Leitsätze:
a) Nach Abschluss des Mietvertrags eintretende erhöhte Geräusch- und Schmutzimmissionen begründen, auch wenn sie von einer auf einem Nachbargrundstück eines Dritten betriebenen Baustelle (hier: zur Errichtung eines Neubaus in einer Baulücke) herrühren, bei Fehlen anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung, wenn auch der Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit nach § 906 BGB hinnehmen muss.
b) Eine anderslautende Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien kann nicht mit der Argumentation bejaht werden, die Freiheit der Wohnung von Baustellenlärm werde regelmäßig stillschweigend zum Gegenstand einer entsprechenden Beschaffenheitsvereinbarung der Mietvertragsparteien. Die bei einer Mietsache für eine konkludent getroffene Beschaffenheitsvereinbarung erforderliche Einigung kommt nicht schon dadurch zustande, dass dem Vermieter eine bestimmte Beschaffenheitsvorstellung des Mieters (hier: hinsichtlich eines Fortbestands der bei Abschluss des Mietvertrags vorhandenen „Umweltbedingungen“ der Wohnung) bekannt ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert.
c) Macht der Mieter einen zur Mietminderung berechtigenden Mangel der Mietwohnung in Gestalt der vorgenannten Geräusch- und Schmutzimmissionen geltend, richtet sich die Darlegungs- und Beweislast nicht nach den im Bereich des § 906 BGB bestehenden Regelungen, sondern nach den Grundsätzen des Wohnraummietrechts und insbesondere nach der dort grundsätzlich geltenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach Verantwortungsbereichen. Demnach hat der Mieter darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die von ihm angemietete Wohnung Immissionen der vorbezeichneten Art ausgesetzt ist, die die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar beeinträchtigen, und dass es sich hierbei um eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt.
d) Von den auf dieser Grundlage zu treffenden notwendigen Feststellungen darf der Tatrichter – schon mangels eines entsprechenden Erfahrungssatzes – nicht mit der Begründung absehen, dass Baumaßnahmen, die auf einer in der Nähe der Wohnung gelegenen Baustelle (hier: zur Errichtung eines Neubaus in einer Baulücke) durchgeführt werden, typischerweise mit Immissionen in Form von Lärm und Schmutz einhergingen, die eine Mietminderung rechtfertigten. Vielmehr ist die Frage nach der Art und dem Umfang von Immissionen wegen deren Objektbezogenheit regelmäßig anhand des konkreten Einzelfalles zu beantworten.
e) Beruft sich der Vermieter gegenüber dem Wohnungsmieter darauf, Ansprüche nach § 906 BGB gegen den Verursacher nicht zu haben, hat er diejenigen, dem Verhältnis zwischen ihm und dem Verursacher – und damit dem Verantwortungsbereich des Vermieters – entstammenden Tatsachen, seien sie personen- oder grundstücksbezogen, vorzubringen und im Falle des Bestreitens zu beweisen, die in Anbetracht des bis dahin festgestellten Sachverhalts – auch unter Beachtung der im Verhältnis zum Verursacher geltenden Beweislastverteilung – dazu führen, dass weder Abwehr- noch Entschädigungsansprüche bestehen.
BGH vom 29.4.2020 – VIII ZR 31/18 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 42 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es geht hier um die Frage, ob Mieter wegen deutlich vernehmbaren vom Nachbargrundstück ausgehenden Baulärms und auftretender Schmutzimmissionen die Miete mindern können. Mit der aktuellen BGH-Entscheidung steht nunmehr fest, dass die Antwort auf diese Frage lautet: „Im Grundsatz ja, allerdings unter erschwerten Bedingungen.“
Schon mit der sogenannten Bolzplatz-Entscheidung aus dem Jahre 2015 (29.4.2015 – VIII ZR 197/14) war diesbezüglich eine „Wende“ eingeleitet worden. Die „Bolzplatz-Entscheidung“ wurde aber von einem Teil der Berliner Rechtsprechung auf die Mietminderung wegen Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück nicht angewandt (LG Berlin vom 16.6.2016 – 67 S 576/16 -; LG Berlin vom 7.6.2017 –18 S 211/16 –; LG Berlin vom 21.8.2019 – 64 S 190/18 –), von einem anderen Teil der Berliner Rechtsprechung hingegen schon (LG Berlin vom 14.6.2017 – 65 S 90/17 –; AG Köpenick vom 11.7.2017 – 7 C 391/16 –). Auch wurde vertreten, dass Baulärm in der City zum allgemeinen Lebensrisiko gehört, so dass eine Minderung schon aus diesem Grunde generell ausscheide (LG Berlin vom 15.4.2016 – 63 S 223/15 –).
Nunmehr hat der BGH mit der Entscheidung vom 29.4. 2020 die Bolzplatz-Entscheidung bestätigt, konkretisiert und expliziert zu einem Fall belastender Bauimmissionen vom Nachbargrundstück entschieden.
Danach liegt ein Mangel durch Lärm vom Nachbargrundstück nur dann vor, wenn der Eigentümer diesen nach § 906 BGB nicht oder jedenfalls nicht entschädigungslos dulden muss. Also: Was der Vermieter entschädigungslos hinzunehmen hat, berechtigt den Mieter nicht zur Minderung. Maßgeblich für das Minderungsrecht des Mieters ist also (auch) die Beurteilung nach § 906 BGB.
