Viele Mieter haben große Angst vor einer Kündigung wegen Eigenbedarf, vor allem wenn ihr Haus verkauft oder in Eigentumswohnungen umgewandelt wird. Doch der vage Hinweis des Vermieters, er brauche die Wohnung für seine Großtante, reicht zum Glück nicht aus. Zwar hat sich der Kündigungsschutz bei Eigenbedarf in den letzten Jahren immer weiter verschlechtert. Selbst 80-Jährige, die schon seit 40 Jahren in einer Wohnung leben, sind nicht mehr automatisch vor einem Rausschmiss gefeit. Dennoch muss man seine Wohnung nicht kampflos aufgeben. Mit Hilfe einer guten Rechtsberatung kann es in vielen Fällen gelingen, die Kündigung abzuwehren oder wenigstens eine Abfindung herauszuschlagen.
Die meisten Eigenbedarfskündigungen, weiß man beim Berliner Mieterverein (BMV), sind vorgetäuscht, sei es, weil der Vermieter einen unbequemen Mieter loswerden will oder weil die Wohnung teuer verkauft werden soll. Ein solches Vorgehen des Vermieters ist deshalb üblich, weil er, um einem vertragstreuen Mieter zu kündigen, nach dem Gesetz ein berechtigtes Interesse haben muss. Und da gibt es neben dem weitaus selteneren Fall einer Hinderung der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung nur die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung. Die ist immer dann möglich, wenn der Vermieter die Wohnung für sich selber, seine Familienangehörigen (zum Beispiel Kinder, Eltern, Geschwister) oder Haushaltsangehörigen (zum Beispiel eine Pflegekraft) benötigt (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Ausdrücklich heißt es im Gesetz jedoch, dass der Vermieter vernünftige und nachvollziehbare Gründe angeben muss. Er muss im Kündigungsschreiben nicht nur angeben, für wen er die Wohnung beansprucht, sondern auch den konkreten Sachverhalt schildern, warum die Mieterwohnung benötigt wird.
Zu pauschal geht nicht durch
Und das stellt sich so mancher Vermieter einfacher vor, als es ist. So wurde in einem Fall Mitgliedern des Berliner Mietervereins gekündigt, weil der Vermieter seine gesundheitlich schwer angeschlagenen Eltern unterbringen wollte – grundsätzlich ein durchaus nachvollziehbarer Grund. Trotzdem konnte die Räumungsklage gegen die Mieter erfolgreich abgewehrt werden (AG Wedding, 20 C 111/2005). Zum einen, so das Amtsgericht Wedding, gehe aus dem Kündigungsschreiben des Vermieterehepaars nicht einmal hervor, für welches Elternpaar die Wohnung überhaupt benötigt wird. Zum anderen fehlten Angaben über Größe, Lage und Zuschnitt des bisherigen Wohnraums der Eltern. Der pauschale Verweis auf das Alter und den Grad der Behinderung reichten nicht aus, um den Einzugswunsch nachvollziehbar darzulegen, so das Gericht. Auch die Argumentation, die Eltern könnten sich ihre Mietwohnung nicht mehr leisten, überzeugte das Gericht nicht, weil die finanzielle Situation und die Mietbelastung nicht näher erläutert worden waren.
Ob der Vermieter vernünftige Gründe hat oder nicht, wird bei Eigenbedarfsstreitigkeiten vor Gericht also genau geprüft. Nicht akzeptabel kann es beispielsweise sein,
- wenn der Vermieter seine gehbehinderte Mutter in einer Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug unterbringen will (LG Berlin WM 90, 25),
- wenn der Grund für den Eigenbedarf schon bei Vertragsabschluss vorlag oder absehbar war,
- wenn im Haus eine andere, gleichwertige Wohnung frei ist, auf die der Vermieter zurückgreifen könnte,
- wenn der Vermieter es versäumt hat, dem gekündigten Mieter eine andere frei werdende Wohnung im Haus anzubieten (der Vermieter hat eine solche Anbietpflicht bis zum Ende der Kündigungszeit!),
- wenn der Vermieter die Mieterwohnung nur zu gelegentlichen Besuchen nutzen will oder sie nur für eine befristete Zeit braucht,
- wenn der Vermieter einen weit überhöhten Wohnbedarf geltend macht, zum Beispiel wenn der 33-jährige, einkommensschwache Sohn in ein 134 Quadratmeter großes Einfamilienhaus ziehen will (LG Berlin, WM 90, 23).
