Leitsatz:
Ehegatten gehören auch dann derselben Familie im Sinne des § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB an, wenn sie getrennt leben oder geschieden sind.
BGH vom 2.9.2020 – VIII ZR 35/19 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Kündigungssperrfrist nach Umwandlung einer Wohnung in eine Eigentumswohnung, die in Berlin gemäß § 577 a Abs. 2 BGB 10 Jahre beträgt, gilt gemäß § 577 a Abs. 1 a Satz 1 BGB entsprechend unter anderem dann, wenn vermieteter – nicht umgewandelter – Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an mehrere Erwerber veräußert worden ist. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies allerdings dann nicht, wenn die Erwerber derselben Familie oder demselben Haushalt angehören.
Vorliegend bestand das Mietverhältnis über ein Einfamilienhaus seit 2001. Im Jahre 2015 wurde das Haus an ein Ehepaar veräußert, welches bereits seit 2013 getrennt lebte. Im Juli 2016 wurde die Ehe der Erwerber, aus der zwei Kinder hervorgegangen sind, geschieden. Im Mai 2017 kündigten die Erwerber das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs, weil die Ex-Ehefrau mit den beiden Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten in das Haus einziehen wollte.
Der BGH hatte letztendlich zu entscheiden, ob die Kündigung wegen der Nichteinhaltung der Kündigungssperrfrist (Kündigungsausspruch schon zwei Jahre nach Erwerb des Hauses) unwirksam war oder aber, ob die Kündigungssperrfrist gemäß § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB nicht eingehalten werden musste, weil die Erwerber – trotz der Scheidung – eine „Familie“ im Sinne der Vorschrift waren.
Der BGH entschied sich für Letzteres. Die Vermieter gehörten unabhängig vom Fortbestand der Ehe „derselben Familie“ im Sinne von § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB an. Die Privilegierung von Familien- und Haushaltsangehörigen in § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB sei der Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nachgebildet worden. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte zur Auslegung der Vorschrift auf die zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
Als Anknüpfungspunkt dafür, wie weit der Kreis der Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu ziehen sei, habe der BGH bereits in seinem Urteil vom 27.1.2010 (VIII ZR 159/09) die Wertungen der Regelungen über ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen herangezogen. Diese konkretisierten mit Rücksicht auf eine typisierte persönliche Nähebeziehung den Kreis privilegierter Familienangehöriger, und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine persönliche Bindung besteht.
Damit seien diejenigen Personen, denen das Prozessrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gewähre, unabhängig vom Vorliegen eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses Familienangehörige gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, zu deren Gunsten eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen werden könne. Hierunter fielen Ehegatten auch dann, wenn sie getrennt leben, ein Scheidungsantrag bereits eingereicht oder die Scheidung vollzogen sei. Denn gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO und nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO sei ein Ehegatte selbst dann zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn die Ehe nicht mehr bestehe.
Für den Begriff des Familienangehörigen gemäß § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB gelte dasselbe; auch insoweit sei der Ehegatte unabhängig vom Fortbestand der Ehe Familienangehöriger, so dass die Sperrfrist bei Erwerb durch Ehegatten oder geschiedene Ehegatten nicht eingreife.
Die Sperrfrist sei auch nicht deshalb anwendbar, weil nicht beide Erwerber, sondern nur die Erwerberin mit weiteren Familienangehörigen in das Haus einziehen wollte. § 577 a Abs. 1 a Satz 2 BGB setzte nicht voraus, dass die Erwerber, die zu derselben Familie gehören, den zur Eigennutzung erworbenen vermieteten Wohnraum auch gemeinsam nutzen möchten.
28.03.2022