Leitsätze:
1. Der Zwangsverwalter eines Grundstücks hat die Betriebskosten für ein Mietobjekt auch für solche Abrechnungszeiträume abzurechnen, die vor seiner Bestellung liegen, sofern eine etwaige Nachforderung von der als Beschlagnahme geltenden Anordnung der Zwangsverwaltung erfasst wird (§ 1123 II 1 BGB; §§ 21, 148 I 1 ZVG).
2. Soweit der Zwangsverwalter zur Abrechnung verpflichtet ist, hat er auch ein etwaiges Vorauszahlungsguthaben an den Mieter auszuzahlen; dies gilt auch dann, wenn ihm die betreffenden Vorauszahlungen nicht unmittelbar zugeflossen sind.
BGH v. 26.3.2003 – VIII ZR 333/02 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 8 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Gerät ein Vermieter oder ein Wohnungsunternehmen in Zahlungsschwierigkeiten, folgt nicht selten die Anordnung der Zwangsverwaltung des Hausgrundstücks. Streit gibt es dann häufig über ausstehende Betriebskostenabrechnungen und über die Auszahlung von Guthaben aus der Zeit vor Einsetzung des Zwangsverwalters.
Nimmt der Mieter den Zwangsverwalter auf Abrechnung und Auszahlung eines Guthabens in Anspruch, verweist dieser häufig auf seine angebliche Unzuständigkeit, wenn der Abrechnungszeitraum vor seiner Bestellung endete und der Mieter keine Vorschüsse an ihn, sondern lediglich an den Vermieter, gezahlt hat. Diese für Mieter unerfreuliche Sichtweise wurde auch von einigen Berliner Gerichten geteilt.
- So hatte die 65. Zivilkammer (ZK) des Landgericht Berlin (GE 90, Seite 1083) entschieden, dass ein Mieter vom Zwangsverwalter nicht die Auszahlung eines Guthaben-Saldos aus einer bereits vor Beginn der Zwangsverwaltung abgelaufenen Betriebskostenabrechnungsperiode verlangen kann. Der Mieter müsse vielmehr seinen Anspruch gegen den insolventen Vermieter richten. Entsprechend urteilten auch die 63. und die 67. Zivilkammer des LG Berlin (LG Berlin – ZK 63 – NZM 01, Seite 1100; LG Berlin – ZK 67 – GE 98, Seite 743). Mieter konnten nach dieser Ansicht gegenüber dem Zwangsverwalter deshalb auch nicht mit Forderungen aufrechnen, die Abrechnungszeiträume betrafen, die vor der Anordnung der Zwangsverwaltung bereits abgelaufen waren (LG Berlin – ZK 63 – NZM 01, Seite 1100).
- Gegenteilig entschied die 62. Zivilkammer des LG Berlin mit Urteil vom 30. September 2002 (GE 03, Seite 51). Nach Ansicht dieser Kammer muss der Zwangsverwalter eine Betriebskostenabrechnung auch für einen Zeitraum erstellen, in der er noch nicht die Zwangsverwaltung innehatte. Im Hinblick auf die gegenteilige Rechtsprechung der anderen Berliner Mietrechtskammern hatte die 62. Zivilkammer gegen ihr Urteil die Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen.
- Und tatsächlich wurde gegen das Landgerichtsurteil Revision eingelegt, womit der BGH Gelegenheit bekam, das Rechtsproblem zu entscheiden und die Unsicherheit bei Beantwortung dieser Rechtsfrage zu beenden. Die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs ist am 26. März 2003 unter dem Aktenzeichen – VIII ZR 333/02 – ergangen.
Der BGH musste folgenden Sachverhalt beurteilen: Der Mieter hatte 1997 den Mietvertrag abgeschlossen und seither Betriebskostenvorschüsse gezahlt. Mit Beschluss vom 20. Januar 1999 ordnete das AG Lichtenberg die Zwangsverwaltung für das Grundstück an und bestellte den Zwangsverwalter. Am 1. August 2000 erstellte die noch vom Vermieter beauftragte Hausverwaltung eine Abrechnung über die „kalten“ Betriebskosten für das Jahr 1998, die für den Mieter ein Guthaben auswies. Eine Abrechnung über die Heiz- und Warmwasserkostenvorschüsse wurde dagegen nicht erteilt. Der Zwangsverwalter weigerte sich, sowohl das Guthaben auszuzahlen als auch die Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung zu erteilen.
Der Bundesgerichtshof entschied „mieterfreundlich“. Er folgte in seinem Urteil im Wesentlichen der Rechtsmeinung der 62. Zivilkammer des LG Berlin: Nach § 152 Absatz 1 ZVG habe der Zwangsverwalter das Recht und die Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich seien, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsmäßig zu benutzen. Soweit Nebenkosten nicht oder nicht in ausreichender Höhe gezahlt worden seien und deshalb mit einer Nachforderung zu rechnen sei, ergebe sich die Verpflichtung zur Geltendmachung dieser Forderung unmittelbar aus § 152 Absatz 1, 2. Halbsatz ZVG. Da die Höhe einer etwaigen Nachforderung aber nur durch eine ordnungsgemäße Nebenkostenabrechnung zu ermitteln sei, obliege die Erstellung der Abrechnung dem Verwalter jedenfalls insoweit, als eine mögliche Nachforderung noch nicht länger als ein Jahr fällig ist (vgl. § 1123 Absatz 2 Satz 1 BGB). Eine Haftung des Zwangsverwalters scheidet nach Ansicht des BGH gemäß § 1123 Absatz 2 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 21, 148 Absatz 1 Satz 1 ZVG mithin nur dann aus, wenn das Betriebskostensaldo schon länger als ein Jahr vor dem Tag der Beschlagnahme des Grundstücks, also der Anordnung der Zwangsverwaltung, fällig war. Die Fälligkeit tritt erst ein durch Zugang der Nebenkostenabrechnung beim Mieter. Hat also beispielsweise der Vermieter im Mai 2002 dem Mieter eine Abrechnung erteilt, die ein Guthaben ausweist, ohne dieses auszuzahlen und wird für das Grundstück im Juni 2003 Zwangsverwaltung angeordnet, muss der Zwangsverwalter das Guthaben nicht auszahlen. Ist der Zwangsverwalter aber – wie meist – verpflichtet, die Abrechnung vorzunehmen, dann umfasst diese Verpflichtung auch den Ausgleich des Abrechnungssaldos und zwar unabhängig davon, ob die Abrechnung eine Nachforderung oder ein Guthaben ergibt. Führt die Abrechnung aber zu einem Guthaben, kann es – so der BGH – wegen der Einheitlichkeit der Abrechnung auch nicht darauf ankommen, ob der Zwangsverwalter die noch vom Vermieter beziehungsweise von der von diesem beauftragten Hausverwaltung vereinnahmten Nebenkostenvorauszahlungen erhalten hat.
Fazit: Soweit der Zwangsverwalter zur Abrechnung verpflichtet ist, hat er auch ein etwaiges Vorauszahlungsguthaben an den Mieter auszuzahlen. Dies gilt auch dann, wenn ihm die betreffenden Vorauszahlungen nicht unmittelbar zugeflossen sind.
Frank Maciejewski
25.10.2017