Der Senat drängt auf die Bebauung des Tempelhofer Feldes. Nächstes Jahr soll dazu ein Planungswettbewerb für eine Randbebauung starten. Außerdem will er das Tempelhofer-Feld-Gesetz ändern, um mehr Geflüchteten-Unterkünfte aufzustellen. Die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ und die Opposition kritisieren die wiederkehrenden Versuche eines Zugriffs auf die Grünfläche, die nach einem Volksentscheid eigentlich per Gesetz vor einer Bebauung geschützt ist.
SPD und CDU haben ihre Niederlage nie verwunden. Am 25. Mai 2014 stimmten 64,3 Prozent der Berliner:innen in einem Volksentscheid für die Freihaltung des Tempelhofer Feldes und gegen die vom damaligen rot-schwarzen Senat geplante Randbebauung. Der Erhalt des 380 Hektar großen ehemaligen Flugfeldes ist seither Gesetz.
Nun bilden seit Mai CDU und SPD wieder eine Senatskoalition – diesmal in umgekehrter Gewichtung – und wollen prompt den Volksentscheid kippen und die Ränder des Feldes zur Bebauung freigeben. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Es bedarf angesichts der zugespitzten Wohnungsnot seit dem Volksentscheid 2014 einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes.“
Der Senat hat auch schon konkrete Vorstellungen: „Mit der Randbebauung sollen Wohnquartiere mit breiten sozialen Angeboten für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Stadtgesellschaft geschaffen werden.“ Dazu haben CDU und SPD einen internationalen städtebaulichen Wettbewerb vereinbart. Zum Tempelhofer Feld heißt es im Koalitionsvertrag abschließend: „Zu dieser Frage gesamtstädtischer Bedeutung ist die Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich.“ Soll es also eine neue Volksabstimmung geben? Die CDU hatte dies vor der Wahl gefordert.
Allerdings sieht die Berliner Verfassung keine Volksbefragung durch den Senat vor. Wenn es zu einem Volksentscheid kommen soll, müsste zunächst jemand ein Volksbegehren starten und in zwei Stufen die dafür nötigen Unterschriften sammeln.
Recht oder Respekt?
Die Initiative „100% Tempelhofer Feld“, die vor neun Jahren den Volksentscheid für das Tempelhofer-Feld-Gesetz gewonnen hat, wehrt sich gegen die neuen Angriffe: „Die Stadtgesellschaft hat vor dem Volksentscheid ausführlich über die Zukunft des Feldes und die Mietenprobleme der Stadt diskutiert. Beim Volksentscheid 2014 wurde dann eindeutig entschieden“, sagt Lisa Wiedekamm von der Initiative. Die Politik müsse das respektieren. „Soll so lange abgestimmt werden, bis das Ergebnis der CDU und der SPD passt? Diesem Plan werden wir eine klare Absage erteilen“, so Lisa Wiedekamm.
Rechtlich kann der Senat jederzeit das im Volksentscheid beschlossene Gesetz ändern – von Respekt vor der direkten Demokratie und dem Bürgerwillen würde das freilich nicht zeugen.
„Das Versprechen, der beabsichtigte Wohnungsbau würde die Mieten senken, war und ist trügerisch“, sagt die grüne Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger. Lisa Wiedekamm ergänzt: „Preiswerter Wohnraum würde auf dem Feld jedenfalls nicht entstehen, das brauchen wir uns nicht einreden lassen.“ Nach den aktuellen Vorgaben des „Kooperativen Baulandmodells“ hätten nur 30 Prozent der Wohnungen eine Einstiegsmiete von 7 Euro pro Quadratmeter, weitere 20 Prozent hätten anfangs eine Nettokaltmiete von 9,50 Euro. Diese Mieten dürfen alle zwei Jahre um 20 bis 30 Cent pro Quadratmeter angehoben werden. Nach 30 Jahren endet die Mietpreisbindung. Die übrigen 50 Prozent der Wohnungen könnten ohne Sozialbindungen errichtet werden. Das gilt auch, wenn hier wie angekündigt nur städtische Unternehmen sowie Genossenschaften bauen.