Die Darlegungs- und Beweislast richtet sich hierbei nicht nach den im Bereich des § 906 BGB bestehenden Regelungen, sondern nach den Grundsätzen des Wohnraummietrechts und insbesondere nach der dort grundsätzlich geltenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nach Verantwortungsbereichen. Demnach hat der Mieter darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass die von ihm angemietete Wohnung Immissionen der vorbezeichneten Art ausgesetzt ist, die die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung unmittelbar beeinträchtigen, und dass es sich hierbei um eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. So ist beispielsweise das Aufstellen eines Gerüstes vor den zur Miete überlassenen Wohnräumen regelmäßig nicht als lediglich unwesentliche bezíehungsweise unerhebliche Beeinträchtigung des Gebrauchs der Mietsache einzustufen (LG Berlin vom 20.4. 2016 – 65 S 424/15 –).
Zur Darlegung wiederkehrender Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs genügt grundsätzlich eine Beschreibung, aus der sich ergibt, um welche Art von Beeinträchtigungen es geht, zu welchen Tageszeiten, über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten. Der Vorlage eines Protokolls bedarf es nicht. Hilfreich ist, wenn die Beeinträchtigungen mit der Beschreibung einer bestimmten Bauphase verknüpft werden können.
§ 906 BGB spielt in vier Konstellationen bei Baulärm vom Nachbargrundstück eine Rolle:
(1) Eine unwesentliche Beeinträchtigung (zum Beispiel nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB) muss der vermietende Eigentümer dulden (ohne Ausgleichsanspruch). Dafür kommt auch keine Minderung in Betracht.
(2) Eine wesentliche Beeinträchtigung, die nicht ortsüblich ist, kann der Vermieter dagegen nach §§ 906 Abs. 1, 1004 BGB abwehren. Er muss sie nicht dulden. Hier kann der Mieter mindern, solange der Vermieter die Belästigung nicht abwehrt. Ein Beispiel für diese Konstellation ist der „Schwarzbau“: Eine Baustelle in der Nachbarschaft, die ohne die erforderlichen Genehmigungen eingerichtet wurde, ist nicht ortsüblich.
(3) Eine wesentliche ortsübliche Beeinträchtigung, die mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen verhindert werden kann, muss der Vermieter ebenfalls nicht dulden, etwa wenn technisch möglicher Lärmschutz nicht eingehalten wird. Auch hier ist eine Minderung möglich, solange der Vermieter zu Unrecht duldet. Streitpunkt ist hier im Einzelfall häufig die Frage, ob die zu fordernden Maßnahmen (für den Bauherren) wirtschaftlich zumutbar sind.
(4) Eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung (= Bauarbeiten/Baulärm), die nicht durch zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann, muss der Eigentümer/Vermieter nach § 906 Abs. 2 BGB grundsätzlich dulden.
In der vierten Konstellation kommt aber ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht, wenn die Ertragseinbuße über das zumutbare Maß hinausgeht. Das bedeutet: Der für den Vermieter durch die Mietminderung entstandene Mietzinsverlust ist vom Nachbarn/Bauherren nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu entschädigen, wenn die Ertragseinbußen der vom Eigentümer zur Vermietung genutzten Wohnung das zumutbare Maß überschritten haben.
Ob Vermietungsverluste durch die Mietminderung eintreten, hängt davon ab, welche durchschnittliche Nettorendite das Gericht im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO ansetzt. Denn bei einer die Nettorendite überschreitenden Mietminderung kann nicht mehr kostendeckend vermietet werden. Dann ist die Zumutbarkeitsgrenze überschritten. Für das Jahr 2011 hat das LG Berlin die durchschnittliche Nettorendite auf 5 % geschätzt (LG Berlin vom 31.3.2011 – 51 S 245/10 –). Wegen des „Mietendeckels“ dürfte im Jahre 2020 die Nettorendite niedriger liegen.
Steht dem Vermieter ein Ausgleichsbetrag zu, vermutet der BGH (vom 29.4.2015 – VIII ZR 197/14), dass die vertragliche Regelung dahingegangen wäre, dass sich die Miete in Höhe des gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB bestehenden Ausgleichsanspruchs mindert. Das sei aus den „Ausstrahlungswirkungen“ des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB abzuleiten. Beispiel: Ist der vertragsgemäße Gebrauch des Mieters derart eingeschränkt, dass an sich eine Mietminderung von 20 % der Nettokaltmiete berechtigt wäre, und beträgt die Nettorendite des Vermieters 5 %, steht dem Mieter ein Mietminderungsanspruch in Höhe von 15 % der Nettokaltmiete zu. Zur Vergleichbarkeit ist die nach mietrechtlichen Grundsätzen von der Warmmiete zu bildende Minderungsquote auf den Prozentbetrag der Nettokaltmiete umzurechnen.
Wichtig: Es kommt nicht darauf an, ob der Vermieter den Ausgleichsanspruch geltend macht. Maßgeblich ist allein, dass ein solcher Anspruch besteht. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 241 Abs. 2 BGB.
Faustformelartig kann man sagen: Für die Minderung wegen Baulärms vom Nachbargrundstück ist die bisherige Rechtsprechung zu den diversen Minderungshöhen weiterhin anwendbar. Der insoweit gefundene Minderungsbetrag der Warmmiete ist in einen Prozentsatz der Nettokaltmiete umzurechnen, von dem in Berlin (gegebenenfalls!) 2 bis 5 % abgezogen werden.
21.09.2020