Fernwärme gilt als umweltfreundlich, aber teuer. Viele Mieter sind daher wenig begeistert, wenn ihr Haus an das Fernwärmenetz angeschlossen werden soll. Zwar haben sich die Kosten für die verschiedenen Energieträger durch den starken Preisanstieg bei Gas und Heizöl angeglichen. Trotzdem bleiben die Fernwärmepreise auf hohem Niveau – und das, obwohl es sich um ein Abfallprodukt der Stromerzeugung handelt.
Zuletzt hat der Berliner Fernwärmeversorger Vattenfall die Preise zum 1. April 2006 um vier Prozent erhöht. Bereits ein Jahr zuvor wurden vom Vorgänger Bewag vier Prozent mehr verlangt. Zur Begründung verweist man auf die gestiegenen Kosten für leichtes Heizöl und Gas, die in den Kraftwerken zu Strom und Heizenergie verfeuert werden. Das Argument, dass Fernwärme als Nebenprodukt der Stromerzeugung eigentlich günstiger sein müsste, weist die Unternehmenssprecherin zurück: „Dazu ist eine komplexe Technik erforderlich und die kostet eben“, so Barbara Meifert von Vattenfall.
Auch bundesweit registrierte der Verband der Energieabnehmer (VEA) im vergangenen Jahr einen starken Preisanstieg, wobei es beachtliche regionale Unterschiede gibt (siehe Kasten „Deutliche Preisunterschiede“).
Nach Angaben von Vattenfall ist der Arbeitspreis bei Fernwärme in Berlin seit dem Jahr 2000 „nur“ um 35 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der Arbeitspreis für Gas um 72 Prozent, der Preis für Heizöl gar um bis zu 86 Prozent. Die Folge: Die in den 80er und 90er Jahren extrem teure Fernwärme ist mittlerweile die günstigste Heizungsart – das ergeben zumindest die Berechnungen von Vattenfall für das laufende Jahr 2006. Demnach betragen die aktuellen Heizkosten je Quadratmeter Wohnfläche bei Fernwärme 0,78 Euro gegenüber 0,87 Euro beim Heizöl. Am teuersten ist mit 0,93 Euro Gas.
Doch Durchschnittswerte sagen wenig darüber aus, wie viel dem einzelnen Verbraucher tatsächlich in Rechnung gestellt wird. Viele Mieter ärgern sich über hohe Heizkosten trotz sparsamen Verbrauchs. Unverständlich ist den meisten auch, warum sie bei gleichem Verbrauch mitunter doppelt so viel zahlen müssen wie ihr Nachbar im Haus nebenan. Dazu muss man wissen, dass der Fernwärmepreis von mehreren Faktoren abhängt. Zunächst kommt es darauf an, welcher Brennstoff in den Kraftwerken eingesetzt wird. Meist ist es Öl, Gas oder Kohle. Die meisten Energieversorger teilen den Fernwärmepreis in einen Grund- oder Leistungspreis und einen Arbeitspreis auf. Den Leistungspreis zahlt man für die Bereitstellung der Wärme. Er ist eine Art Grundgebühr, die Netzkosten, Instandhaltung und Wartung, aber auch den sogenannten Anschlusswert enthält. Mit dem Arbeitspreis dagegen bezahlt man den tatsächlichen Verbrauch. Das Verhältnis beträgt in Berlin im Durchschnitt 60 Prozent Energieverbrauch zu 40 Prozent Grundpreis. Vor dem Anschluss an die Fernwärme wird immer eine Wärmebedarfsberechnung für das Haus erstellt. Der Dämmungszustand des Gebäudes, die Anzahl der Wohnungen und vieles mehr sind ausschlaggebend für den Wärmebedarf eines Hauses. Je höher der Grundpreis ist, desto geringer ist der Anreiz für den einzelnen Verbraucher, sparsam mit der Heizenergie umzugehen. Für das Versorgungsunternehmen ist dagegen ein hoher Grundpreis eine sichere Einnahmequelle. Es gibt jedoch auch Fernwärmeversorger in Deutschland, die komplett auf einen Grundpreis verzichten und ihren Kunden nur den tatsächlichen Verbrauch in Rechnung stellen.
Verhandlungssache
Wie viel der Mieter letztendlich für seine Fernheizung bezahlen muss, hängt aber auch vom Verhandlungsgeschick des Vermieters ab. So hat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) schon vor Jahren für seine Mitgliedsunternehmen günstige Konditionen mit der Bewag ausgehandelt. 1,3 Millionen Mieter wohnen im Bestand der BBU-Unternehmen. Der Anteil an fernwärmebeheizten Wohnungen liegt im Ostteil Berlins bei zwei Dritteln, bei den West-Berliner Beständen sind es nach Angaben des Vermieterverbandes etwa ein Drittel. „Die Fernwärmepreise in Berlin sind nicht zu beanstanden“, meint Siegfried Rehberg vom BBU, „sehr viel größere Sorgen macht uns die Situation in Brandenburg, wo zum Teil extrem hohe Preise verlangt werden.“ In Brandenburg gibt es im Gegensatz zur Hauptstadt verschiedene Anbieter. Doch die Konkurrenz hat nicht zu sinkenden Preisen geführt. „Wir fordern eine Billigkeitskontrolle, die Preise müssen transparent gemacht werden“, so Rehberg. Doch rechtlich ist umstritten, ob eine solche Billigkeitskontrolle bei Energiepreisen anwendbar ist.