Erste Pflöcke eingeschlagen
Mit dem Doppelhaushalt für die Jahre 2024 und 2025 schlägt der Senat aber schon mal die ersten Pflöcke für die Bebauung ein: Für einen Städtebaulichen Wettbewerb Randbebauung Tempelhofer Feld, mit dem allerdings keine Auftragsversprechen verbunden werden sollen. „Geldverschwendung“ nennt das Tilmann Heuser, Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Das Vorhaben ist eine Shownummer, die in den nächsten 10 bis 20 Jahren keinen Beitrag zur Wohnraumversorgung leistet.“ Er fordert, für den Wohnungsbau bereits versiegelte Flächen zu nutzen. „Dieser Wahnsinn, dass immer nur auf Grünflächen gegangen wird, muss gestoppt werden.“
Die Grünen-Fraktion kritisiert den erneuten Angriff auf des Tempelhofer Feld als „durchsichtiges Ablenkungsmanöver“, da in Berlin schon der Bau von 60.000 Wohnungen genehmigt, aber nicht begonnen wurde. Der Wohnungsbau habe kein Flächenproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.
Unabhängig vom Bebauungswettbewerb will der Senat das Tempelhofer-Feld-Gesetz auch kurzfristig ändern, um mehr Geflüchtete auf dem Vorfeld des Flughafengebäudes unterzubringen. Die Containersiedlung, die seit Jahren auf der betonierten Fläche steht, soll weitere Ableger im Osten und im Süden des Flughafengebäudes bekommen.
Dagegen hat die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ vor dem Roten Rathaus mit einem großen hölzernen Pferd protestiert, denn sie vermutet eine List nach antikem Vorbild: „Wenn das Abgeordnetenhaus eine solche Gesetzesänderung beschließt, dann steht das Trojanische Pferd mitten auf dem Tempelhofer Feld!“ Anky Brandt von der Initiative erklärt: „Container für Geflüchtete auf dem Feld erfordern keine Änderung des Gesetzes – so wie die Koalition von CDU und SPD jetzt vorgeht, will sie ganz offensichtlich Baurecht durch die Hintertür schaffen!“
Tilmann Heuser vom BUND wirft dem Senat eine „konzeptlose Überrumpelungstaktik“ vor. Die Mittel, die die Stadtregierung für einen Städtebauwettbewerb vorsieht, sollten für ein Unterbringungskonzept für die Zufluchtsuchenden verwendet werden – und zwar vor allem im Flughafengebäude. „Hier liegt der eigentliche Tempelhof-Skandal“, so Heuser: „Seit 15 Jahren ist ein Konzept für die Nutzung des Gebäudebestands keinen Millimeter vorangekommen.“
Jens Sethmann
Weite, Wind und Sonnenuntergang
Die jahrelange Debatte über das Tempelhofer Feld ist durchzogen von Ressentiments gegen die Menschen, die auf den Wiesen grillen und chillen, auf den Rollbahnen radfahren und kitesurfen, im Gemeinschaftsgarten Kräuter anbauen oder einfach nur die Weite, den Wind und den Sonnenuntergang genießen – so als wären Erholung und Freizeitgestaltung in der Stadt keine ernsthaften Bedürfnisse. Auch der spezielle stadtökologische Wert der offenen Freifläche als Kaltluftentstehungsgebiet, Frischluftschneise, Niederschlagsversickerungsfläche und Lebensraum für Bodenbrüter wie zum Beispiel Feldlerchen wird völlig ignoriert, wenn etwa die FDP immer wieder von einer „Brache“ spricht oder die CDU zusätzlich zur Randbebauung eine Aufforstung der Fläche fordert.
js
Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes:
https://thfgesetz.de
Beteiligungsplattform Tempelhofer Feld des Landes Berlin:
https://tempelhofer-feld.berlin.de
Initiative „100% Tempelhofer Feld“:
www.thf100.de
05.12.2023