Pressemitteilung Nr. 4/05
Berlin darf nicht noch lauter werden. Diese Gefahr sieht der Hauptgeschäftsführer des Berliner Mieterverein e.V. Hartmann Vetter, wenn der Entwurf des Landes-Immissionsschutzgesetz Berlin vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden sollte, mit dem die so genannten Ruhezeiten werktags von 06.00 bis 07.00 Uhr und von 20.00 bis 22.00 Uhr aufgehoben werden sollen. Vetter fordert die Abgeordneten auf, dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zuzustimmen, sondern die Ruhezeiten zu retten.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung begründet die Aufhebung der Ruhezeiten mit den Erfordernissen einer modernen Metropole. Der Berliner Mieterverein e.V. lehnt dieses Vorhaben entschieden ab. Für die Bewohner in Großstädten ist Lärm das Umweltproblem Nummer 1. Mehr Lärm aber wird gerade die Innenstadtbewohner verstärkt zu Umzügen an den Stadtrand oder gar in das brandenburgische Umland animieren. Eine moderne Metropole lebt aber von der Urbanität. Wohnen in der Innenstadt gehört zur Urbanität. Der Berliner Mieterverein kritisiert das Vorhaben des Senats deshalb auch aus stadtentwicklungspolitischer Sicht. Wohnen in der Innenstadt soll attraktiver werden. Zunehmender Lärm verhindert dies. Funktionsmischung muss die Devise sein und nicht Funktionstrennung. Der Vorwurf des Berliner Mietervereins an die Senatorin: Berlin wird nicht nur lauter, sondern auch langweiliger.
Mit dem Landes-Immissionsschutzgesetz (Drucksache 15/3583) soll die bisherige Lärmverordnung außer Kraft treten. Die darin enthaltenen werktäglichen Ruhezeiten von 06.00 bis 07.00 Uhr und von 20.00 bis 22.00 Uhr sollen entfallen. In den Ruhezeiten ist es bislang verboten, Lärm zu verursachen, durch den andere Personen in ihrer Ruhe objektiv unzumutbar gestört werden können.
Sollten die Senatspläne Wirklichkeit werden, so würde die Lärmbelastung für die Bewohner zunehmen. Die Argumentation des Berliner Senats, dass wegen anderer Schutzvorschriften der Verlust der Ruhezeiten aus der Berliner Lärmverordnung unerheblich sei, trifft nur sehr begrenzt zu.
Der Nachbarschaftslärm wird stadtweit zunehmen. Die Abschaffung von Ruhezeiten ist das vollkommen falsche Signal, um den sich erheblich vermehrenden Konflikten der Bewohner untereinander den Boden zu entziehen. Der Senat bleibt die Antwort schuldig, warum es eine moderne Metropole erfordert, dass sich Nachbarn morgens um 6 Uhr mit dem Hammer wecken dürfen, die Bohrmaschine hingegen weiter untersagt ist.
Auch aus Schankvorgärten ist mehr Lärm zu erwarten, weil einerseits der verhaltensbedingte Lärm nun werktags zwischen 20 und 22 Uhr nicht mehr verfolgt werden kann und andererseits der anlagenbedingte Lärm außerhalb der allgemeinen und reinen Wohngebiete auch von 20 – bis 22 Uhr zulässig wird.
Für Gewerbelärm gilt die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm nach § 48 des Bundesimmissionsschutzgesetzes) in allgemeinen und reinen Wohngebieten, wonach werktags auch von 6 – 7 Uhr und 20 – 22 Uhr eine höhere Belastung ausgeschlossen wird. In Gewerbe- aber auch Mischgebieten, wie sie innerhalb des S-Bahn-Ringes vielfach ausgewiesen sind, kann es demnach werktags ab 6 Uhr und zwischen 20 und 22 Uhr lauter werden. Ein Freifahrtschein für Logistikunternehmen, die dann auch ohne Ausnahmegenehmigung vor 7 Uhr ihre Ware ausliefern können.
Auch für Baustellenlärm bei Straßenbauarbeiten und an nicht bundeseigenen Schienenwegen (z.B. Straßenbahnen) gilt die Ruhezeit nicht mehr, weil in der Verordnung ausdrücklich die sich für Baumaschinen ergebende Begrenzung aus der Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung aufgehoben wird. Die ältere Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm von 1970, die eine Nachtruhe bis 7 Uhr vorsah, kommt nur bei sonstigem Baulärm zur Anwendung. Aber auch hier wird es wegen der Überschreitungsmöglichkeiten von 5 dB zu mehr Lärm kommen. Das Landesimmissionsschutzgesetz ist insoweit ein Geschenk an die Bauwirtschaft, denn nunmehr würde ein Zweischichtbetrieb leichter möglich, wie es in einer Verlautbarung der Senatspressestelle heißt.
Von der „Vorsorgeverwaltung zur Beschwerdeverwaltung“ ist die Devise des neuen Landesimmissionsschutzgesetzes. Dies aber dokumentiert, dass Lärmvermeidung und Schutz vor Lärm immer weniger als öffentliche Aufgabe begriffen werden. Eine Entwicklung, die aus Sicht des Berliner Mietervereins nur die Politikverdrossenheit schüren wird.
09.07.2014