Aber Vorsicht! Grundsätzlich kann der Vermieter auch für sich allein eine Fünfzimmerwohnung beanspruchen. Es kommt immer darauf an, wie das im konkreten Einzelfall begründet wird.
In vielen Fällen ist die Eigenbedarfskündigungen willkürlich, rechtsmissbräuchlich, treuwidrig oder zweckverfehlend – und damit als unwirksam zurückzuweisen.
Beim Berliner Mieterverein hat man es sehr häufig mit vorgetäuschtem Eigenbedarf zu tun. Oft geht es in Wahrheit darum, einen unliebsamen Mieter loszuwerden, der vielleicht schon seit Jahren wegen Betriebskostenabrechnungen mit dem Vermieter im Clinch liegt. Besonders gefährdet sind auch Mieter, deren Wohnung umgewandelt wird. Gerade weil der Grundsatz gilt „Kauf bricht nicht Miete“ und weil es besondere Kündigungssperrfristen gibt, schieben viele Vermieter Eigenbedarf vor. Eine leere Wohnung verkauft sich schließlich besser als eine vermietete. Solche Tricksereien aufzudecken, ist nicht einfach und erfordert mitunter detektivisches Gespür.
Denkbarer Weg: die Abfindung
Im Falle eines gekündigten Mieters aus Neukölln bedeutete dies: ins Grundbuch schauen, Meldeadressen überprüfen und einiges mehr, was hier nicht verraten werden soll. Zwar ist Ulrich Barkow inzwischen ausgezogen und hat sich auf eine Abfindung in Höhe von 3000 Euro eingelassen. Dennoch will er die Sache nicht auf sich beruhen lassen: „Ich wollte nicht raus, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten, ständig Beleidigungen und Beschimpfungen ausgesetzt zu sein.“ Sein Vermieter, der auf dem gleichen Grundstück wohnt, hatte ihm die Wohnung gekündigt, weil er seinen Sohn dort unterbringen wollte. Angeblich leidet der wegen der Trennung von der Freundin seit zwei Jahren an Depressionen und braucht die Nähe seiner Familie. Auf ihn, so der Mieter, wirke der 30-Jährige recht fröhlich und selbstsicher. Dazu kommt, dass auch die Tochter des Vermieters im Haus eine Wohnung hat, sich berufsbedingt aber die Woche über gar nicht in Berlin aufhält, wie der Mieter durch eigene Recherchen herausfand. Der Sohn könnte ja in der Wohnung seiner Schwester unterkommen, argumentierte die BMV-Rechtsberaterin Marlis Lau. Als sich Barkow weigerte, die Wohnung zu räumen, reagierte der Vermieter ungehalten. „Ich wurde lautstark als arbeitsloses Gesocks beschimpft, auch vor Nachbarn hat er mich denunziert“, berichtet der empörte Mieter.
Dass er dennoch eigentlich auf keinen Fall ausziehen wollte, hat einen besonderen Grund: Seine Wohnung hatte er möbliert angemietet, von der Kaffeemaschine bis zum Teelöffel war alles da. Als Arbeitsloser wäre es ihm nicht möglich gewesen, eine komplette Neuausstattung zu bezahlen. Marlis Lau riet ihm daher zu einer Aufhebungsvereinbarung: „Ob unser Widerspruch vor Gericht durchgegangen wäre, ist unsicher, außerdem war das Mietverhältnis in diesem Fall so zerrüttet, dass ein weiteres Wohnen wenig Sinn gemacht hätte.“
Ulrich Barkows ehemalige Wohnung steht seit seinem Auszug leer. Möglicherweise, so vermutet der Mieter, soll sie mit einer anderen Wohnung zusammengelegt werden. „Wenn ich dahinter komme, dass mich mein Vermieter betrogen hat, wird das Konsequenzen haben“, betont er. Der Schaden, der ihm durch den erzwungenen Wohnungswechsel entstanden ist, sei schließlich enorm. Nach Abzug von Kaution und Umzugskosten bleibt von den 3000 Euro nicht mehr viel übrig.
Grundsätzlich steht Mietern ein Schadensersatzanspruch zu, wenn sich vor Gericht herausstellt, dass der Eigenbedarf vorgetäuscht war. Das können Umzugs-, Makler- und Renovierungskosten sein, aber auch höhere Mietausgaben für die neue Wohnung. De facto sind solche Ansprüche nur sehr schwer durchzusetzen, weil die Beweislast beim Mieter liegt. Wurde eine Aufhebungsvereinbarung getroffen, sind Schadensersatzansprüche sowieso ausgeschlossen.
