Leitsatz:
Ein Bedarf, einem bestimmten Bundesbediensteten im Zuge des Regierungsumzuges nach Berlin Wohnraum zur Verfügung zu stellen, stellt ein berechtigtes Interesse dar, welches dem Verlangen des bisherigen Mieters auf Fortsetzung seines – unter Hinweis auf einen derartigen Bedarf – befristeten Mietverhältnisses entgegengesetzt werden kann.
LG Berlin, Urteil vom 16.1.01 – 65 S 118/00 –
Mitgeteilt von VRiLG Rainer Bulling
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Klägerin ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichem Umfange begründet und war im Übrigen zurückzuweisen.
Dem in der Berufungsinstanz als Hauptantrag gestellten Feststellungsantrag fehlt – entgegen der Auffassung der Klägerin – das Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere war es nicht erforderlich, diesen Antrag zu stellen, damit für den Fall, dass der Räumungsklage stattgegeben werde, die negative Feststellungswirkung des Amtsgerichtsurteils nicht fortbesteht. Mit der Stattgabe der Räumungsklage ist nämlich die Abweisung des erstinstanzlichen geregelten Hilfsfeststellungsantrages ebenfalls beseitigt, denn ein Hilfsantrag kommt nur dann zum Tragen, wenn dem Hauptantrag nicht entsprochen wird. Es kam insoweit auch keine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO in Betracht. Zwar genügt für diese Vorschrift die bloße Möglichkeit, dass aus dem streitigen Rechtsverhältnis zwischen den Parteien weitere Ansprüche entstehen (Zöller-Greger, ZPO, 21. Aufl., § 256 Rn. 26; BGH, NJW 1977, 1637). Hier werden durch ein Urteil über den Hauptantrag die Rechtsbeziehungen der Parteien aber bereits erschöpfend geregelt. Bei Abweisung des Räumungsantrages wäre unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt eine Räumungsverpflichtung in Betracht gekommen; um die Wirksamkeit einer Kündigung wurde hier nicht gestritten.
Die Berufung der Klägerin hat jedoch hinsichtlich der Räumungsklage Erfolg mit der Folge, dass auch die Widerklage – entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung – abzuweisen war. Zunächst ist zwischen den Parteien nämlich ein bis zum 30.9.1999 befristetes Mietverhältnis zu Stande gekommen. Diese Befristung ist auch nicht durch die Vertragsänderung vom 19.8./6.9.1999 hinsichtlich der Mietzinsstruktur und ihrer Miethöhe aufgehoben worden. Auch wenn diese Vereinbarung kurz vor dem Ablauf der eigentlichen Vertragslaufzeit erfolgte, bedeutet dies nicht, dass die Befristung des Mietverhältnisses aufgehoben werden sollte. Eine diesbezügliche Regelung ist in der „Vertragsänderung“ gerade nicht vorgesehen, so dass es insoweit bei der bisherigen Regelung verblieb. Im Hinblick auf die so genannte Auflockerungsrechtsprechung wurde auch die Schriftform des § 566 BGB gewahrt, denn es reichte insoweit aus, auf den Mietvertrag vom 3./28.10.1994 Bezug zu nehmen (vgl. BGH NJW 1998, 62). Mit der Befristung endete vorliegend jedoch das Mietverhältnis, auch wenn die Beklagten mit Schreiben vom 7.7.1998 form- und fristgerecht die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt haben, §564 c Abs. 1 S. 1 BGB. Das Fortsetzungsverlangen war zwar noch nicht durch § 564 c Abs. 2 BGB ausgeschlossen, denn dessen Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Hier lag zwar die Voraussetzung des § 564 c Abs. 2 Nr. 1 BGB vor, denn das Mietverhältnis war für nicht mehr als 5 Jahre eingegangen worden. Die Voraussetzungen des § 564 c Abs. 2 Nr. 1 bis 3 BGB lagen jedoch nicht vor, weil die Klägerin als juristische Person nach allgemeiner Auffassung keinen Eigenbedarf geltend machen kann (vgl. insoweit die Zitate der erstinstanzlichen Entscheidung).