Auch wenn Vattenfall-Sprecherin Barbara Meifert meint, dass sich jeder „glücklich schätzen kann, der an die umweltfreundliche und preiswerte Fernwärme angeschlossen wird“ – viele Mieter sehen das ganz anders. Da der Neuanschluss an das Fernwärmenetz als Modernisierung gilt, können elf Prozent der Kosten auf die Miete umgelegt werden. Manch einer stellt zudem fest, dass er danach mehr Heizkosten bezahlen muss als für seine alte Gasetagenheizung. Dazu die Vattenfall-Sprecherin: „Man sollte immer im Hinterkopf haben, dass ein Mieter, der sich die Gasetagenheizung selbst eingebaut hat, auch die Installations- und Wartungskosten zu tragen hat.“ Man müsse daher die Gesamtkosten vergleichen.
Gasetagenheizung contra Fernwärme
Die Bewohner der Onkel-Tom-Siedlung in Zehlendorf kann diese Argumentation indes nicht überzeugen. Sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen die vorgesehene Umstellung auf Fernwärme. „Viele ältere Leute, die schon seit 40 oder 50 Jahren hier wohnen, sind kreuzunglücklich und wollen ihre Gasetagenheizungen behalten“, berichtet Mietersprecherin Barbara Boroviczény. Es geht den Bewohnern dabei nicht nur um die höheren Kosten. „Wir hätten dann keine direkten Ansprüche mehr gegenüber der Gasag, außerdem kann man Gasetagenheizungen besser individuell regulieren“, meint Boroviczény. Das Wohnungsunternehmen Gehag, das die Siedlung verwaltet, ist jedoch fest entschlossen, die Maßnahmen durchzuziehen und hat sämtliche Verweigerer auf Zustimmung zur Modernisierung verklagt. Vor dem Amtsgericht wurden bisher mit einer Ausnahme alle Klagen abgewiesen, doch die Gehag ist in die nächste Instanz gegangen. Der Ausgang vor dem Landgericht ist offen. „Der Vermieter beruft sich auf die Energieeinsparung durch Fernwärme – dass damit nur die Einsparung von Primärenergie gemeint ist, wurde bisher nicht thematisiert“, sagt Rechtsanwalt Johann Heinrich Lüth. Denn Studien belegen, dass der Energieverbrauch bei gasetagenbeheizten Wohnungen rund 15 Prozent unter dem von zentralbeheizten Gebäuden liegt.
Grund ist ein unterschiedliches Nutzerverhalten. Die Amtsgerichte begründeten ihre Entscheidung zugunsten des Mieters mit den zahlreichen Nachteilen, die für ihn mit der Umstellung auf Fernwärme verbunden sind. So sei er mit einer Gasetagenheizung nicht von bestimmten Heizzeiten oder Temperaturen abhängig, sondern könne nach seinen eigenen Bedürfnissen heizen. Zudem müsse der Mieter nur seinen eigenen Verbrauch zahlen, während er bei einer Zentralheizung über die Grundkosten auch dann an den Heizkosten beteiligt werde, wenn er die Heizung nie andreht. Die eigentlich spannende Rechtsfrage, ob es allein auf die Einsparung von Primärenergie ankommt, wurde bisher nicht geklärt. „Eine rechnerische Einsparung von Primärenergie bei tatsächlich höherem Energieverbrauch kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben, denn damit wird keine Umweltentlastung erreicht“, meint der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild.
