Günstiger Wohnraum in der Innenstadt ist rar, die Mieten steigen stetig. Gentrifizierung und Verdrängung betreffen auch und gerade viele Berliner Familien. Das stellt der Berliner Beirat für Familienfragen, der den Senat in familienpolitischen Fragen berät, in seinem Familienbericht fest.
Seit Jahren lebt die junge Familie – Vater, Mutter, ein Kind – in einer Zweizimmerwohnung in ihrem angestammten Kiez in Prenzlauer Berg. Eigentlich benötigt sie dringend ein drittes Zimmer. „Ich würde ein bisschen weiter fahren, ich würde ein bisschen mehr zahlen – mehr Zugeständnisse kann ich nicht machen“, sagt die Mutter, die im Familienbericht zu Wort kommt. Zwar sei ihr bewusst, dass es in anderen Stadtteilen noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Doch sie will ihr Kind nicht aus der vertrauten Kita nehmen, es weiterhin nah zur Arbeit haben, kurz: die gewohnten Strukturen, den eigenen „Lebensmittelpunkt“, nicht verlassen.
Diesen Wunsch teilen viele Familien in Berlin. Gemeinschaft, ein Zuhause haben und sich sicher fühlen, das macht für die meisten gutes Wohnen aus. In „ihren“ Kiezen – und dabei ist es interessanterweise egal, wo sich dieser Kiez befindet – finden Familien nachbarschaftliche Hilfe. Gegenseitige Kinderbetreuung lässt sich kurzfristig organisieren, Eltern können ihre Kinder sorglos alleine auf die Straße gehen lassen. Bei einem Wegzug fallen diese gewachsenen und den Alltag erleichternden Strukturen weg, was für viele Familien einer Katastrophe gleichkommt. Ein erzwungener Umzug kann das Familienleben erheblich schädigen, besonders bei armen und armutsbedrohten Familien. Regenbogenfamilien berichten, dass für sie und ihre Kinder jede neue Umgebung auch eine erneute Erklärung des eigenen Familienmodells und womöglich Diskriminierungen mit sich bringt.
Tatsächlich sind immer mehr Familien von Gentrifizierung bedroht. Sie finden keinen bezahlbaren Wohnraum mehr in der Innenstadt, wo Mieten und Mietnebenkosten seit Jahren stark ansteigen. Sie werden in günstigere, weniger zentrale Viertel verdrängt. Der Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2025 bildet eine Verschiebung einkommensschwächerer Haushalte von zentralen Innenstadtlagen wie Kreuzberg und Prenzlauer Berg in innerstädtische Randlagen wie Wedding oder Lichtenberg über die vergangenen Jahre ab. Kein Wunder, denn begehrte Lagen wie Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln oder Prenzlauer Berg sind auch bei Zuzüglern begehrt, was die Preise teilweise in astronomische Höhen treibt.
Der Zusammenhalt bröckelt
Betroffen sind besonders einkommensschwache Familien und Alleinerziehende – aber nicht nur. Es genügt schon, dass sich durch ein weiteres Kind oder die Pflege eines älteren Angehörigen die Lebenssituation verändert und eine Familie mehr Wohnraum benötigt. Wer sich aber keine größere Wohnung im vertrauten Wohnumfeld leisten kann, der muss sich mit der Enge arrangieren. Für viele – besonders einkommensschwächere – Familien wirft das sogar existenzielle Fragen auf: Können wir uns ein weiteres Kind überhaupt leisten? Wer nach einer Trennung als Elternteil auszieht, findet oft keine Wohnung nahe der bisherigen Familienwohnung, was die Betreuung besonders bei geteiltem Sorgerecht erschwert.
Selbst diejenigen, die sich die Mieten noch leisten können oder sich in provisorischen, beengten Wohnsituationen dauerhaft eingerichtet haben, sind direkt von den Auswirkungen der Verdrängung betroffen. Familien berichten von sinkender Solidarität innerhalb ihrer Nachbarschaft – bedingt auch durch häufig wechselnde Mietparteien und die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen. Regenbogenfamilien und Alleinerziehende berichten von erlebten Diskriminierungen. So bricht gerade jener nachbarschaftliche Zusammenhalt weg, der die Berliner Kieze für Familien so lebenswert macht.
Katharina Buri
Wohnraum schaffen, Mieten begrenzen
Um die Situation zu entspannen, appelliert der Familienbeirat an den Senat, bezahlbaren Wohnraum für Familien zu schaffen, vor allem durch den Neubau. Bei einer Verdichtung dürfe aber gleichzeitig auch nicht vergessen werden, die erforderliche Infrastruktur mitzuentwickeln, etwa Jugend- und Seniorentreffs oder Kitas. Hilfreich sei das „Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“, das der Senat 2012 mit den sechs größten städtischen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen hat und in dem unter anderem die Mietpreiserhöhungen gedeckelt wurden. Für die 90 Prozent der Wohnungen, die nicht mietpreisgebunden sind, sollten sich Senat und Bezirke auf die Instrumente konzentrieren, die ihnen zur Begrenzung von Mieterhöhungen zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang nennt der Bericht unter anderem die Kappungsgrenzenverordnung, den Milieuschutz und die Umwandlungsverordnung.
kb
Neben Wohnen und Mieten behandelt der Bericht auch die Themen Bildung, Arbeitsleben, Kinder- und Familienarmut sowie Gesundheit und Kinderschutz.
Er findet sich online unter www.familienbeirat-berlin.de
10.03.2016