Die Beklagten können jedoch deshalb nicht gemäß § 564 c Abs. 1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, weil der Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses zur Seite steht (§564 b BGB in entsprechender Anwendung).
Zunächst scheitert das Räumungsbegehren der Klägerin nicht an § 564 b Abs. 3 BGB, wonach als berechtigtes Interesse nur diejenigen Gründe Berücksichtigung finden können, die im Widerspruch zum Fortsetzungsverlangen angegeben worden sind. Mit ihrer Klageschrift, mithin noch vor Ablauf des Mietverhältnisses, hat die Klägerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Herr Dr. A. zu den Bonn-Berlin-Umzüglern gehört, in das streitgegenständliche Einfamilienhaus mit seiner Frau und 4 Kindern einziehen wolle und anderer Wohnraum nicht zur Verfügung stehe.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist vorliegend von einem berechtigten Interesse auszugehen, weil die Klägerin mit der vor der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme bewiesen hat, dass sie das streitgegenständliche Haus ab Oktober 1999 an einen Bundesbediensteten nebst Familie vermieten wollte und dieser – der Zeuge Dr. A. – auch zum Einzug bereit war. Auch wenn eine juristische Person Eigenbedarf nicht geltend machen kann, ist vorliegend ein berechtigtes Interesse der Klägerin anzunehmen, weil der Eigenbedarf nur einen Beispielsfall für ein berechtigtes Interesse des Mieters darstellt. Ein berechtigtes Interesse besteht vielmehr auch bei Betriebsbedarf, d.h. wenn Räume für Bedienstete des Vermieters benötigt werden. Für die Kündigung zwecks Vermietung einer Werkswohnung an einen betriebsfremden Mieter wird teilweise zwar ein gesteigerter Betriebsbedarf gefordert (LG Stuttgart, WM 1994, 470; OLG Stuttgart, WM 1991, 330; ZMR 1993, 330; BayObLG, NJW 1981, 580; LG Berlin, ZK 67, GE 1996, 549). Diese Einschränkung gilt jedoch dann nicht, wenn – wie hier – eine Behörde die von ihr vermietete Wohnung für eigenes Personal benötigt, da sie nicht gehalten ist, im Rahmen ihrer Wohnungsfürsorge auf den Wohnungsmarkt auszuweichen (AG Bonn, DWW 1975, 166; Beuermann, GE 1998, 398, 400; Barthelmess, 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 564 b BGB Rn. 119 a). Hinzu kommt, dass der Entscheidung des Landgerichts Stuttgart a.a.O. und dem Rechtsentscheid des OLG Stuttgart vom 24.4.1991, WM 1991, 330 = GE 1991, 817 jeweils kein Sachverhalt zu Grunde lag, in dem der Mieter bereits bei Anmietung auf die Zweckbestimmung der Wohnung hingewiesen worden ist. Soweit in dem negativen Rechtsentscheid des OLG Stuttgart vom 21.4.1993, ZMR 1993, 330, ein solcher Hinweis im Mietvertrag vorgesehen war und das OLG dennoch einen Betriebsbedarf verneinte, lässt sich aus den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, dass es sich um ein befristetes Mietverhältnis handelte, vielmehr bezieht sich die vorgelegte Rechtsfrage auf ein Kündigungsrecht. Eine Vorlage gemäß § 541 ZPO ist von daher nicht angezeigt. Die Bewertung des Interesses der Klägerin – auch im Zusammenhang mit dem einmaligen Vorgang des Regierungsumzuges – stellt auch keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.
