Leitsätze:
a) Der Vermieter ist im Falle der Vortäuschung von (Eigen-)Bedarf – wie auch sonst bei einer schuldhaften (materiell) unberechtigten Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses – dem Mieter gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteile vom 8.4.2009 – VIII ZR 231/07, NJW 2009, 2059 Rn. 11 mwN; vom 13.6.2012 – VIII ZR 356/11, juris Rn. 10; Beschluss vom 7.9.2011 – VIII ZR 343/10, WuM 2011, 634 Rn. 3).
b) Ob ein Räumungsvergleich den Zurechnungszusammenhang zwischen der Vortäuschung einer (Eigen-)Bedarfssituation und dem später vom Mieter geltend gemachten Schaden unterbricht, ist im Wege der Auslegung des Vergleichs und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls danach zu beurteilen, ob die Parteien durch gegenseitiges Nachgeben auch den Streit darüber beilegen wollten, ob die (Eigen-)Bedarfslage des Vermieters bestand oder nur vorgetäuscht war. Nur dann, wenn mit dem Vergleich auch etwaige Ansprüche des Mieters wegen eines nur vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten, fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang (Fortführung von BGH, Beschluss vom 7.9.2011 – VIII ZR 343/10, aaO).
c) An das Vorliegen des Willens des Mieters, auf etwaige Ansprüche gegen den Vermieter wegen eines nur vorgetäuschten (Eigen-)Bedarfs zu verzichten, sind strenge Anforderungen zu stellen; der Verzichtswille muss – auch unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände – unmissverständlich sein (Anschluss an und Fortführung von BGH, Urteile vom 21.11.2006 – VI ZR 76/06, NJW 2007, 368 Rn. 9; vom 26.10.2009 – II ZR 222/08, NJW 2010, 64 Rn. 18; vom 18.9.2012 – II ZR 178/ 10, WM 2012, 2231 Rn. 22; vom 22.4.2015 – IV ZR 504/14, juris Rn. 15).
d) Für einen stillschweigenden Verzicht des Mieters auf die vorgenannten Ansprüche bedarf es regelmäßig bedeutsamer Umstände, die auf einen solchen Verzichtswillen schließen lassen (Fortführung von BGH, Urteile vom 11.10.2000 – VIII ZR 276/99, juris Rn. 18; vom 20.9.2006 – VIII ZR 100/ 05, WM 2007, 177 Rn. 22; Beschluss vom 19.9.2006 – X ZR 49/05, juris Rn. 27). Derartige Umstände können bei einem Räumungsvergleich etwa darin liegen, dass sich der Vermieter zu einer substanziellen Gegenleistung – wie etwa einer namhaften Abstandszahlung – verpflichtet.
BGH vom 10.6.2015 – VIII ZR 99/14 –
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Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter begehrte Schadensersatz wegen unberechtigter Kündigung des Mietverhältnisses.
Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit der – vom Mieter bestrittenen – Begründung, die Wohnung werde für den neuen Hausmeister, Herrn D., benötigt.
Nachdem die Räumungsklage in erster Instanz erfolglos geblieben war, schlossen die Parteien im Vorprozess in der zweiten Instanz am 14.6.2011 auf Vorschlag des Berufungsgerichts einen Räumungsvergleich, in dem sich der Mieter verpflichtete, die Wohnung bis spätestens 31.12.2011 zu räumen sowie die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Vergleichs zu tragen. Ferner verzichtete der Mieter (abgesehen von der gewährten vorbezeichneten Räumungsfrist) auf sämtliche Räumungsschutzvorschriften. Im Falle eines vorzeitigen Auszugs, den der Mieter zwei Wochen zuvor anzukündigen hatte, sollte er nur bis zum Auszug und zur Übergabe der Wohnung Miete zahlen.
Nach dem Auszug des Mieters zog nicht der angekündigte neue Hausmeister, sondern eine Familie in die ehemals vom Mieter gemietete Wohnung ein. Im vorliegenden Prozess begehrt der Mieter Ersatz der Umzugskosten, der Mehrkosten, die ihm durch die höhere Miete für die neue Wohnung (850 Euro monatlich) und dadurch entstehen, dass er den Weg zur Arbeit nicht mehr wie bisher zu Fuß zurücklegen könne, sowie Ersatz der ihm entstandenen Prozesskosten des Räumungsrechtsstreits. Die auf Zahlung von insgesamt 25833,43 Euro nebst Zinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt.
Der Bundesgerichtshof entschied nach den in den oben abgedruckten Leitsätzen zum Ausdruck kommenden Grundsätzen. Vorliegend war ein bedeutendes Entgegenkommen des Vermieters nicht feststellbar. Dem Vergleich ließ sich daher nicht der Wille des Mieters entnehmen, auf Ansprüche wegen vorgetäuschten Eigen- beziehungsweise Betriebsbedarfs zu verzichten. Der BGH hat die Sache daher das Landgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun klären, ob der Eigenbedarf tatsächlich vorgetäuscht war.
23.12.2017