Auch beruflich nicht mit der Vermietung von Wohnraum Befasste, die erstmals mit der Wohnraumvermietung zu tun haben, treffen besondere Sorgfaltspflichten bei der Bemessung des Mietpreises, die über die bloße Rücksprache mit anderen Vermietern hinausgehen.
AG Frankfurt vom 14.7.2022 – 940 OWi 862 Js 44556/21 –
Vgl. dazu den Beitrag § 5 WiStG (5), gleiches Urteil!
Urteil im Internet: Bürgerservice Hessenrecht
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der für das Bußgeldverfahren erforderliche innere Tatbestand des § 5 Abs. 1 WiStG setzt Vorsatz oder Leichtfertigkeit beim Vermieter voraus.
Leichtfertig handelt der Vermieter, wenn er die ihm nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zuzumutende Sorgfalt bei der ihm obliegenden Feststellung des angemessenen Mietentgeltes und des örtlichen Wohnungsangebotes gröblichst verletzt. Dies ist der Fall, wenn er unangemessen hohe Miete für Wohnraum fordert und annimmt, ohne sich bei einer zuständigen Stelle über die Angemessenheit einer Miete informiert zu haben; die Nachfrage bei ortsansässigen Nachbarn oder bei Maklern entlastet nicht. Diese Grundsätze gelten – wie das AG Frankfurt zu Recht feststellt – auch für sogenannte Privatvermieter.
Schutz vor überhöhten Mieten bei Neuabschluss eines Mietvertrages soll die sogenannte „Mietpreisbremse“ nach §§ 556 d ff. BGB bieten. Die Wirksamkeit der „Mietpreisbremse“ wird aber durch die zahlreichen ihr immanenten Ausnahmevorschriften stark eingeschränkt. Besonders bei eklatant überhöhten Mieten kann hier die außerhalb des BGB befindliche – mietpreiskorrigierende – Vorschrift des § 5 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG), – die sog. „Mietpreisüberhöhung“ – Anwendungslücken schließen.
§ 5 Abs. 2 WiStG lautet: Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten sechs Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind. Nicht unangemessen hoch sind Entgelte, die zur Deckung der laufenden Aufwendungen des Vermieters erforderlich sind, sofern sie unter Zugrundelegung der nach Satz 1 maßgeblichen Entgelte nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung des Vermieters stehen. Die aktuellste veröffentlichte Berliner Entscheidung zu § 5 WiStG stammt allerdings aus dem Jahre 2014. Neuere Entscheidungen gibt es offenbar nur aus dem Frankfurter Raum. Dies findet seinen Grund sicherlich nicht zuletzt in der äußerst engagierten Arbeit des dortigen Wohnungsamtes.
Dass in Berlin und im übrigen Bundesgebiet § 5 WiStG jahrelang faktisch „tot“ war, ist auf drei Entscheidungen des Bundesgerichtshofes aus den Jahren 2004 bis 2006 zurückzuführen, mit denen der BGB die Beweisbarkeit des Tatbestandsmerkmals „Ausnutzen“ an hohe – fast unüberwindliche – Hürden geknüpft hat. Seit 2006 hat sich der Wohnungsmarkt gerade in Berlin aber bekanntlich erheblich zu Ungunsten der Mieterschaft verändert.
„Der Wohnungsmarkt hat sich in die strengen Maßstäbe des BGH hineinentwickelt, so dass sich Beweisprobleme heute nicht mehr im selben Ausmaß stellen“ (Leonhardt WuM 2024, Seite 361 [365]).
Es ist daher längst an der Zeit, dass auch die Berliner Behörden sich an der Frankfurter Praxis ein Beispiel nehmen und den § 5 WiStG wieder zum Leben erwecken.
Insbesondere für nicht rechtsschutzversicherte Mieter kann eine Anzeige wegen Mietpreisüberhöhung beim Wohnungsamt eine Alternative zur zivilprozessualen Rechtsverfolgung darstellen. Die Ordnungswidrigkeit nach § 5 WiStG kann mit einer Geldbuße bis zu 50 000 Euro geahndet werden.
Die Anzeige kann jedermann erstatten. Das Vorliegen der Mietpreisüberhöhung ist mit geeigneten Mitteln (Kopien vom Mietvertrag, Mieterhöhungen usw.) glaubhaft zu machen. Die Mieter sind in den gegen den Vermieter geführten Verfahren Zeugen und müssen ggfs. auch vor Gericht aussagen.
Zuständig für die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit nach § 5 WiStG ist in Berlin das zuständige bezirkliche Wohnungsamt.
Die Behörde kann in diesbezüglichen Fällen ein Bußgeld durch Bescheid verhängen. Nach § 17 Abs. 4 OWiG soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Gegen den Bescheid kann der Betroffene (d.h. der Vermieter, nicht der Mieter) beim Wohnungsamt Einspruch einlegen (vgl. § 67 OWiG). Über den Einspruch entscheidet nach Zwischenprüfung durch die Staatsanwaltschaft letztlich das Amtsgericht (in Berlin: AG Tiergarten). Das Gericht ist an die Entscheidung des Wohnungsamtes nicht gebunden und kann die Entscheidung auch zum Nachteil des Betroffenen abändern. Gegen das amtsgerichtliche Urteil bzw. gegen den Beschluss hat sowohl der Betroffene als auch die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde beim Kammergericht.
Weiterhin kann von der zuständigen Behörde die Abführung des unrechtmäßig erlangten Mehrerlöses an das Land angeordnet werden (§ 8 WiStG), soweit der geschädigte Mieter nicht schon zivilrechtliche Rückerstattungsansprüche geltend gemacht hat oder nicht mehr geltend machen kann.
Auch der geschädigte Mieter kann beantragen, dass die Behörde die unmittelbare Abführung des Mehrerlöses an ihn anordnet (§ 9 WiStG). Dies gilt auch dann, wenn kein Bußgeldverfahren durchgeführt wird (§ 10 Abs. 1 WiStG). Die Anordnung der Rückerstattung des Mehrerlöses an den Mieter dient zugleich staatlichen Zwecken und steht gleichrangig neben der Anordnung der Abführung an das Land.
Das Wohnungsamt hat den Mieter auf sein Antragsrecht nach § 9 WiStG hinzuweisen.
Abschließend sei auf die „Doppelnatur“ von § 5 WiStG hingewiesen: Einerseits spricht § 5 WiStG als Vorschrift des Ordnungswidrigkeitenrechts eine Geldbuße aus, deren Verhängung jeweils Gegenstand eines eigenständigen behördlichen Verfahrens ist, zum anderen bewirkt ein Verstoß gegen § 5 WiStG auch zivilrechtliche Folgen: Nichtigkeit der Mietpreisvereinbarung, Mietsenkung, Rückforderungsanspruch.
Bevor Mieter Anzeige beim Wohnungsamt erstatten oder Klage vor dem Zivilgericht erheben, sollten sie kritisch prüfen und sich beraten lassen, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 WiStG vorliegen. Nicht jede überdurchschnittlich hoch erscheinende Mietpreisvereinbarung stellt schon einen Verstoß gegen § 5 WiStG dar.
01.11.2024