Bereitstellungswerte gelegentlich zu hoch
Dass Fernwärme von den Mietern oft zu teuer bezahlt werden muss, liegt auch an überhöhten Anschlusswerten. Bei diesem Wert handelt es sich um die vom Vermieter bestellte Bereitstellungskapazität, das heißt die Wärme, die notwendig ist, um alle Wohnungen auch bei eisiger Kälte warm zu bekommen. Häufig werden aber unangemessen hohe Anschlusswerte gewählt oder sie werden nicht nach unten korrigiert, wenn der Energiebedarf nach einer Sanierung oder Wärmedämmung sinkt. Allerdings sei das Problem in den 80er und 90er Jahren sehr viel größer gewesen, meint Andreas Grondey vom Büro „SEnerCon“. Er überprüft für Mitglieder des Berliner Mietervereins (BMV) die Angemessenheit des Fernwärmepreises. Die meisten Abrechnungen seien korrekt. „Zu hohe Anschlussleistungen kommen aber gelegentlich vor. Erst kürzlich hatten wir einen Fall, wo die Werte nach der Sanierung nicht gesenkt worden sind.“ Vielen Vermietern sei gar nicht bewusst, dass sie sich darum kümmern müssen, dass der Wert gesenkt wird – schließlich zahlen sie die Kosten nicht selber, so Grondey. „Häufig empfiehlt Vattenfall den Eigentümern sogar selber, einen zu hoch angesetzten Wert zu korrigieren“, so Grondeys Erfahrung. Bei Wärmelieferverträgen mit langen Laufzeiten gibt es aber mitunter Schwierigkeiten, die Leistung anzupassen. „Wir sind da kulant, weil uns die Energieeffizienz sehr am Herzen liegt, eine Verpflichtung dazu besteht aber nicht“, erklärt Vattenfall-Sprecherin Barbara Meifert. „Wenn wir gerade einen Fernwärmeanschluss gelegt haben, können wir nicht kurzfristig die Leistung nach unten korrigieren, wenn in dem betreffenden Haus Wohnungen leer stehen und der Wärmebedarf dadurch sinkt.“
Bleibt abzuwarten, wie sich die Energiepreise in Zukunft entwickeln. Der Ausbau des Fernwärmenetzes wird vermutlich zu weiteren Kostensenkungen führen. Die Mieter wird das freuen – gegen eine ökologische, preiswerte Heizung hat schließlich niemand etwas einzuwenden.
Birgit Leiß
MieterMagazin 11/06
Jede vierte Wohnung in Berlin wird mit Fernwärme beheizt
alle Fotos: Rolf Schulten
Mit durchschnittlich 0,78 Euro pro Quadratmeter und Monat ist Fernwärme zurzeit eine preiswerte Art zu heizen
Berlin hat ein 1348 Kilometer langes Fernwärmenetz
Eines von zehn: Das Vattenfall-Kraftwerk Mitte produziert Fernwärme
Mitglieder des BMV können die Angemessenheit des Fernwärmepreises überprüfen lassen. Nähere Informationen finden Sie auf der Seite
Überprüfung des Fernwärmepreises..
Deutliche Preisunterschiede
Der durchschnittliche Fernwärmepreis liegt in den alten Bundesländern bei 0,80 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche, in den neuen Bundesländern sind es 0,88 Euro (Zahlen für 2004/2005). Am teuersten ist Fernwärme mit 0,92 Euro je Quadratmeter in Mecklenburg-Vorpommern, dicht gefolgt von Brandenburg mit 0,91 Euro. Die Berliner Verbraucher haben es vergleichsweise gut: Sie zahlen mit 0,75 Euro den zweitgünstigsten Preis. Nur im Saarland ist Fernwärme noch 3 Cent billiger.
bl
Zahlen und Fakten
Berlin hat neben Hamburg das größte Fernwärmenetz Deutschlands. Rund 613.500 Wohnungen werden in der Hauptstadt mit Fernwärme beheizt. Der Anteil am Wärmemarkt liegt damit bei etwa 27 Prozent. Ein Rohrleitungssystem von 1348 Kilometern Länge mit rund 15.000 Übergabestationen transportiert die Wärme bis in die Gebäude. Vattenfall als quasi alleiniger Anbieter verfügt über eine Wärmeleistung von rund 5000 Megawatt und einen Wärmeabsatz von circa 8600 Gigawattstunden. Die Wärme wird in zehn Heizkraftwerken produziert, zu 95 Prozent über die umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplung. Pro Jahr wächst das Fernwärmenetz um 20 bis 25 Kilometer. Trotz des starken Rückgangs im Neubau ist die Zahl der jährlichen Neuanschlüsse mit fast 500 ungebrochen hoch.
bl
Mietrecht: Darf der Vermieter einfach auf Fernwärme umstellen?
Grundsätzlich gilt die Umstellung auf Fernwärme wegen der damit verbundenen nachhaltigen Energieeinsparung als duldungspflichtige Modernisierung. Seit einem Urteil des LG Berlin vom 25. Juli 2005 (67 S 153/04) spielt es dabei keine Rolle, ob die Mieterhöhung doppelt oder dreifach so hoch ist wie die mögliche Energieeinsparung. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit kommt jetzt nur noch im Rahmen der Härteklausel zur Anwendung. Das heißt, wenn die Mietzahlungsfähigkeit des Mieters überschritten ist, muss er die Modernisierung unter Umständen nicht dulden.
Der Vermieter darf aber nicht einfach einseitig auf Fernwärme umstellen, so auch der ehemalige BGH-Richter Dr. Beyer (in Energieeffizienz in Gebäuden – Jahrbuch 2006, Hrsg.: Jürgen Pöschk, Berlin 2006, Seite 150). Nur wenn der Vermieter die Maßnahme als Modernisierung ankündigt, darf er die baulichen Kosten auf die Miete umlegen.
bl
23.09.2021