Paul Mebes eiferte einer traditionellen Baukunst nach und war gleichzeitig ein Wegbereiter der modernen Architektur. Seine Wohnanlagen für den Beamten-Wohnungs-Verein fanden in der Kaiserzeit viel Anerkennung. In der Weimarer Republik war er zusammen mit seinem Kompagnon Paul Emmerich einer der produktivsten Wohnungsbauarchitekten. Mebes’ Stil war wandelbar, er gilt als „Meister der gemäßigten Moderne“. Sein Name steht bis heute im Schatten der kompromisslosen Architekten des „Neuen Bauens“.
Paul Mebes wurde am 23. Januar 1872 in Magdeburg geboren. Nach dem Abschluss des Realgymnasiums absolvierte er im Betrieb seines Vaters eine dreijährige Tischlerlehre. Anschließend besuchte er die Baugewerkschule in Magdeburg und die Kunstgewerbeschule in Nürnberg. 1894 nahm er in Braunschweig ein Architekturstudium auf, das er 1899 an der Technischen Hochschule Charlottenburg beendete. Nach dem Studium ging er in den Staatsdienst, was damals für Absolventen Pflicht war.
1906 wechselte er zum Beamten-Wohnungs-Verein zu Berlin (BWV). Für diese Genossenschaft war er zugleich als hochbautechnischer Vorstand und als Hausarchitekt für den Siedlungsbau tätig. Die Genossenschaften waren in der späten Kaiserzeit die Vorreiter des Reformwohnungsbaus.
Paul Mebes sorgte in seiner Zeit beim BWV für einiges. So erregte die 1908 fertiggestellte Siedlung „Steglitz II“ Aufsehen: Dort ziehen sich zwei Häuserzeilen entlang des privaten Fritschwegs durch den Block und bilden durch eine geschickte Anordnung in der Mitte einen kleinen Schmuckplatz. Bei der „Allgemeinen Städtebauausstellung“ von 1910 erntete die Anlage hohe Anerkennung.
Noch mehr Aufmerksamkeit bekam die 1909 errichtete Wohnanlage Niederschönhausen. Auf einem unregelmäßigen Dreiecksgrundstück an der Grabbeallee kombinierte Mebes das Prinzip der offenen Höfe mit der Erschließung durch eine Privatstraße, die Paul-Francke-Straße. Bei einer Führung im Jahr 1910 lobte der Städtebau-Professor Rudolph Eberstadt die vorbildliche Erschließung, die vorzüglich gelungene Grundrisslösung sowie die geschmackvolle Einrichtung der Wohnungen. Hier finde man „Raumkunst im wahrsten Sinne des Wortes“, so Eberstadt. Noch fünf Jahre später schrieb der Journalist Robert Breuer in „Wasmuths Monatshefte für Baukunst“ euphorisch über die Niederschönhauser Siedlung: „Es ist nun wirklich ein Vergnügen, zugleich ein soziales wie ein architektonisches, zu sehen, wie Mebes aus der Vernunft dieses Grundstückes einen geradezu idealen städtebaulichen Plan herausholte.“
Idyllisch-grüne Gartenhöfe inmitten der Stadt
In der 1908 bis 1910 erbauten Wohnanlage „Charlottenburg II“ schlängeln sich fünfgeschossige Gebäude entlang des Horstwegs und bilden inmitten der eng bebauten Stadt offene, idyllisch-grüne Gartenhöfe.
Über seine Gestaltungsprinzipien hat Paul Mebes 1908 ein Buch veröffentlicht. „Die Lage unseres Hausbaues ist trostlos, wir sind wirklich am Ende unserer Kunst“, klagte er in der Einleitung. Er forderte eine Abkehr vom überladenen wilhelminischen Baustil seiner Zeit und eine Rückbesinnung auf die Zeit „Um 1800“ – so der Titel seines Buches – eine Zeit, in der Architektur und traditionelles Handwerk noch zusammenspielten und einfache, klassische Bauformen hervorbrachten.
1903 hatte Mebes Gertrud Emmerich geheiratet – Tochter des Architekten Julius Emmerich. 1911 tat sich Paul Mebes mit seinem Schwager Paul Emmerich (1876-1958), ebenfalls Architekt, unter dem Namen Mebes & Emmerich zusammen. Auch als Selbstständiger blieb Paul Mebes bis 1923 im Vorstand des BWV und entwarf nun mit seinem Sozius für die Genossenschaft Wohnanlagen in Zehlendorf, Pankow, Johannisthal und Tempelhof.