Keine Chance bei offenkundiger Täuschung
Fast schon Routine im Abwehren von Eigenbedarfskündigungen hat eine Familie, die eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus angemietet hat. Seit 1996 verschickt ihr Vermieter regelmäßig Kündigungen. Mal braucht er die Wohnung angeblich für sich selber, mal für die Tochter oder die Enkelin. Bisher hat die Familie die an den Haaren herbeigezogenen Räumungsklagen immer abwehren können. „Selbst die Richterin grinst schon, unser Vermieter ist bei Gericht bestens bekannt“, berichtet die Mieterin. Der wahre Grund, warum der Eigentümer sie loswerden will, ist zum einen die niedrige Miete. Außerdem soll das Haus verkauft werden – so nachzulesen in einem Makler-Exposé, in dem das Grundstück als „demnächst frei werdend“ feilgeboten wurde. Noch während der Prozess lief, stand zudem ein riesiges Schild „Zu verkaufen“ im Garten. „Ich habe wirklich selten erlebt, dass sich ein Vermieter so ungeschickt verhalten hat“, sagt Rechtsanwalt Alexander Ziemann, der die Mieter vertreten
hat. Kein Wunder also, dass das Gericht jedes Mal Zweifel hatte, ob tatsächlich ein ernsthafter Wille besteht, die Tochter einziehen zu lassen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, so heißt es in der Urteilsbegründung, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben wurde, um das Haus besser verkaufen zu können. Die Familie sieht also weiteren Räumungsklagen relativ gelassen entgegen – und Rechtsanwalt Ziemann hat Strafanzeige wegen Prozessbetrug gestellt.
Der Einzelfall bestimmt die Taktik
Doch was ist nun, wenn das Gericht dem Vermieter tatsächlich ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses zugesteht? Auch das bedeutet nicht unbedingt, dass der Mieter ausziehen muss. Er kann der Kündigung nämlich widersprechen, wenn dies für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Insbesondere Krankheit, hohes Alter, lange Wohndauer oder die Schwierigkeit, eine andere Wohnung zu finden, können als Härtegrund anerkannt werden. Wichtig: Um sich wirksam auf die so genannte Härteklausel berufen zu können, muss man nachweisen, dass man sich aktiv um anderen Wohnraum bemüht hat. Das heißt, man sollte Anzeigen schalten, einen Makler beauftragen etcetera – und dies auch nachweisen können. Vor Gericht findet dann eine Abwägung statt: auf der einen Seite das Eigentumsrecht des Vermieters und sein Interesse, das Mietverhältnis zu beenden, auf der anderen Seite das grundgesetzlich geschützte Besitzrecht des Mieters. Das Bundesverfassungsgericht hat 1993 in einem viel beachteten Urteil das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung gleichgestellt mit dem Eigentumsrecht des Vermieters (1 BvR 208/93).
Theoretisch herrscht vor Gericht also „Waffengleichheit“ und beide Interessen stehen sich gleichberechtigt gegenüber. De facto, so BMV-Rechtsexperte Frank Maciejewski, haben die Gerichte die Anforderungen an den Mieter in den vergangenen Jahren extrem hochgeschraubt: „Härtegründe werden kaum noch anerkannt, die Berliner Rechtsprechung verlangt in der Regel, dass mehrere Gründe gleichzeitig vorliegen.“ Mit Verweis auf den angeblich so entspannten Wohnungsmarkt wird selbst Schwerbehinderten oder Familien mit Kindern zugemutet, sich eine andere Wohnung zu suchen – wobei man die Suche auf das gesamte Stadtgebiet ausdehnen muss.
Vor Gericht kommt es letztendlich entscheidend darauf an, wie gut beide Seiten das begründen und durch Gutachten, Atteste und so weiter stützen. Sich allein auf die lange Wohndauer oder auf die Verwurzelung im Kiez zu berufen, bringt gar nichts mehr. Hier spiegeln sich auch gesellschaftliche Wandlungen nieder. Heutzutage wird im Arbeits- und Mieterleben Mobilität erwartet. Die meisten Chancen zum Bleiben haben alte Menschen, die zudem an einer schweren Erkrankung leiden. „Das Recht des Mieters auf körperliche Unversehrtheit wiegt schwerer als das Eigentumsinteresse des Vermieters“, erklärt Frank Maciejewski. Er rät betroffenen Mietern: Nerven behalten und sich gut anwaltlich vertreten lassen. Welche Taktik am besten geeignet ist, ob man auf Zeit spielt oder ob man versucht, eine Abfindung auszuhandeln, kommt auf den Einzelfall an. „Wenn man einem Vermieter, der die Wohnung so schnell wie möglich frei haben will, signalisiert, dass man auf jeden Fall durch alle Instanzen geht, steigert das natürlich die Bereitschaft des Vermieters, eine Abfindung zu zahlen“, so Maciejewski. Rechtsschutzversicherte Mitglieder des Mietervereins haben hier zweifelsohne die besten Karten.
