Nach dem ersten mehrstöckigen Wohnhaus aus Holz weltweit nun die größte Holzbausiedlung und das höchste Holzhochhaus Europas – Berlin verfolgt ein ambitioniertes Ziel: Bauen mit Holz soll selbstverständlich werden. Der Rohstoff hat eine gute Ökobilanz, ist stabil und lässt sich gut verarbeiten. Und: Er wächst buchstäblich vor der Haustür. Allerdings müssen noch viele Voraussetzungen geschaffen und Herausforderungen gemeistert werden, damit sich die Holzbauweise im Mehrfamilien-Wohnungsbau etabliert.
Wo noch vor zwei Jahren Flugzeuge ihr Fahrwerk ausgefahren haben – zwischen dem Reinickendorfer Kurt-Schumacher-Platz und der Landebahn des Flughafens Tegel – steht ein klimapolitisch ambitioniertes und bautechnisch innovatives Ziel auf der Agenda: Das geplante Schumacher Quartier mit über 5000 Wohnungen für mehr als 10.000 Menschen ist nicht nur eines der größten Wohnungsbauprojekte der nächsten Jahre, es wird auch weltweit das erste überwiegend in Holzbauweise errichtete Wohnviertel dieser Dimension.
„Mit dem Pilotprojekt Schumacher Quartier betreten wir in vielem Neuland“, erklärt Gudrun Sack, Geschäftsführerin der Tegel Projekt GmbH, einer Gesellschaft, die das Areal des ehemaligen Flughafens entwickelt. „Vor allem aber soll hier eine Wende beim Bauen eingeleitet werden.“ Dessen Belastungen für das globale Klima sind in den zurückliegenden Jahren immer deutlicher wahrgenommen worden: So braucht es zum einen für die Herstellung von Beton, dem wichtigsten Baustoff auf der Welt, geeigneten Sand. Die Ressource ist knapp, wird teuer gehandelt, um die ganze Welt transportiert und ihr Abbau ist in Ländern wie Malaysia, Thailand, Kambodscha und vor allem Indonesien für dramatische Umweltschäden verantwortlich. Zum anderen verursacht die Herstellung von Zement, dem Bindemittel für Beton, weltweit sechs bis sieben Prozent der CO2-Emissionen, deutlich mehr als der gesamte Flugverkehr. Das liegt am Brennen von Kalk, einem Produktionsvorgang, bei dem gebundenes CO2 freigesetzt wird. Schließlich ist auch das Formen von Stahl ein energieintensiver und damit klimabelastender Prozess.
Holz hilft die Klimaziele zu erreichen
Im Schumacher Quartier dagegen soll – nach den Plänen der Entwickler – nachhaltig gebaut werden. Holz wird in Konstruktion und Fassade eines jeden Gebäudes mindestens einen Anteil von 50 Prozent einnehmen. Denn Holz ist nicht nur ein nachwachsender Rohstoff, der in seiner Verarbeitung keine Treibhausgasemissionen freisetzt, er verwandelt ein Gebäude auch in einen Speicher, der das vom Baum während seines jahrzehntelangen Wachstums aufgenommene und eingelagerte CO2 dauerhaft festhält.
Das Schumacher Quartier wird somit buchstäblich auch zu einem gewaltigen CO2-Depot. Der Plan für das neue Wohngebiet sieht vor allem sechs- bis achtgeschossige Wohnhäuser vor, aber auch mehrere „Hochpunkte“ mit bis zu 18 Stockwerken. „Es gibt durchaus Erfahrungen im Holzbau – aber in einem so großen Stadtquartier wie hier ist der Rohstoff bisher noch nicht eingesetzt worden“, erklärt die Architektin Gudrun Sack. Das Material war mit der Industrialisierung und den rasant wachsenden Städten nach und nach von den großen Baustellen verschwunden – verdrängt vom Mauerwerk und später von den in Masse produzierten Baustoffen Stahl und Beton.
Als die Architekten Tom Kaden und Tom Klingbeil 2007 in der Esmarchstraße in Prenzlauer Berg im Auftrag einer Baugruppe ein siebengeschossiges Mehrfamilienhaus in reiner Holzbauweise planten, war das ein Neuanfang – und eine Pionierleistung in gestalterischer und bautechnischer Hinsicht. Denn nicht nur die Decken und Fußböden, sondern auch Tragwerk und Wände wurden aus Holz geschaffen. Dafür musste die Landesbauordnung durch ergänzende Sicherheitsmaßnahmen in Bezug auf den Brandschutz angepasst werden, denn sie erlaubte bis dahin lediglich Holzbauten mit bis zu fünf Vollgeschossen. Seitdem hat der Holzbau in der Stadt an Bedeutung gewonnen.
