Leitsätze:
a) Das Recht des Nacherben, ein vom Vorerben über ein zum Nachlass gehörendes Grundstück abgeschlossenes und bei Eintritt der Nacherbfolge noch bestehendes Wohnraummietverhältnis außerordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB zu kündigen, setzt ein berechtigtes Interesse des Nacherben an der Beendigung des Mietverhältnisses voraus (§ 573 d Abs. 1, § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB).
b) Dem vorgenannten Kündigungsrecht des Nacherben steht ein im Wohnraummietvertrag zwischen dem Vorerben und dem Mieter vereinbarter Ausschluss des Rechts des Vermieters zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses grundsätzlich nicht entgegen.
c) Dem Nacherben ist nach Treu und Glauben eine Kündigung nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB allerdings verwehrt, wenn er entweder unabhängig von §§ 2135, 1056 Abs. 1 BGB persönlich an den Mietvertrag gebunden ist oder er dem Abschluss des Mietvertrags durch den Vorerben zugestimmt hat oder der Abschluss eines für den Vermieter unkündbaren Mietvertrags über den Nacherbfall hinaus einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entsprochen hat, so dass der Nacherbe gegenüber dem Vorerben verpflichtet gewesen wäre, dem Mietvertrag zuzustimmen (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 12. Oktober 2011 – VIII ZR 50/11, NZM 2012, 558 Rn. 13 mwN).
BGH vom 1.7.2015 – VIII ZR 278/13 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Gemäß § 2100 BGB kann der Erblasser einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe geworden ist. Man spricht hier von Vor- und Nacherbe.
Vorliegend hatte der Vorerbe mit dem Mieter im Jahr 2009 einen sehr mieterfreundlichen Mietvertrag abgeschlossen, in dem unter anderem ein Kündigungsausschluss für ordentliche Kündigungen bis zum Jahr 2024 enthalten war.
Als es mit dem Tod des Vorerben zum Eintritt des Nacherben in das Mietverhältnis kam, gelang es dem hiervon in Kenntnis gesetzten Mieter schuldhafterweise mehrere Monate lang nicht, die Miete auf das Konto des Nacherben zu überweisen. Dieser kündigte daraufhin fristlos und hilfsweise ordentlich wegen Zahlungsverzuges. Die fristlose Kündigung beseitigte der Mieter durch rechtzeitige Nachzahlung der ausstehenden Miete. Vor dem BGH ging es mithin um die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung.
Der BGH führt aus, dass die §§ 2135, 1056 Abs. 1 BGB und die darin angeordnete entsprechende Anwendung des § 566 BGB bewirken, dass der Nacherbe bei Eintritt der Nacherbfolge als Vermieter in das vom Vorerben begründete Mietverhältnis eintrete. Nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB sei der Nacherbe berechtigt, das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen.
Gemäß § 573 d Abs. 1 BGB seien die §§ 573, 573 a BGB entsprechend anwendbar, wenn ein Mietverhältnis – wie hier bei der Kündigung nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB – außerordentlich mit gesetzlicher Frist gekündigt werden kann. Dies bedeute, dass ein Mietverhältnis über Wohnraum auch in diesem Fall nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses (§ 573 Abs. 1 Satz 1 BGB) gekündigt werden könne.
Nach dem unstreitigen Sachvortrag des Vermieters bestand bei Zugang der Kündigung auch ein gemäß § 573 d Abs. 1, § 573 Abs. 1 BGB für die Kündigung des Vermieters erforderliches berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, da der Mieter sich bei Zugang der Kündigung mit der Zahlung der Miete für die Monate Mai und Juni 2012 in Verzug befand.
Der Umstand, dass der mit dem Vorerben abgeschlossene Mietvertrag einen Ausschluss der ordentlichen Kündigung bis Ende Februar 2024 vorsah, stehe einer Kündigung des Nacherben gemäß §§ 2135, 1056 Abs. 2, § 573 d Abs. 1, 2 BGB nicht entgegen. Denn diese gesetzliche Regelung räume dem Nacherben grundsätzlich die Möglichkeit ein, das Wohnraummietverhältnis bei Bestehen eines berechtigten Interesses außerordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zu kündigen.
Allerdings sei dem in das Mietverhältnis gemäß § 1056 Abs. 1 BGB eintretenden Eigentümer nach Treu und Glauben eine Kündigung nach § 1056 Abs. 2 BGB verwehrt, wenn er unabhängig von § 1056 Abs. 1 BGB persönlich an den Mietvertrag gebunden sei, etwa wenn er ihn vor der Bewilligung des Nießbrauchs noch als Eigentümer selbst abgeschlossen habe, wenn er dem Mietvertrag beigetreten war oder Alleinerbe des Vermieters geworden sei.
Diese Grundsätze seien auf den hier vorliegenden Fall des Eintritts eines Nacherben in das Mietverhältnis nach §§ 2135, 1056 Abs. 1 BGB zu übertragen. Eine Kündigung nach §§ 2135, 1056 Abs. 2 BGB sei dem Nacherben etwa auch dann verwehrt, wenn er dem Abschluss des Mietvertrags durch den Vorerben zugestimmt habe oder der Abschluss eines für den Vermieter unkündbaren Mietvertrags über den Nacherbfall hinaus einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses entsprochen habe, so dass der Nacherbe gegenüber dem Vorerben verpflichtet gewesen wäre, dem Mietvertrag zuzustimmen (§ 2120 Satz 1 BGB).
Diese Aspekte hatte das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, so dass der BGH nicht abschließend urteilen konnte und die Sache zur Sachverhaltsaufklärung zurückverweisen musste.
Das Berufungsgericht hätte demnach zu prüfen, ob der hier vom Vorerben mit ungewöhnlichen Bedingungen (langjähriger Kündigungsausschluss zu Lasten des Vermieters, langjähriger Verzicht auf das Recht zur Mieterhöhung, Herabsetzung der Miete im Hinblick auf vorgesehene – die Gesamtsumme der Mietherabsetzung betragsmäßig nicht erreichende – Mieterinvestitionen) abgeschlossene Mietvertrag unter Berücksichtigung der Pflicht des Vorerben zur Erhaltung des Nachlasses in seiner Wertsubstanz wirtschaftlich betrachtet angemessen und daher als Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung anzusehen war und schließlich darauf, ob die vorgesehenen Investitionen tatsächlich getätigt worden seien.
05.01.2018