Das „berechtigte Interesse“ ist zudem ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Lichte des Mieterschutzes auszulegen ist. Insofern rechtfertigt sich auch eine Differenzierung zwischen unbefristeten und befristeten Mietverhältnissen, wenn bei der Befristung ein Hinweis über die Zweckbestimmung der Wohnung aufgenommen wird. Auch kann insoweit die Behördeneigenschaft der Beklagten nicht außer Betracht bleiben, die diese dem Alimentierungsgrundsatz verpflichtet. Die Klägerin wird hier auch nicht fiskalisch tätig, sondern nimmt im Rahmen der Wohnungsfürsorge öffentlich-rechtliche Aufgaben wahr (vgl. Rechtsentscheid des BayObLG vom 16.12.1998, GE 1999, 443, 447). Auf Grund dieser Fürsorgepflicht kommt es letztlich auch nicht auf den konkreten Gesamtbedarf der Klägerin an Alliiertenhäusern an, sondern auf den konkreten Bedarf der berechtigten Bedarfsperson.
Zudem folgt aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB), dass der Mieter bei entsprechendem Hinweis auf Wohnbedarf schon im Mietvertrag keinen weitergehenden Schutz verlangen kann (Staudinger-Sonnenschein, BGB, 13. Aufl., § 564 b Rn. 88, 153). Umgekehrt handelt der Mieter treuwidrig, wenn er in Kenntnis der Gründe für die Befristung ein befristetes Mietverhältnis eingeht und diese Gründe später nicht mehr akzeptieren will.
Grundsätzlich hat die Klägerin ein Auswahlermessen bei der Geltendmachung des Erlangungsinteresses (Staudinger-Sonnenschein, a.a.O., Rn. 99). Für den Einwand des Rechtsmissbrauchs sind die Beklagten beweispflichtig. Dass im Zeitpunkt zum 1.10.1999 ein anderes vergleichbares Einfamilienhaus freistand und deshalb zur Verfügung stand, ist von den Beklagten nicht unter Beweisantritt vorgetragen worden. Dass die Klägerin andere Einfamilienhäuser (Dreipfuhlsiedlung, Waldtier-Siedlung) zum Verkauf anbietet, nimmt ihr nicht das berechtigte Interesse. Zunächst befinden sich diese Häuser bereits an anderer Stelle, sodann wiesen diese – wie die Klägerin unbestritten vorgetragen hat – einen baulich schlechten Zustand auf. Es ist der Klägerin dann aber nicht verwehrt, diese Häuser zu verkaufen, zumal von gleichwertigem Wohnraum unter diesen Umständen nicht die Rede sein kann. Hinsichtlich der Objekte, an denen den USA Nutzungsrechte zustehen, hat die Klägerin darüber hinaus kein Verfügungsrecht.
Mit der vor der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme hat die Klägerin das tatsächliche Bestehen eines berechtigten Interesses ihrerseits an der Nichtfortsetzung des Mietverhältnisses mit den Beklagten beweisen können. Der Zeuge Dr. A., der zu dem Personenkreis der so genannten Bonn-Berlin-Umzügler gehört und als Diplomat im … tätig ist, hat eindeutig bekundet, dass er bereits zum 1.10.1999 in das streitgegenständliche Einfamilienhaus eingezogen wäre, wenn es ihm zur Verfügung gestanden hätte. Dass dies auch nach wie vor seine Absicht ist, hat er unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Seine derzeitige Wohnsituation mit seiner Familie im Hause I.-Str. sei nicht länger tragbar. Dort sei toxischer Schimmelbefall festgestellt worden und zudem sei der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreichend. Die Unterkunft I.-Str. sei von vornherein lediglich als Provisorium gedacht gewesen, das sich schon viel zu lange hingezogen habe. Akzeptablen Ersatzwohnraum habe er trotz Suche bisher nicht finden können. Wenn das Haus H.