2014 entstand das Projekt „Spreefeld“. Eine Baugruppe ließ an der Grenze zwischen Mitte und Friedrichshain drei baugleiche Holz-Beton-Hybridgebäude errichten, in denen sich 63 individuell gestaltete Wohnungen, eine Kita und eine Holz-Werkstatt befinden.
„Nach vielen Jahren, in denen im städtischen Kontext vor allem Beton, Glas und Stahl das Erscheinungsbild dominierten, nimmt Holz nun zusehends mehr Raum ein“, hatte die damalige Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher bei der Verleihung des ersten Berliner Holzpreises 2019 erklärt. In der Kategorie Neubau ging die Auszeichnung an ein Projekt der Wohnungsgenossenschaft „Am Ostseeplatz“. Unter dem Motto „Wohnen und Werken im Wedding“ hatten die Architekten von „schäferwenningerprojekt GmbH“ ein siebengeschossiges Gebäude mit 98 Wohneinheiten und mit sieben Gewerbeeinheiten entworfen. Alle tragenden Bauteile des Wohnhauses über dem Erdgeschoss bestanden aus Holz, insbesondere auch der Aufzugsschacht – ein Novum. Möglich war das nur, weil das Abgeordnetenhaus im März 2018 einen weiteren Beschluss zum Holzbau fasste. Das vereinfachte die Genehmigung von Gebäuden mit tragenden Teilen aus Holz. Im Zentrum stand wiederum der Brandschutz: Bisher mussten bei mehrgeschossigen Holzbauten aufwendige Ausnahmeregelungen mit den unteren Bauaufsichtsbehörden und der Feuerwehr getroffen werden. Nun legte die Bauordnung fest, dass „…tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, in Holzbauweise zulässig (sind), wenn die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit gewährleistet wird.“ Das war quasi die Lizenz, mit Holz in die Höhe zu bauen. Berlin sei, was den Holzbau angeht, schon immer fortschrittlich gewesen, lobte der Bund Deutscher Zimmermeister diese Entscheidung.
Tatsächlich hatte sich die rot-rot-grüne Koalition schon 2016 klar zum „Bauen mit Holz“ bekannt und geplant, auch Schulen und Kitas auf diese Weise nachhaltig und ökologisch zu errichten. Mit den vorausschauenden Verwaltungsentscheidungen wurden nun mehr Architekten und Bauherren ermutigt, den alternativen Rohstoff häufiger im Geschoss- und Mietwohnungsbau einzusetzen. War Holz früher hauptsächlich wegen seiner Leichtigkeit für Dachaufbauten verwendet worden, so entwarfen nun Architekten das ganze Wohngebäude aus dem natürlichen Rohstoff – auch städtische Wohnungsbauunternehmen. Die Howoge begann 2018 ihr Projekt „Urbaner Holzbau“ und errichtete in der Adlershofer Newtonstraße drei Punkthäuser in Holzhybridbauweise mit 42 Wohnungen. In den Johannisgärten in Adlershof wurden 2021 sechs weitere Holzbauten bezugsfertig.
Dass mit dem leichten Material auch in die Höhe gebaut werden kann, hatte man bereits anderswo bewiesen: Das Hochhaus im Wiener Stadtteil Aspern misst 84 Meter in der Höhe, und hat einen äußeren Holzanteil ab dem Erdgeschoss von 75 Prozent. Nun gibt Berlin aber noch eins drauf und plant am Anhalter Bahnhof Deutschlands höchstes Holzgebäude: 100 Meter vom Sockel bis zum Dach. Dieses Hochhaus ist „ein herausragendes Projekt nachhaltiger Architektur und ein Modellprojekt für Bauen im Klimawandel“, wie der baupolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Andreas Otto, betont. Es soll die für Berlin typische Mischung aus Gewerbe und Wohnen einziehen – und Menschen mit niedrigem Einkommen Mieten ab 6,50 Euro kalt anbieten.
Holz hat gute Wärmedämmeigenschaften
Der uralte Baustoff erlebt also eine Renaissance. Neben seiner ausgezeichneten Ökobilanz besitzt er Stabilität und Festigkeit. Und: Holz erreicht aufgrund seiner guten Wärmeeigenschaften schon mit dünnen Dämmstärken erstaunliche Energiestandards. Damit können Wände deutlich schlanker werden und vergrößern so die Nutzfläche. Weil Holz Feuchtigkeit aufnehmen und auch wieder abgeben kann, sorgt das Material zudem für ein angenehmes Raumklima.
