In Waldesnähe wohnen – das klingt idyllisch, nach guter Luft, einem Blick ins Grüne und vielen Freizeitmöglichkeiten. Es kommt noch besser: Forscher des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin-Dahlem haben herausgefunden, dass Stadtbewohner, die in der Nähe eines Waldes leben, vermutlich besser mit Stress umgehen können.
Das Wissenschaftler-Team um die Psychologin Simone Kühn fand in einer im Herbst vorgestellten Studie heraus, dass ein Teil unseres Gehirns – die sogenannte Amygdala, häufig auch als Mandelkern bezeichnet – bei Waldanwohnern physiologisch gesünder ist als bei Menschen, die anderswo leben. Diese kleine Hirnregion ist für Stressverarbeitung zuständig, aber auch für den Umgang mit Furcht. Die Forscher leiten aus ihren Studienergebnissen ab, dass Menschen, die nahe am Wald leben, besser mit Stress umgehen können als andere. Dies gilt unabhängig vom Bildungsabschluss oder der Höhe des Einkommens. An der Studie haben 341 Berlinerinnen und Berliner zwischen 61 und 82 Jahren teilgenommen.
Interessant dabei ist: Der festgestellte Effekt gilt nur für Waldgebiete. Nahegelegene Parks, Gewässer oder Brachland scheinen keine Auswirkung auf unsere Hirngesundheit zu haben. Noch können die Forscher jedoch nicht ganz ausschließen, dass der Kausalzusammenhang umgekehrt verläuft: Es könnte auch sein, dass es Menschen mit gesünderer Amygdala eher in die Nähe von Waldgebiete zieht. Hier sind weitere Untersuchungen notwendig.
Die Erkenntnis, dass die Umwelt Struktur und Funktion des Gehirns formen kann, ist nicht neu. 2011 hatte eine gemeinsam vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und der McGill University in Montreal durchgeführte Studie herausgefunden, dass bei Menschen, die in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern leben, die Amygdala als „Furchtzentrale“ aktiver ist als bei Landbewohnern.
Fest steht auch, dass Städter ein deutlich erhöhtes Risiko haben, psychisch zu erkranken. So treten in Städten 39 Prozent mehr Depressionen und 21 Prozent mehr Angststörungen auf als auf dem Land. Wer in einer Stadt geboren und aufgewachsen ist, hat zudem ein doppelt so hohes Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Warum die psychische Gesundheit in größeren Städten stärker gefährdet ist als in ländlichen Regionen, ist noch nicht ganz klar – als mögliche Verursacher kommen Lärm, Luftverschmutzung und räumliche Enge in Betracht. In jüngeren Studien spielen auch soziale Faktoren eine immer größere Rolle.
Die Folgen der Verstädterung verstehen lernen
Dass die Stadt unser Gehirn nicht nur negativ beeinflussen kann, sondern auch positiv, zeigt die Studie des Max-Planck-Instituts. „Uns interessiert, welche Umweltbedingungen sich positiv auf die Hirnentwicklung auswirken. Von Studien unter Landbewohnern wissen wir, dass naturnahes Leben gesundheitsfördernd für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden ist. So haben wir uns angeschaut, wie es sich bei Städtern verhält“, sagt Studienautorin Kühn. Die Erkenntnisse könnten auch relevant für die Stadtentwicklung sein, meint das Forscherteam.
Denn bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten – Tendenz steigend. Bis 2050 sollen es 70 Prozent sein, prognostizieren die Vereinten Nationen (UN). Berlin soll laut Senat bis 2030 um 266.000 Menschen wachsen, eine Zunahme von rund 7,5 Prozent.
Vor diesem Hintergrund ist es von großem Interesse, zu verstehen, welche Umweltfaktoren unsere mentale Gesundheit erhalten und damit ein gesundes (Zusammen-)Leben in der Stadt ermöglichen. Der Wald könnte ein erster Anhaltspunkt sein.
Katharina Buri
Die Berliner Forsten
Berlin ist grün: Nahezu ein Fünftel der Stadtfläche – 18,4 Prozent oder 16.364 Hektar – sind mit Wald bedeckt. Weitere rund 13.000 Hektar stehen auf Brandenburger Boden, gehören aber ebenfalls zu den Berliner Forsten, der bereits 1909 gegründeten Forstverwaltung Berlins. Der Grunewald trägt den Wald schon im Namen und bildet eines der größten Waldgebiete. Auch im Nordwesten finden sich mit dem Tegeler Forst und dem Spandauer Forst, im Südosten rund um den Müggelsee große Waldgebiete. Gut, dass wir so viel Wald haben, denn er verbessert unser Stadtklima, filtert und speichert Wasser und bildet einen wichtigen Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Nicht zuletzt bietet er zahlreiche Freizeitmöglichkeiten.
Wer jetzt Lust bekommen hat, mal wieder unter Baumwipfeln zu wandeln, für den haben die Berliner Forsten zahlreiche Wanderungen und Spaziergänge in Wäldern in und um Berlin zusammengestellt – jeweils mit detaillierter Beschreibung, Karte, Bildern sowie An- und Abfahrtsmöglichkeiten.
www.berlin.de/senuvk/forsten/ausflugstipps
kb
Mehr Details und die Studie im englischen Originaltext
(veröffentlicht in der Zeitschrift Nature):
www.mpg.de/11547867/waldrand-stressverarbeitung-grossstaedter
07.07.2019