener Feldes: Hans Stephan war während des Nationalsozialismus als enger Mitarbeiter Albert Speers an den größenwahnsinnigen Plänen beteiligt gewesen, Berlin zur „Welthauptstadt Germania“ umzubauen. Schon 1948 bekam er wieder eine Stellung in der Berliner Bauverwaltung und stieg trotz Protesten wegen seiner Nazi-Vergangenheit 1956 zum Senatsbaudirektor auf. Auf politischen Druck trat er aber 1960 zurück und arbeitete fortan als freier Architekt. Mit der Generalplanung für das Falkenhagener Feld zog er gleich einen großen Auftrag an Land.
js
MieterMagazin 10/13
Lesen Sie auch zu diesem Thema:
Fotos: Nils Richter
Das Falkenhagener Feld ist die „kleine Schwester“ von Gropiusstadt und Märkischem Viertel – wie auch dort werden die Häuser energetisch fit gemacht
Face-Lifting: Der ehemalige Supermarkt ist jetzt eine Stadtteilbibliothek
Im Wohngebiet ist durch das Stadtumbauprogramm ein attraktiver Grüngürtel entstanden
Jubiläumsausstellung:
Die Ausstellung „50 Jahre Falkenhagener Feld“ öffnet am 29. Oktober um 18 Uhr
im Klubhaus, Westerwaldstraße 13.
Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag von 15 bis 21 Uhr
05.02.2018