Nach dem Ersten Weltkrieg bauten sie auch für andere Wohnungsunternehmen. Die Heidehof-Siedlung in Zehlendorf, die sie 1923 für die gemeinnützige Wohnstättengesellschaft entwarfen, ähnelt mit ihren Backsteinfassaden noch sehr den BWV-Wohnanlagen. Nachdem mit der Einführung der Hauszinssteuer 1924 der soziale Wohnungsbau angekurbelt wurde, näherten Mebes & Emmerich ihren Stil dem „Neuen Bauen“ an. Ihr 1925 gebauter „Werra-Block“ in Neukölln hat ein modernes Flachdach, an den Fassaden wechseln sich Bänder aus gelbem Putz und roten Ziegeln ab. Die spitzen Treppenhausfenster sind ein Anklang an den Expressionismus. Die dazu passenden, dreieckig hervortretenden Treppenhäuser sollten zu einem Erkennungszeichen der Mebes & Emmerich-Bauten werden. Typisch sind auch die paarweise angeordneten Loggien.
Im „Zehlendorfer Dächerkrieg“ standen Mebes & Emmerich jedoch auf der Seite der Traditionalisten: Sie beteiligten sich 1929 an der Versuchssiedlung Fischtalgrund, die mit steilen Dächern einen Gegenpunkt zu den Flachdächern der benachbarten Großsiedlung Onkel Toms Hütte setzen wollte.
Eine Siedlung ohne Schornsteine
Bei späteren Projekten waren sie wiederum sehr fortschrittlich. Die Zeilenbauten in der Reichsforschungssiedlung Haselhorst von 1931 folgten dem damals letzten Schrei des Städtebaus – auch wenn Mebes & Emmerich die strengen Nord-Süd-Zeilen durch einige quergestellte Gebäude auflockerten. Die gleichzeitig geplante Rauchlose Siedlung in Steglitz war für Berlin revolutionär: Weil die Wohnungen mit Fernwärme beheizt und mit Elektroherden ausgestattet waren, hatten die Häuser keine Schornsteine.
In der Zeit der Weimarer Republik bauten Mebes & Emmerich in allen Teilen Berlins über 10.000 Wohnungen. Sie waren damit weit produktiver als berühmtere Architekten wie Walter Gropius, Hans Scharoun oder Ludwig Mies van der Rohe und auf Augenhöhe mit Bruno Taut, der unangefochtenen Nummer 1 des damaligen Wohnungsbaus.
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten war für die Arbeit von Paul Mebes ein Bruch. Im Mai 1933 wurde er zum Austritt aus der Akademie der Künste gedrängt. Während exponierte Architekten des „Neuen Bauens“ Deutschland verlassen mussten, konnten Mebes & Emmerich jedoch weiterarbeiten. Ihre angefangenen Wohnanlagen wurden noch fertiggestellt, neue Aufträge gab es für sie aber kaum noch.
Paul Mebes starb am 9. April 1938 im Alter von 66 Jahren in seinem Haus in Zehlendorf und wurde auf dem Friedhof an der Onkel-Tom-Straße beigesetzt.
Jens Sethmann
Was ist geblieben?
Das Büro von Mebes & Emmerich in der Köthener Straße 34 wurde im Krieg zerstört. Dabei sind viele Baupläne verloren gegangen. Die Siedlungen haben den Krieg mit verhältnismäßig wenigen Schäden überstanden. Der Wiederaufbau fand zum Teil unter der Regie von Paul Emmerich statt, der zusammen mit seinem Sohn Jürgen das Büro nach dem Krieg weiterführte. Viele Wohnanlagen stehen unter Denkmalschutz und sind gut erhalten. Acht kleinere gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, für die Mebes & Emmerich gebaut haben, sind 1937 zur GSW zusammengeführt worden. Nach der Privatisierung der GSW ist deshalb ein großer Teil der Wohnanlagen heute im Besitz des börsennotierten Konzerns Vonovia.
js
erhältlich beim BWV, Tel (030) 79 00 94-0,
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27.09.2023