Leitsätze:
1. Der Mieter gerät wegen unverschuldeten Tatsachenirrtums nicht in Zahlungsverzug, wenn er von dem Ausbleiben der vereinbarten Direktzahlung der Miete durch das Jobcenter erst durch die Kündigung des Vermieters erfährt.
2. Eine fristlose Kündigung wegen Mietrückständen wird grundsätzlich nur durch vollständige Zahlung der Rückstände innerhalb der Schonfrist unwirksam. Bleibt ein geringer Teilbetrag offen, kann dies allerdings ausnahmsweise unbeachtlich sein.
BGH vom 17.2.2015 – VIII ZR 236/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 5 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Wir haben kürzlich die Entscheidung des BGH vom 4.2.2015 – VIII ZR 175/14 – (MM 4/2015, Seite 28) vorgestellt, wonach der Umstand, dass der Mieter auf behördliche Transferleistungen (ALG II) angewiesen ist, das von ihm nach allgemeinen Grundsätzen zu tragende Risiko eines unverschuldeten Geldmangels nicht entfallen lässt („Geld hat man zu haben“). Dass das nicht in jedem Falle gilt, ergibt sich nun aus dem zwei Wochen später ergangenen Beschluss des BGH. Hier lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Mieter bewohnte die Wohnung seit dem Jahr 2007. Die monatliche Miete betrug ab März 2010 378 Euro (inklusive einer Nebenkostenvorauszahlung von 98 Euro). Im März 2010 zahlte der Mieter einen Teilbetrag von 143,38 Euro nicht. Mit Bescheid vom 30.8.2012 teilte das Jobcenter dem Mieter mit, dass die Miete ab 1.10.2012 übernommen und direkt an die Vermieterin überwiesen werde. Für die Monate November und Dezember 2012 unterblieb die Überweisung des Jobcenters versehentlich. Dies erfuhr der Mieter erst durch die ihm am 6.12. zugegangene fristlose und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 5.12.2012. In der dem Mieter am 20.2.2013 zugestellten Klageschrift vom 23.12.2012 wiederholte die Vermieterin die Kündigung wegen derselben Rückstände, nämlich der Mieten für die Monate November und Dezember sowie den ausstehenden Teilbetrag aus dem Monat März 2010. Das Jobcenter überwies die Mieten für November 2012 bis Januar 2013 Mitte Januar 2013; auf den Rückstand aus dem Monat März 2010 zahlte der Mieter am 31.1.2013 100 Euro.
Der BGH erkannte vorliegend eine besondere Ausnahmesituation, weil der Mieter erst durch die Kündigung vom 5.12.2012 erfahren habe, dass das Jobcenter entgegen des mehrere Monate zuvor erlassenen Bescheides die angekündigte Direktzahlung der Mieten für die Monate November und Dezember 2012 zunächst nicht vorgenommen hatte, so dass bei der ersten Kündigung ein unverschuldeter Tatsachenirrtum vorgelegen habe, der den Eintritt des Verzuges ausschlösse.
Die weitere fristlose Kündigung vom 23.12.2012 sei dadurch unwirksam geworden, dass die Rückstände bis auf einen geringfügigen Betrag von 43,88 Euro innerhalb der Schonfrist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) nachgezahlt worden seien. Zwar erfordere § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB die vollständige Begleichung der Rückstände innerhalb der Schonfrist. Hier sei es aber im Hinblick auf die außergewöhnlichen Umstände ausnahmsweise geboten, den verbleibenden Rückstand mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) außer Betracht zu lassen. Denn der noch nicht vollständig beglichene Rückstand beträfe einen nur geringen Teilbetrag aus einem weit zurückliegenden Zeitraum; die übrigen Rückstände wären weit vor Ende der erst am 20.4.2013 ablaufenden Schonfrist durch die Zahlungen des Jobcenters Mitte Januar und des Mieters Ende Januar getilgt worden. Auch sonst wären die Umstände der zunächst ausgebliebenen Zahlung des Jobcenters angesichts des dem Mieter bereits im August 2012 erteilten gegenteiligen Bescheides außergewöhnlich.
Die mit Schreiben vom 23.12.2012 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung habe das Mietverhältnis ebenfalls nicht beendet, weil es bezüglich der Mieten für die Monate November und Dezember 2012 an einer schuldhaften Pflichtverletzung des Mieters im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB fehle und der weitere (geringfügige) Rückstand keine ordentliche Kündigung rechtfertige.
30.07.2017