In hohen Fertigstellungszahlen schlagen sich diese positiven Eigenschaften allerdings noch nicht nieder: „Der Naturrohstoff spielt beim Wohnungsbau noch eine relativ geringe Rolle“, sagt Jörg Lippert, Leiter des Bereichs Technik beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Das liegt nach wie vor am Brandschutz. Viele Verwaltungen gingen in puncto Holz immer noch auf „Nummer doppeltsicher“, so Lippert. Und das, obwohl es inzwischen viele Untersuchungen, auch von der Feuerwehr, gibt, die unterschiedliche Baumaterialien im Brandfall verglichen und festgestellt haben, dass Holzhäuser lange ihre Stabilität und Festigkeit bewahren, während sich beispielsweise Konstrukte aus Stahl bei großer Hitze relativ schnell verformen.“ Werde Bauholz vorschriftgemäß eingesetzt, sei ein Feuer für ein Holzhaus das geringste Problem, so Lippert.
Feuchtigkeit verträgt der Baustoff nicht
Seine Tücken hat Holz aber auch. Um den notwendigen Schallschutz zu gewährleisten, muss der leichte Baustoff wirkungsvoll mit anderen Materialien kombiniert werden. Das ist in Mehrfamilienwohnhäusern besonders wichtig, wo Menschen nahe neben-, über- und untereinander leben. „Tatsächlich sind Holzbauten im mehrstöckigen Wohnungsbau immer Hybridbauten“, erklärt Jörg Lippert. Das heißt auch, es kann nicht vollständig auf Beton verzichtet werden. So lassen zwar inzwischen einige Bauordnungen Holzwände auch in Treppenhäusern zu – die Treppe selbst muss jedoch aus Brandschutzgründen immer aus Beton hergestellt werden. Auch alle Bauten ins feuchte Erdreich hinein – Fundamente, Keller, Tiefgarage – bestehen weiterhin aus Beton und Stahl, denn Holz würde dort schnell verrotten. Es muss vor eindringender Nässe geschützt werden. Das gilt auch für Dächer, Fassaden – und erst recht für die einzelnen Wohnungen, in denen Wasserschäden sonst zu einem ernsthaften Problem werden könnten.
Nicht nur Kompetenz am Bau ist erforderlich, es braucht auch geschulte Dienstleister und Handwerker, so der technische Leiter des BBU. Elektriker oder Sanitär- und Heizungsfachleute, auch Hausmeister müssen sich auf Installationen, Reparaturen und Wartungsarbeiten in Holzbauten verstehen. Instandhaltungs- und Renovierungsmaßnahmen könnten aufwendiger und damit teurer werden als am konventionellen Bau. Lippert: „Die Renaissance des Holzbaus ist zu begrüßen, aber um den Einsatz deutlich auszuweiten müssen die Rahmenbedingungen optimiert werden.“
Nicht zuletzt muss sich auch das Nutzerverhalten ändern. Eine Holzwand kann nicht immer aufs Neue angebohrt werden. Streichen und tapezieren ist nur da möglich, wo die Holzinnenwände mit Rigips verkleidet sind. „Auch das ästhetische Empfinden der Bewohner spielt eine Rolle“, ergänzt die Architektin Sack, die selbst seit über 20 Jahren in einem Holzhaus lebt. „Viele erwarten perfekte Oberflächen und weiße Wände – aber Holz altert, verwittert, zeigt mit den Jahren Gebrauchsspuren, die ich akzeptieren muss“ – nicht nur als Mieter, sondern ebenso als Vermieter. Mehr Holz im Wohnungsbau erfordere deshalb auch eine Anpassung des Mietrechts an diese neue Realität.
Auch Geld spielt eine Rolle: Damit der Holzbau die exklusive Sparte verlässt, muss Wohnen in den nachhaltig gebauten Häusern bezahlbar sein – und sich für Vermieter dennoch bezahlt machen. Im Schumacher Quartier gehört der Boden dem Land Berlin, ist für gemeinwohlorientiertes Bauen vorgesehen und wird damit an städtische Wohnungsbaugesellschaften, Baugenossenschaften und Baugruppen vergeben. Dennoch sind diese erst einmal mit schätzungsweise zehn Prozent höheren Kosten als beim herkömmlichen Bauen konfrontiert. Das liegt nicht zuletzt an den gestiegenen Materialkosten: Es sind zwar auch die Preise für Beton, Stahl und Kunststoff gestiegen, aber den größten Sprung haben Holzprodukte gemacht. Hier gingen die Preise im letzten Jahr um 120 Prozent nach oben.
