Das Vorbringen des Vermieters zu dem von ihm behaupteten Kündigungsvorwurf unterfällt einem Sachvortragsverwertungsverbot, wenn sein Parteivortrag auf Informationen beruht, die er unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Mieters auf grundrechtswidrige Weise erlangt hat (hier: Einsatz überwachungsstaatlicher Ausforschungsmethoden durch ein landeseigenes Wohnungsunternehmens gegenüber einem Wohnraummieter zur Erhärtung des bestehenden Verdachts unbefugter Gebrauchsüberlassungen an Dritte). [Leitsatz der Redaktion]
BGH vom 12.3.2024 – VI ZR 1370/20 –
Langfassung im Internet: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 41 Seiten]
Das landeseigene Wohnungsunternehmen (im Folgenden: Vermieterin) kündigte das Mietverhältnis wegen angeblicher unbefugter Gebrauchsüberlassung. Zur Darlegung und zum Beweis verwies sie im Räumungsprozess auf Videoaufnahmen. Sie hatte eine Detektei beauftragt, die vom 9. November bis zum 11. Dezember 2017 jeweils vom Treppenhaus aus den Eingangsbereich der Wohnungen mit versteckten Videokameras überwachte, die Aufnahmen speicherte und ein Protokoll darüber erstellte, wann welche Personen ein- und ausgegangen waren. Die Kameras waren gegenüber den Wohnungseingangstüren installiert und erfassten bei geöffneter Wohnungstür den Eingangsbereich innerhalb der Wohnungen. Die Videoaufnahmen ergaben, dass die Wohnung in der Z-Straße 3 im Zeitraum vom 9. November 2017 bis 11. Dezember 2017 sechs Männern und einer Frau überlassen worden sei, die jeweils mit eigenen Schlüsseln ein- und ausgegangen seien. In der Wohnung in der Z-Straße 3 seien in dieser Zeit vier Personen (drei männliche und eine weibliche) als Bewohner identifiziert worden.
Der BGH verneinte das Vorliegen eines Kündigungsgrundes.
Ein Grund zur Kündigung der Mietverhältnisse folge nicht daraus, dass die Mieter die angemieteten Wohnungen im Zeitraum vom 9. November bis 11. Dezember 2017 unbefugt an Dritte überlassen hätten. Eine derartige Pflichtverletzung der Mieter könne der Entscheidung über den Räumungsantrag nicht zugrunde gelegt werden. Die Vermieterin stütze sich insoweit allein auf die Erkenntnisse, die sie durch die von der Privatdetektivin durchgeführte verdeckte und gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßende Videoüberwachung der Wohnungseingangsbereiche gewonnen habe. Diese Erkenntnisse dürften nach der Bestimmung in § 286 Abs. 1 ZPO im Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden.
Die von der Privatdetektivin als verantwortlicher Stelle durchgeführte verdeckte Videoüberwachung der Wohnungseingangsbereiche sei gemäß § 4 Abs. 1 BDSG a.F. unzulässig, da sie ohne Einwilligung der Betroffenen erfolgt sei und nicht auf die Erlaubnistatbestände der
§ 6 b Abs. 1, § 28 Abs. 1 oder § 29 Abs. 1 BDSG a.F. gestützt werden könne.
Die verdeckte Videoüberwachung sei nicht gemäß § 6 b Abs. 1 BDSG a.F. zulässig. Dieser Erlaubnistatbestand greife bereits deshalb nicht, weil es sich bei den im Streitfall überwachten Bereichen nicht um öffentlich zugängliche Räume im Sinne dieser Norm handele. Öffentlich zugänglich seien solche Bereiche, die nach dem erkennbaren Willen des Berechtigten dazu bestimmt sind, von der Allgemeinheit betreten und genutzt zu werden. Diese Voraussetzung sei hinsichtlich der Bereiche innerhalb der Wohnungen, die bei geöffneter Tür für die gegenüberliegend angebrachten Kameras einsehbar waren, offensichtlich nicht gegeben. Gleiches gelte aber auch für die Treppenhausbereiche unmittelbar vor den Wohnungseingangstüren. Für die innerhalb eines Wohngebäudes gelegenen Bereiche einschließlich im Gebäude belegener Treppen sei regelmäßig davon auszugehen, dass sie nicht öffentlich zugänglich sind; lediglich die Bewohner und deren Besucher sollten insoweit Zugang haben und verfügten über entsprechende Betretensrechte.
Die über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen gefertigten Aufzeichnungen bildeten nicht nur den jeweiligen Treppenhausbereich unmittelbar vor den Wohnungseingangstüren, sondern auch den Bereich innerhalb der Wohnungen ab, der bei geöffneter Tür für die Kameras einsehbar war. Die Aufzeichnungen dokumentieren lückenlos, wann, wie oft und in welcher Begleitung, in welcher Stimmung, mit welchem Gesichtsausdruck und in welcher Bekleidung die Betroffenen die jeweilige Wohnung betreten, verlassen oder auch nur die Wohnungstür geöffnet hätten. Sie bildeten auch ab, wie sie sich dabei verhalten hätten. Aufgrund der Heimlichkeit der Aufzeichnungen hätten die Betroffenen keine Möglichkeit, hiergegen Abwehrstrategien zu entwickeln und selbst zu entscheiden, ob sie diese ihrem Privatleben zuzurechnenden Informationen preisgeben wollen oder nicht. Zwar müsse der Einzelne außerhalb des besonders geschützten Bereichs seiner verschlossenen Wohnung damit rechnen, Gegenstand von Wahrnehmungen Dritter zu werden. Im nicht für die Allgemeinheit zugänglichen Bereich des Treppenhauses eines Mehrparteiengebäudes gelte dies aber nur insoweit, als sich Dritte wahrnehmbar dort befänden.
Deshalb – so der BGH – dürften die Erkenntnisse, die die Vermieterin durch die von der Privatdetektivin durchgeführte rechtswidrige Videoüberwachung der Wohnungseingangsbereiche gewonnen und in Form von Überwachungsprotokollen in den Rechtsstreit eingeführt habe, bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden. Die gerichtliche Verwertung dieser Erkenntnisse verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mieter in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG sowie ihr Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG.
24.03.2025