Zu den Anforderungen an die gerichtliche Prüfung des Vorliegens einer nicht zu rechtfertigenden Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der ernsthaften Gefahr eines Suizids des Mieters im Falle einer Verurteilung zur Räumung der Wohnung.
BGH vom 10.4.2024 – VIII ZR 114/22 –
Langfassung im Internet: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 23 Seiten]
Das Landgericht hatte nach Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Sachverständigengutachtens und ergänzender Anhörung des Sachverständigen eine Härte der wegen Eigenbedarfs gekündigten Mieterin verneint.
Es begründete seine Entscheidung damit, dass der seitens der Mieterin angedrohte Suizid als „im Rahmen ihrer freien Willensbildung gewählte Reaktionsstrategie auf den möglichen Verlust ihrer Wohnung in appellativer Absicht instrumentell eingesetzt“ worden war.
Dem wollte der BGH nicht folgen:
Die vom Berufungsgericht in Anknüpfung an die sachverständige Einschätzung vorgenommene Einordnung ändere nichts daran, dass das Leben der Mieterin bei einem unfreiwilligen Verlust ihrer Wohnung infolge einer Verurteilung zur Räumung konkret in Gefahr sei und diese Gefahr bei der hier vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB Berücksichtigung finden müsse.
Überdies habe das Berufungsgericht nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die Suizidankündigung nach den Ausführungen des Sachverständigen auch Ausdruck der von ihr empfundenen Hilflosigkeit gegenüber dem drohenden Verlust ihrer langjährigen Wohnung sei. Gerade hierin zeige sich aber die Schutzbedürftigkeit der Mieterin, der im Rahmen des § 574 BGB angemessen Rechnung zu tragen sei.
Dementsprechend sei (auch) im Streitfall aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Einzelfallumstände zu entscheiden, ob wegen der bestehenden – und trotz der freien Willensbildung der Mieterin für die Prüfung nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB maßgeblich zu berücksichtigenden – Gefahr eines Suizids der Mieterin für den Fall des Verlusts ihrer bisherigen Wohnung das Vorliegen einer Härte anzunehmen sei oder ob eine solche im Hinblick auf der Mieterin zugängliche und zumutbare, von ihr aber nicht genutzte Beratungen sowie ärztliche oder therapeutische Behandlungen abzulehnen (oder anderenfalls jedenfalls im Rahmen der anschließend vorzunehmenden Interessenabwägung den Interessen des Vermieters der Vorrang einzuräumen) sei.
Demgegenüber habe das Berufungsgericht die im Streitfall gegebene Gefahr der Selbsttötung als Folge einer Verurteilung der Mieterin zur Räumung der Wohnung von vornherein von der bei der Prüfung des Vorliegens einer Härte gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung ausgeschlossen, indem es allein auf die dahinterstehende freie Willensbildung der Mieterin abgestellt habe. Hierdurch habe es bei seiner Entscheidung dem Schutz von Leben und Gesundheit der Mieterin nicht die Bedeutung beigemessen, die Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ihm verleihe.
Nach alledem hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
24.03.2025