Quartiersentwicklerin Gudrun Sack hält dagegen: „Wenn ich den CO2-Ausstoß einpreise, sieht die Kosten-Nutzen-Rechnung ganz anders aus.“ Außerdem hole man das Material nicht von weither. 22.000 Festmeter Kiefernholz pro Jahr werden zehn Jahre lang für die Errichtung des neuen Wohngebietes gebraucht. Sie sollen aus den Berliner Forsten kommen. Gleichzeitig will man den Holzeinschlag nutzen, um Mischwald nachzupflanzen und so den Wald klimagerecht umzubauen.
Die Wiederbelebung der Bauhütte
Die Verarbeitung des Baumaterials soll im Berliner Umland erfolgen. Ein Berlin-Brandenburgisches-Holzbau-Cluster soll entstehen – Verarbeitungsstrecken vom Sägewerk bis zur Fertigung der Module, die auf die Baustelle geliefert werden. Das verkürzt die Transportwege, spart Kosten und fördert eine enge Verknüpfung von innovativen Architekturkonzepten, nachhaltiger Stadtentwicklung und effektiver Fertigung. Nach einem Konzept des Fraunhofer-Instituts wurde dazu in Tegel eine „Bauhütte 4.0“ gegründet, die sich bewusst an der alten Idee der Dombauhütten des europäischen Kathedralenbaus orientiert. Damals organisierten die in Werkstattverbänden zusammengefassten Handwerke gemeinsam die hochkomplexe Arbeit. Mit der Bauhütte 4.0 soll eine Ideenschmiede den gesamten Ablauf des urbanen Holzbaus im Blick haben – buchstäblich „vom Wald zur Stadt“.
Die Idee, im Raum Berlin-Brandenburg gemeinsam mit allen beteiligten Playern ein „Holzbau-Cluster des Nordens“ zu installieren, würde die Baukosten deutlich reduzieren. Würde zudem eine faire CO2-Besteuerung eingeführt, können die Preise für das konventionelle Bauen vom Holzbau eines Tages sogar unterboten werden. Das Schumacher Quartier würde so den Beweis antreten, dass mit Holz nicht nur energiesparender und umweltbewusster, sondern auch günstiger gebaut werden kann – und so tatsächlich eine Wende im Bauen einläuten.
Rosemarie Mieder
Vom Pfahlbau zur Hybridkonstruktion – die Geschichte von Holz als Baustoff
Holz ist eines der ältesten Baumaterialien der Menschheit. Schon aus der Jungsteinzeit, also vor über 5000 Jahren, wurden Pfahlbauten errichtet, wie Überreste belegen. Holz fiel beim Roden von Ackerflächen an, es war leicht und konnte gut verarbeitet werden. Bis in die Neuzeit hinein blieb es in Nord- und Mitteleuropa der wichtigste Baustoff. Es wurde etwa für Blockbauten genutzt, deren Wände sich mit Lehm und Flechtwerk verputzen beziehungsweise verkleiden ließen.
Der Fachwerkbau des Mittelalters stellte eine Revolution dar: Mit Pfosten und diagonalen Streben konnten schnell ganze Wände und Decken hergestellt und Gebäude ausgesteift werden. Auch das Wissen um den notwendigen Holzschutz ist damals entstanden. Seitdem nahm die Vielfalt der Verbindungen von Holz und anderen Materialien zu. Die Vorfertigung von Einzelteilen wurde möglich, die auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden mussten.
Erst mit dem 19. Jahrhundert, der Industrialisierung und dem Bau großer Städte wurde Holz nach und nach durch Mauerwerksbauten ersetzt. Aber noch lange steckte es im Innern der Häuser, nicht nur in Fenstern und Türen, sondern auch in Decken, Dach- und Treppenkonstruktionen. Die alten Berliner Mietshäuser sind ein Beweis dafür.
Noch einmal fand der Baustoff Aufmerksamkeit: In der Phase zwischen beiden Weltkriegen. Der Grund war ein eklatanter Rohstoffmangel. In dieser Zeit wurden wichtige Patente angemeldet, wie etwa die Holz-Beton-Verbunddecke. Aber erst über 50 Jahre später fand Holz nach und nach zurück auf die Baustellen – auch, weil es nun Hybridkonstruktionen aus Holz(-werkstoffen), Beton und Stahl gab.
rm
https://holzbauatlas.berlin/
01.12.2021