-Str. frei würde, würde er sofort mit seiner Familie, d.h. mit seiner Frau und 4 Kindern, einziehen. Zwar habe er unter der derzeitigen gesundheitsgefährdenden Wohnsituation für Sommer 2001 um Versetzung gebeten, er habe jedoch kurz vor Weihnachten vom … das Angebot erhalten, in Berlin zu bleiben. Dieses Angebot habe er nur im Hinblick auf seine derzeitige, nicht mehr tragbare Wohnsituation, abgelehnt. Diese Ablehnung sei jedoch nicht endgültig gemacht worden; er habe vielmehr auch die Personalverwaltung darauf hingewiesen, dass er nur unter den derzeitigen Wohnbedingungen das Angebot, länger in Berlin zu bleiben, nicht annehmen könne. Wenn er wüsste, dass er das Haus H.-Str. beziehen könne, werde er dies umgehend der Personalabteilung mitteilen. Nach diesen eindeutigen Bekundungen, an denen die Kammer keinen Anlass zu Zweifeln hat, war der Zeuge seit Sommer 1999 daran interessiert, in das streitgegenständliche Haus zu ziehen und hat auch nach wie vor diese Absicht. Hiergegen spricht nicht, dass er sich zudem um anderen Wohnraum bemüht hat; dies beweist vielmehr, dass seine derzeitige Wohnsituation keine ausreichende ist. Dass der Zeuge mit seiner Familie nach Auffassung der Beklagten nach den Wohnungsvergaberichtlinien der Klägerin lediglich einen Anspruch auf Zuweisung einer Geschosswohnung mit 6 Zimmern in einer Gesamtgröße von nicht mehr als 151 qm hätte, steht einem berechtigten Interesse der Klägerin an der Nichtfortsetzung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses nicht entgegen. Das berechtigte Interesse der Klägerin beschränkt sich nämlich nicht auf die zwingenden wohnrechtlichen Vorschriften, vielmehr kann die Klägerin ihren Bediensteten auch mehr als den Mindestbedarf gewähren, wenn dieser nicht überzogen ist. Letzteres kann jedoch hier nicht festgestellt werden, da der Zeuge A. das streitgegenständliche Haus mit seiner Frau und 4 Kindern beziehen will.
Das Verhalten der Klägerin ist darüber hinaus auch nicht deshalb treuwidrig, weil ihr Alternativhäuser zur Verfügung stünden, die sie ihren Bediensteten anbieten könnte. Soweit die Beklagten auf ungefähr 150 fertiggestellte Einfamilien-, Reihen- und Doppelhäuser auf dem ehemaligen Gelände des Alliiertenmilitärflugplatzes in Berlin-Gatow verweisen, sind diese bereits nach ihrer Lage nicht mit dem streitgegenständlichen Haus zu vergleichen. Das Verhalten der Klägerin ist auch nicht treuwidrig, weil diese gegenüber den Beklagten ein Vertrauen auf ein längeres Mietverhältnis begründet hätte. Der Mietvertrag ist ausdrücklich befristet worden. Auch die bedingte Verlängerungsoption lässt nicht den Schluss zu, dass – wie die Beklagten meinen – das Fortsetzungsverlangen nur noch reine Formsache gewesen sei. Dass die Klägerin den Eintritt der Bedingung (Nicht-Benötigen des Hauses durch die Klägerin) selbst vereitelt hätte, kann nach den obigen Ausführungen nicht festgestellt werden.
Soweit der Bundesbauminister Müntefering angab, dass die ehemaligen Alliierten-Wohnungen nicht alle für die Versorgung der Bundesbediensteten benötigt würden und deshalb Räumungsklage nicht mehr angestrengt bzw. weiterverfolgt werden sollten, hat dies für den vorliegenden Fall, der ein Alliierten-Einfamilienhaus betrifft, keine Bindungswirkung, da dieses mit Wohnungen gerade nicht vergleichbar ist und Alliierten-Einfamilienhäuser unbestritten in geringerer Zahl vorhanden sind.
Nach alledem war der Räumungsklage stattzugeben und die Widerklage abzuweisen.
Gemäß § 721 Abs. 1 ZPO war den Beklagten eine Räumungsfrist von drei Monaten zu bewilligen. Diese Frist erscheint angemessen, aber auch ausreichend, damit die Beklagten entsprechenden Ersatzraum finden können. Zu ihren Gunsten war zu berücksichtigen, dass sie auf das Vorliegen eines berechtigten Interesses seitens der Klägerin keinen Einfluss hatten. Andererseits war ihr Mietverhältnis bis zum 30.9.1999 befristet und sie haben keinerlei Nachweis dafür erbracht, sich je um angemessenen Ersatzraum bemüht zu haben.…
23.12.2017