Leitsatz:
Der Vermieter ist aufgrund des Gebotes der Rücksichtnahme nicht gehalten, die eigene, bisher von ihm selbst bewohnte Wohnung anzubieten, die denknotwendig erst frei wird, wenn der Vermieter nach dem Auszug des Mieters in die gekündigte Wohnung eingezogen ist. Die Ansicht, der Vermieter müsse sich auf einen „fliegenden Wohnungswechsel“ mit dem Mieter einlassen, beruht auf einer einseitig an den Interessen des Mieters ausgerichteten, den Charakter von Rücksichtnahmepflichten jedoch grundlegend verkennenden Bewertung.
BGH v. 19.7.2017 – VIII ZR 284/16 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 5 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die dreiköpfige Mieterfamilie bewohnte seit dem Jahr 2000 eine Mietwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in Frankfurt. Der Vermieter kündigte wegen Eigenbedarfs. Seine Tochter und deren Ehemann, die zurzeit im vierten Obergeschoss des gleichen Hauses wohnten, sollten in die Mieterwohnung ziehen, sie benötigten diese Wohnung aus gesundheitlichen Gründen. Das Landgericht war der Auffassung, dass die frei werdende Wohnung der Tochter im vierten Obergeschoss den Mietern als Ersatz hätte angeboten werden müssen.
Der Bundesgerichtshof entschied – wie aus dem Leitsatz ersichtlich – anders. Denn die Entscheidung des Landgerichts weiche von der Rechtsprechung des BGH ab, nach der die Anbietpflicht jedenfalls mit Ablauf der Kündigungsfrist und der damit eintretenden Beendigung des Mietverhältnisses ende (BGH vom 9.7.2003 – VIII ZR 311/02; vom 4.6.2008 – VIII ZR 292/07; vom 21.12.2011 – VIII ZR 166/11; vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15).
Unabhängig davon scheide eine Anbietpflicht des Vermieters auch deshalb aus, weil die Alternativwohnung (100 Quadratmeter im 4. Obergeschoss) bei einer objektiven Betrachtung nach Größe, Zuschnitt und Lage als mit der bisherigen Wohnung (170 Quadratmeter im Erdgeschoss) nicht mehr ernsthaft vergleichbar angesehen werden könne.
27.03.2022