Leitsatz:
Zur Frage der „fiktiven“ Schadensbemessung im Mietrecht.
BGH vom 19.4.2023 – VIII ZR 280/21 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach Rückgabe der Mietwohnung forderte der Vermieter die Mieter zur Durchführung näher bezeichneter Schönheitsreparaturen, zur Erneuerung von Wandfliesen in der Küche, zum Streichen der Wand im Treppenhaus des Anwesens, zu Rückbauarbeiten bezüglich verlegter Fliesen und eines PVC-Belags auf. Die Mieter hatten erforderliche Schönheitsreparaturen trotz Fristsetzung nicht ausgeführt, einen selbst verlegten Bodenbelag und selbst verlegte Fliesen nicht entfernt sowie Schäden im Treppenhaus verursacht.
Der Vermieter ließ den von den Mietern verlegten Bodenbelag entfernen und einen neuen Boden verlegen. Die übrigen Arbeiten ließ er nicht ausführen. Ausweislich eines von ihm eingeholten Kostenvoranschlags fielen für die vorgenannten Arbeiten Kosten in Höhe von insgesamt 7961,35 Euro (netto) an.
Der Vermieter erhob schließlich Klage auf Schadensersatz in Höhe der Positionen des Kostenvoranschlags (insgesamt 8425,20 Euro einschließlich Umsatzsteuer). Hilfsweise begehrte er die Zahlung des im Kostenvoranschlag ausgewiesenen (Netto-)Betrags (7961,35 Euro).
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt, denn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch – so die Instanzgerichte – stehe dem Vermieter nicht zu, da diesem eine fiktive Schadensberechnung zugrunde liege. Der VII. Zivilsenat des BGH habe für das Werkvertragsrecht entschieden, dass eine fiktive Schadensberechnung auf Basis eines Kostenvoranschlags nicht mehr möglich sei (Urteil vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17). Diese Rechtsprechung sei auf das Mietrecht übertragbar. Das Landgericht ließ allerdings wegen dieser Frage, ob im Mietrecht eine fiktive Schadensberechnung (weiterhin) möglich sei, die Revision zum BGH zu.
Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf. Ein Anspruch des Vermieters auf Ersatz der Kosten für die von den Mietern nicht ausgeführten Schönheitsreparaturen und Rückbauten (§ 280 Abs. 1, 3, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB) sowie für den Austausch von Wandfliesen und für die Malerarbeiten an der Wand im Treppenhaus (§ 280 Abs. 1 BGB; § 823 Abs. 1 BGB) könne nicht verneint werden. Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts könne der Vermieter seinen Schaden nach dem Ende des Mietverhältnisses anhand der hierfür jeweils erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könnten Schadensersatzansprüche statt der Leistung im Mietrecht auch mit den für die Instandsetzung oder -haltung oder für den Rückbau der Mietsache erforderlichen aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Kosten bemessen werden (zuletzt etwa BGH vom 31.3.2021 – XII ZR 42/20 –; BGH vom 26.4.2022 – VIII ZR 364/20; BGH vom 10.5.2022 – VIII ZR 277/20 –).
Hieran sei auch nach der vom Berufungsgericht zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht herangezogenen geänderten Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs bezüglich des Werkvertragsrechts weiter festzuhalten. Denn die Erwägungen des VII. Zivilsenats beruhten allein auf den Besonderheiten des Werkvertragsrechts und seien – auch nach dessen Ansicht – auf andere Vertragstypen nicht übertragbar.
Soweit der Mieter geschuldete Schönheitsreparaturen nicht ausgeführt und den selbst eingebrachten Bodenbelag und selbst verlegte Fliesen nicht entfernt habe, könne der Vermieter Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen. Hinsichtlich der Schäden im Treppenhaus bestehe ein Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung aus §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. Bei beiden Fallgruppen dürfe der Schadensersatz auf Grundlage der voraussichtlichen Kosten bemessen werden.
Ob das solchermaßen vereinnahmte Geld dann tatsächlich später für die Schadenbeseitigung verwendet wird, steht im freien Ermessen des Vermieters.
01.09.2023