Ob Großsiedlungen am Stadtrand, Wohngebiete an Verkehrsstraßen oder Szenekieze der Innenstadt: Soziale Parameter entscheiden darüber, ob ein Viertel zum Quartiersmanagementgebiet erklärt wird. Mit den bereitstehenden Mitteln sollen Nachbarschaften gestärkt und das Lebensumfeld der Bewohnerinnen und Bewohner verbessert werden – natürlich nachhaltig, denn die Förderung ist keine Dauerlösung.
Prima-Klima-Schule, Spiellandschaften, eine Promenade als Begegnungsraum – bisher sind es noch Visionen, die aus dem Quartiermanagementbüro an der Alten Hellersdorfer Straße kommen. Rund 12.600 Menschen leben in dem großen Wohngebiet, das von der vielbefahrenen lauten Verkehrsachse zerschnitten wird. 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner sind erst innerhalb der letzten fünf Jahre hierher an den östlichen Stadtrand gezogen. Und die große Wohnsiedlung, im Kern errichtet in den späten 1980er Jahren, wächst weiter: „Hier werden die meisten Wohnungen von Berlin gebaut“, erklärte die ehemalige langjährige Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) auf einem Kiezspaziergang im August. Zugleich wies sie auf die gewaltigen Defizite hin, mit denen das Quartier zu kämpfen hat: mit dem Raummangel und dem tristen Pausenhof der einzigen sanierungsbedürftigen Grundschule beispielsweise, mit einer bisher wenig zum Verweilen einladenden Promenade links und rechts der Alten Hellersdorfer Straße und der unattraktiven „Mitte“ des Quartiers, die nur funktional ist und dominiert wird von einem Imbiss, einem Parkplatz und zwei Supermärkten.
Soziale Kriterien bestimmen die Auswahl der QM-Gebiete seit 20 Jahren
Mittel aus dem Städtebauförderungsprogramm „Sozialer Zusammenhalt“ sollen das ändern. Die Alte Hellersdorfer Straße gehört zu den acht neuen Berliner Quartiersmanagementgebieten, die in diesem Jahr in der Stadt festgelegt wurden. Bei deren Auswahl geht es seit über 20 Jahren vor allem um soziale Kriterien – Arbeitslosigkeit und Transferleistungsbezug bei Erwachsenen und Kinderarmut zum Beispiel.
„Daneben schauen wir uns aber auch die Infrastruktur der Gebiete genau an“, sagt Alexandra Kast vom Fachbereich Quartiermanagement (QM) in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Worauf lässt sich aufbauen? Verfügt das Gebiet über Grünflächen und Spielplätze? Wie sieht die Gewerbestruktur aus? Welche Mängel sind sichtbar? Und nicht zuletzt: Wie lässt sich das ausgewählte Quartier begrenzen, ohne dass gewachsene Lebensräume und Nachbarschaften zerschnitten werden?
Nachbarschaftsprojekte für den sozialen Zusammenhalt
Die Größe eines QM-Kiezes und die Anzahl seiner Bewohnerinnen und Bewohner sind unterschiedlich. So zählt das neue QM-Gebiet Germaniagarten im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, in dem gerade einmal rund 3600 Menschen leben, zu den kleinsten QM-Quartieren. Eingegrenzt von der Ringbahn auf der einen und der A100 auf der anderen Seite stehen hier Wohngebäude, die vor über sieben Jahrzehnten errichtet wurden. Die größte Wohnanlage ist die denkmalgeschützte Bärensiedlung mit weiten, grünen Innenhöfen und einem besonderen Baumbestand, auf den die Anwohner stolz sind. Ein wenig wie auf einer Insel und fast dörflich liege das Quartier Germaniagarten, sagt Seira Kerber, Mitarbeiterin im QM-Büro: „Aber der erste Blick sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kiez Unterstützung braucht.“ Im Quartier leben viele Langzeitarbeitslose und Transferhilfeempfänger, 58 Prozent der Heranwachsenden unter 15 Jahren sind von Kinderarmut betroffen – etwa doppelt so viele wie im Berliner Durchschnitt. 57 Prozent der Menschen haben einen Migrationshintergrund. Die Menschen leben gern und seit Langem hier und sie wollen die Möglichkeiten, die sich nun aus dem Quartiersmanagement ergeben, auch nutzen. Vorschläge für die Verwendung von Geldern eines zur Verfügung stehenden Aktionsfonds waren beispielsweise Gartenbauprojekte wie Pflanzaktionen, Baumpflege, eine Hütte für Gartengeräte – und auch die Beseitigung vermüllter Ecken. Es sind solche nachbarschaftlichen Projekte, die den sozialen Zusammenhalt in QM-Gebieten fördern, erklärt Alexandra Kast aus der Senatsverwaltung.