Birgit Leiß
MieterMagazin: Welche Chancen hat ein Mieter, die Eigenbedarfskündigung wegen sozialer Härtegründe abzuwehren?
Emmerich: Wenn der Vermieter seine Gründe schlüssig darlegt und keine offensichtlichen Fehler macht, ist das nach meiner Erfahrung sehr schwierig. Selbst eine Suizidgefahr muss einer Kündigung nicht zwangsläufig entgegenstehen. Das wird vor Gericht ganz genau geprüft. Auch Alter, lange Wohndauer oder Krankheit sind keine Garantie. Die Abwägung endet leider in der Regel bis auf wenige Extremfälle zu Lasten des Mieters.
MieterMagazin: Wie sieht es bei vorgetäuschtem Eigenbedarf aus?
Emmerich: Das Problem ist hier die Beweislast, die beim Mieter liegt. Auch Klagen auf Schadensersatz wegen vorgetäuschtem Eigenbedarf sind fast nie erfolgreich, weil die Kausalität sehr schwer nachzuweisen ist. Die Richter gestehen dem Vermieter zu, dass sich sein Entschluss, in die betreffende Wohnung zu ziehen, innerhalb von Tagen ändern kann, beispielsweise weil er die Frau seines Lebens getroffen hat und nun andere Pläne hat. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich sogar den Eigenbedarf eines Eigentümers anerkannt, der die Wohnung nach erfolgreicher Räumungsklage zweieinhalb Jahre lang umbauen ließ und sie dann neu vermietet hat. Das Gericht war der Auffassung, dass sich zwischen der Kündigung und dem Entschluss, doch nicht einzuziehen, seine Lebensumstände gravierend geändert haben können und dass er daher nicht gelogen haben muss.
MieterMagazin: Heißt das, man ist völlig chancenlos? Was empfehlen Sie betroffenen Mietern?
Emmerich: Am ehesten ist eine Eigenbedarfskündigung durch Formalien zu knacken, beispielsweise wenn im Kündigungsschreiben vergessen wurde, der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu widersprechen. Besteht der Verdacht, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben ist, empfehle ich Mietern, im Leben des Vermieters nachzubohren und so viele Informationen wie möglich einzuholen. Wenn die Wohnung zum Beispiel für den Sohn vorgesehen ist, kann man ihn über Dritte in ein Gespräch verwickeln und erfährt auf diese Weise möglicherweise, dass der gar nicht daran denkt, in die Wohnung zu ziehen. Soll die Wohnung vermutlich verkauft werden, sollte man in Tageszeitungen und im Internet recherchieren. Manche Mieter beauftragen sogar einen Detektiv. Ich selber habe mich vor einigen Jahren mal als Student auf Zimmersuche ausgegeben. Der Vermieter hatte die Wohnung wegen angeblichem Eigenbedarf gekündigt, in Wirklichkeit wollte er die einzelnen Zimmer teuer an Studenten vermieten. Nachdem ich von ihm am Telefon erfahren hatte, dass das Zimmer noch frei sei, konnten wir die Kündigung erfolgreich abwehren.
Das Interview führte MieterMagazin-Autorin Birgit Leiß.
Eine Eigenbedarfskündigung ist grundsätzlich ausgeschlossen:
- wenn der Vermieter keine natürliche, sondern eine so genannte juristische Person ist (zum Beispiel Wohnungsbaugesellschaft, GmbH, Genossenschaft, Aktiengesellschaft, Kirche, etcetera),
- bei Zeitmietverträgen,
- wenn im Mietvertrag Entsprechendes vereinbart wurde, also ein Verzicht auf die Eigenbedarfskündigung oder ein lebenslanges Wohnrecht (kommt gelegentlich vor, zum Beispiel bei ehemals bundes- und landeseigenen Wohnungen, die verkauft wurden).
bl
MieterMagazin 12/05
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Interview: “ Nachbohren im Leben
des Vermieters“
alle Illustrationen: Eike Marcus
Christian Emmerich ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Mietrecht
Foto: Christian Muhrbeck
29.03.2022