Pressemitteilung Nr. 24/2019
Der Berliner Mieterverein (BMV) appelliert an den Sozialstadtrat von Mitte, Ephraim Gothe, eine sechsköpfige Familie mit Zwangsmitteln wieder Besitz an ihrer Wohnung zu verschaffen. Die pakistanisch-stämmige Familie hatte im März trotz Einspruchs ihres BMV-Anwalts Cornelius Krakau aufgrund eines nur vorläufigen Gerichtsurteils ihre Wohnung verloren. Die Familie legte dagegen zwar Einspruch ein und obsiegte in erster Instanz – jedoch zu spät, denn der Vermieter hatte bereits einen Gerichtsvollzieher beauftragt. Die Familie verlor die Wohnung, lebte tagelang in einer Obdachlosenunterkunft und dann wochenlang in einer Friedrichshainer Pension, auf nur einem Zimmer. Seit einer Woche sind sie in eine andere Pension umgezogen, wo ihnen zwei Zimmer zur Verfügung stehen.
Der Skandal: Obwohl das Gericht den Vermieter im Eilverfahren verpflichtete, der Familie ihre Schlüssel wieder zu übergeben, schaltet der auf stur. Ob er sich durch Zwangsgelder beeindrucken lässt, ist völlig offen. „Daher muss jetzt der Bezirk handeln“, fordert Sebastian Bartels, stellvertretender Geschäftsführer des BMV. „Er kann der Familie per Polizeirecht den Besitz verschaffen – zum Beispiel, indem die Wohnung aufgebrochen und das Schloss auswechselt wird“, erklärt Bartels. In einer ersten Reaktion auf die BMV-Forderung hat Gothe angekündigt, ein solches Verfahren einleiten zu wollen.
„Es ist menschenunwürdig und daher eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wenn Eltern mit vier minderjährigen Kindern bei dieser Hitze in einer engen Pension ausharren müssen. Vollends absurd ist, dass der Steuerzahler das Vermietergebaren sogar noch bezahlt, denn die Pension kostet ein Vielfaches mehr als die nun leerstehende Dreizimmerwohnung“, so Bartels.
Richter dürfen laut Zivilprozessordnung ein vollstreckbares Urteil ausstellen, obwohl sie über die Zulässigkeit einer Kündigung noch gar nicht abschließend entschieden haben. Bartels: „Das muss dringend geändert werden. Wohnungsräumungen dürfen nur nach vorheriger mündlicher Verhandlung zugelassen werden.“ Im konkreten Fall wussten die Mieter gar nichts von der Räumungsklage. Sie hatten glaubhaft gemacht, weder die Klage noch das sogenannte Versäumnisurteil erhalten zu haben. Der BMV fordert zudem, verhaltensbedingte Kündigungen überhaupt nur zuzulassen, wenn der Vermieter zuvor versucht hat, das beanstandete Verhalten (hier: die Duldung einer Reparatur) einzuklagen.
Der BMV kritisiert allerdings auch das Amtsgericht. „Es ist über den Antrag des Mieteranwalts hinweggegangen, die Räumung erst einmal auszusetzen.“ Wie üblich, war die Einstellung der Räumung von einer hohen Sicherheitsleistung – 17.000,00 Euro – abhängig gemacht worden, die viele Mieter nicht zahlen können.
12.06.2019