Rund eine halbe Milliarde Euro ist seit 1999 in 50 ausgewählte Quartiere geflossen. Während dieser Zeit hat sich die soziale Karte Berlins deutlich verändert. Gehörten 1999 etwa der Boxhagener Platz in Friedrichshain, der Falkplatz und der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg zu den ersten QM-Gebieten, weil gerade nach dem Mauerfall in den heruntergekommenen Ost-Quartieren eine hohe Fluktuation einsetzte, sind es heute oft Großwohnsiedlungen am Stadtrand oder Altbauquartiere entlang des S-Bahnringes. Alexandra Kast: „Aber immer stehen funktionierende Nachbarschaften und das Lebensumfeld von sozial schwachen Familien im Mittelpunkt.“ Denn wo Kinder nicht in den Urlaub fahren können, kaum in den Tierpark, ins Kino oder Theater kommen, dort muss es fantasievolle Spielplätze, eine gepflegte Umgebung und ausreichend Grünflächen geben. Dafür werden von den QM-Büros auch schon bestehende Netzwerke genutzt.
Ein Beispiel: das Quartier Harzer Straße an der Grenze zu Treptow. Auf 110 Hektar und mit knapp 22.000 Bewohnerinnen und Bewohnern befindet sich hier eines der größten QM-Gebiete Berlins. Entlang des Neuköllner Schifffahrtskanals liege Gegensätzliches sehr dicht beieinander, erklärt die dortige QM-Mitarbeiterin Mine Henki: eine bunte Szene mit Kneipen, Cafés, Partylocations neben dichter Wohnbebauung, Gewerbebetrieben und Kleingartenanlagen. Ein Nebeneinander von ganz unterschiedlichen Anwohnerinnen und Anwohnern: Menschen, die beispielsweise aus Bulgarien und Rumänien gekommen sind und in Berlin auf Arbeit hoffen, Studenten aus ganz Europa, junge Familien mit hohen Bildungsansprüchen, die in Neukölln nach bezahlbarem Wohnraum gesucht haben. Aus einer solch bunten Mischung im besten Fall ein Miteinander zu machen, ist eine der großen Herausforderungen der QM-Arbeit.
Rosemarie Mieder
Gelder für das QM-Gebiet: Wer entscheidet worüber?
Für ein QM-Gebiet arbeitet ein dreiköpfiges Team in einem Vor-Ort-Büro. Die Mittel werden über drei Fonds an das jeweilige Quartier ausgereicht:
• Aktionsfonds für kleinteilige ehrenamtliche Projekte der Bewohnerschaft (maximal 1500 Euro pro Projekt). Die Entscheidung, welche Projekte realisiert werden, trifft ein ehrenamtliches Anwohnergremium („Aktionsfonds-Jury“).
• Projektfonds für sozio-integrative Projekte. Abhängig von der Größe des Gebietes liegt er bei circa 200.000 bis 320.000 Euro pro Jahr. Ein gewählter Quartiersrat (hälftig aus Anwohnern und Institutionenvertretern zusammengesetzt) entscheidet über die Vergabe.
• Mittel für Baumaßnahmen haben keine Deckelung, die Bezirke schlagen Maßnahmen auf Basis sogenannter integrierter Handlungs- und Entwicklungskonzepte vor – in Abstimmung mit dem QM-Team und dem Quartiersrat.
rm
26.10.2021